Wir stiegen in einen Keller, wo dieselbe Küsterfrau vor 56 Jah- ren mit ihrem Mann (der auch noch lebt) ein tiefes Loch gegraben und die Kirchengüter vor Feindeshand gerettet hatte. "Wir fanden bei'm Graben nichts wie Knochen und Schädel." Sie sagte nicht "Knochen und Schädel von heimlich Verscharrten", aber sie meinte es so; das Volk hierlandes denkt sich nun einmal die katholische Zeit als eine Mordzeit; es ist das ein seltsamer Theil unserer Volkspoesie.
Dann stiegen wir wieder aufwärts, eine hohe schmale Treppe hinauf, und waren auf einem Chor oder einer Empore, die man zu einer Art Kunstkammer umgeschaffen hatte. Allerhand Raritäten waren hier ausgestellt; aber es war doch schon der Uebergang von der Kunstkammer zur Rumpelkammer. Es hing da z. B. ein Bild der Lutherstatue in Wittenberg, mit der Wartburg als Hintergrund. Die Geschichte des Bildes interessirte mich noch mehr als das ab- sonderliche Bild selbst. Eine reisende Schauspielergesellschaft, deren "erster Liebhaber" es gemalt hatte, hatte es auf Groschenloose aus- gespielt und der Gewinner war es durch "Schenkung" an die Kirche los geworden. Daneben hingen drei Porträts, lebensgroß, die Bildnisse dreier Brüder, die einst bei Stadt und Kirche ge- glänzt hatten. Das Rathsherrnbild trug folgende Inschrift:
Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht Hat uns drei Treueren dieß Denkbild aufgericht'. Dort jenes graue Paar stirbt in der Kirche Würde, Mich macht das Rathhaus alt und schwerer Zeiten Bürde. Was jene bei der Kirch' den Seelen gut's gebracht, Das hab' ich bei der Stadt, nach Menschen Treu, in Acht. Urtheilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben, So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben.
Von Beeskow nach Cossenblatt sind noch anderthalb Meilen. Ein leichter Wagen nahm mich auf und in brennender Sonnen- hitze machte ich den Weg. Die Landschaft ist trostlos und die Dörfer sind arm. Ueberall mahlender Sand und Kiefernhaide, dazwischen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren so kümmerlich,
Wir ſtiegen in einen Keller, wo dieſelbe Küſterfrau vor 56 Jah- ren mit ihrem Mann (der auch noch lebt) ein tiefes Loch gegraben und die Kirchengüter vor Feindeshand gerettet hatte. „Wir fanden bei’m Graben nichts wie Knochen und Schädel.“ Sie ſagte nicht „Knochen und Schädel von heimlich Verſcharrten“, aber ſie meinte es ſo; das Volk hierlandes denkt ſich nun einmal die katholiſche Zeit als eine Mordzeit; es iſt das ein ſeltſamer Theil unſerer Volkspoeſie.
Dann ſtiegen wir wieder aufwärts, eine hohe ſchmale Treppe hinauf, und waren auf einem Chor oder einer Empore, die man zu einer Art Kunſtkammer umgeſchaffen hatte. Allerhand Raritäten waren hier ausgeſtellt; aber es war doch ſchon der Uebergang von der Kunſtkammer zur Rumpelkammer. Es hing da z. B. ein Bild der Lutherſtatue in Wittenberg, mit der Wartburg als Hintergrund. Die Geſchichte des Bildes intereſſirte mich noch mehr als das ab- ſonderliche Bild ſelbſt. Eine reiſende Schauſpielergeſellſchaft, deren „erſter Liebhaber“ es gemalt hatte, hatte es auf Groſchenlooſe aus- geſpielt und der Gewinner war es durch „Schenkung“ an die Kirche los geworden. Daneben hingen drei Porträts, lebensgroß, die Bildniſſe dreier Brüder, die einſt bei Stadt und Kirche ge- glänzt hatten. Das Rathsherrnbild trug folgende Inſchrift:
Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht Hat uns drei Treueren dieß Denkbild aufgericht’. Dort jenes graue Paar ſtirbt in der Kirche Würde, Mich macht das Rathhaus alt und ſchwerer Zeiten Bürde. Was jene bei der Kirch’ den Seelen gut’s gebracht, Das hab’ ich bei der Stadt, nach Menſchen Treu, in Acht. Urtheilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben, So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben.
Von Beeskow nach Coſſenblatt ſind noch anderthalb Meilen. Ein leichter Wagen nahm mich auf und in brennender Sonnen- hitze machte ich den Weg. Die Landſchaft iſt troſtlos und die Dörfer ſind arm. Ueberall mahlender Sand und Kiefernhaide, dazwiſchen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren ſo kümmerlich,
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Wir ſtiegen in einen Keller, wo dieſelbe Küſterfrau vor 56 Jah-
ren mit ihrem Mann (der auch noch lebt) ein tiefes Loch gegraben
und die Kirchengüter vor Feindeshand gerettet hatte. „Wir fanden
bei’m Graben nichts wie Knochen und Schädel.“ Sie ſagte nicht
„Knochen und Schädel von heimlich Verſcharrten“, aber ſie meinte
es ſo; das Volk hierlandes denkt ſich nun einmal die katholiſche
Zeit als eine Mordzeit; es iſt das ein ſeltſamer Theil unſerer
Volkspoeſie.
Dann ſtiegen wir wieder aufwärts, eine hohe ſchmale Treppe
hinauf, und waren auf einem Chor oder einer Empore, die man
zu einer Art Kunſtkammer umgeſchaffen hatte. Allerhand Raritäten
waren hier ausgeſtellt; aber es war doch ſchon der Uebergang von
der Kunſtkammer zur Rumpelkammer. Es hing da z. B. ein Bild
der Lutherſtatue in Wittenberg, mit der Wartburg als Hintergrund.
Die Geſchichte des Bildes intereſſirte mich noch mehr als das ab-
ſonderliche Bild ſelbſt. Eine reiſende Schauſpielergeſellſchaft, deren
„erſter Liebhaber“ es gemalt hatte, hatte es auf Groſchenlooſe aus-
geſpielt und der Gewinner war es durch „Schenkung“ an die
Kirche los geworden. Daneben hingen drei Porträts, lebensgroß,
die Bildniſſe dreier Brüder, die einſt bei Stadt und Kirche ge-
glänzt hatten. Das Rathsherrnbild trug folgende Inſchrift:
Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht
Hat uns drei Treueren dieß Denkbild aufgericht’.
Dort jenes graue Paar ſtirbt in der Kirche Würde,
Mich macht das Rathhaus alt und ſchwerer Zeiten Bürde.
Was jene bei der Kirch’ den Seelen gut’s gebracht,
Das hab’ ich bei der Stadt, nach Menſchen Treu, in Acht.
Urtheilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben,
So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben.
Von Beeskow nach Coſſenblatt ſind noch anderthalb Meilen.
Ein leichter Wagen nahm mich auf und in brennender Sonnen-
hitze machte ich den Weg. Die Landſchaft iſt troſtlos und die
Dörfer ſind arm. Ueberall mahlender Sand und Kiefernhaide,
dazwiſchen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren ſo kümmerlich,
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band "Das Oderland, Barnim, Lebus" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 2: Das Oderland. Berlin, 1863, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg02_1863/117>, abgerufen am 25.11.2024.
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