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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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Gegend veranlaßten die Vermuthung, dies sei der Ort, an dem
Odysseus das Abenteuer mit dem Cyklopen bestand. Eine von
ungeheuren Felsblöcken umschlossene Bucht wird noch jetzt der
Hafen des Ulyß genannt. Wir verließen die Maulthiere und
stiegen auf ein Vorgebirg, das sich gegen das Meer zu mit einer
senkrechten Felswand endigt, aus deren kleinsten Spalten die In-
dische Feige üppig hervorsproßt. -- Mächtiger als jemals ergriff
mich der Eintritt in das Theater von Taurominium, dessen
Trümmer auf dem Gipfel hervorragen. Ich sah vor mir das
Proscenium, über ihm und durch seine Oeffnungen eine unendliche
Ferne. Rechts stürzen sich wilde Gebirge hinab; an ihrem Fuß
liegt unter Orangen und Palmen Taormina, ein Weg windet
sich an der Felswand empor zum Castell auf dem Gipfel; mit
einem Kloster steigt ein langer Hügel aus der Stadt hinab in's
Meer, das wir tief unter uns rauschen hörten; im Hintergrund
hebt sich der Aetna in seiner ganzen Majestät empor und streckt
sich weit hinaus in die Ebene Catanias, das Meer beschließt
den Horizont. Es ward uns schwer, den bezaubernden Ort zu
verlassen; welchen Eindruck müßte das Schauspiel auf einem
Theater bei solchen Decorationen machen! Durch die Stadt führte
uns der Weg auf einem Felspfad hinab zum Meer in's Wirths-
haus des Oertchens Giardino, wohin wir die Thiere geschickt
hatten. Zur Ersparung der Zeit beschlossen wir von hier am fol-
genden Morgen die Reise auf den Aetna, der von den Sicilia-
nern Monte Gibello genannt wird, zu beginnen, und dann
auf Catania hinabzusteigen. Durch fruchtbare Ebenen führt der
Weg durch mehrere Ortschaften langsam hinauf; Mittags erreichten
wir die ersten Lavaströme beim Städtchen Giarre, die von hohem
Alter mit üppigem Grün bewachsen sind. Die Häuser des Oert-
chens, aus der Lava erbaut, haben ein schwarzes trauriges Ansehn.
Bald sahen wir die Waldregionen des Berges vor uns,
durch die sich dunkle Lavaströme verwüstend stürzten und hin und
wieder nur grüne Inseln stehen ließen. Spät am Nachmittag sahen
wir die großen Kastanien am Ende der untern Region des
Berges. Sie machten uns nicht den Eindruck, den wir uns davon

Gegend veranlaßten die Vermuthung, dies ſei der Ort, an dem
Odyſſeus das Abenteuer mit dem Cyklopen beſtand. Eine von
ungeheuren Felsblöcken umſchloſſene Bucht wird noch jetzt der
Hafen des Ulyß genannt. Wir verließen die Maulthiere und
ſtiegen auf ein Vorgebirg, das ſich gegen das Meer zu mit einer
ſenkrechten Felswand endigt, aus deren kleinſten Spalten die In-
diſche Feige üppig hervorſproßt. — Mächtiger als jemals ergriff
mich der Eintritt in das Theater von Taurominium, deſſen
Trümmer auf dem Gipfel hervorragen. Ich ſah vor mir das
Proſcenium, über ihm und durch ſeine Oeffnungen eine unendliche
Ferne. Rechts ſtürzen ſich wilde Gebirge hinab; an ihrem Fuß
liegt unter Orangen und Palmen Taormina, ein Weg windet
ſich an der Felswand empor zum Caſtell auf dem Gipfel; mit
einem Kloſter ſteigt ein langer Hügel aus der Stadt hinab in’s
Meer, das wir tief unter uns rauſchen hörten; im Hintergrund
hebt ſich der Aetna in ſeiner ganzen Majeſtät empor und ſtreckt
ſich weit hinaus in die Ebene Catanias, das Meer beſchließt
den Horizont. Es ward uns ſchwer, den bezaubernden Ort zu
verlaſſen; welchen Eindruck müßte das Schauſpiel auf einem
Theater bei ſolchen Decorationen machen! Durch die Stadt führte
uns der Weg auf einem Felspfad hinab zum Meer in’s Wirths-
haus des Oertchens Giardino, wohin wir die Thiere geſchickt
hatten. Zur Erſparung der Zeit beſchloſſen wir von hier am fol-
genden Morgen die Reiſe auf den Aetna, der von den Sicilia-
nern Monte Gibello genannt wird, zu beginnen, und dann
auf Catania hinabzuſteigen. Durch fruchtbare Ebenen führt der
Weg durch mehrere Ortſchaften langſam hinauf; Mittags erreichten
wir die erſten Lavaſtröme beim Städtchen Giarre, die von hohem
Alter mit üppigem Grün bewachſen ſind. Die Häuſer des Oert-
chens, aus der Lava erbaut, haben ein ſchwarzes trauriges Anſehn.
Bald ſahen wir die Waldregionen des Berges vor uns,
durch die ſich dunkle Lavaſtröme verwüſtend ſtürzten und hin und
wieder nur grüne Inſeln ſtehen ließen. Spät am Nachmittag ſahen
wir die großen Kaſtanien am Ende der untern Region des
Berges. Sie machten uns nicht den Eindruck, den wir uns davon

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[70/0088] Gegend veranlaßten die Vermuthung, dies ſei der Ort, an dem Odyſſeus das Abenteuer mit dem Cyklopen beſtand. Eine von ungeheuren Felsblöcken umſchloſſene Bucht wird noch jetzt der Hafen des Ulyß genannt. Wir verließen die Maulthiere und ſtiegen auf ein Vorgebirg, das ſich gegen das Meer zu mit einer ſenkrechten Felswand endigt, aus deren kleinſten Spalten die In- diſche Feige üppig hervorſproßt. — Mächtiger als jemals ergriff mich der Eintritt in das Theater von Taurominium, deſſen Trümmer auf dem Gipfel hervorragen. Ich ſah vor mir das Proſcenium, über ihm und durch ſeine Oeffnungen eine unendliche Ferne. Rechts ſtürzen ſich wilde Gebirge hinab; an ihrem Fuß liegt unter Orangen und Palmen Taormina, ein Weg windet ſich an der Felswand empor zum Caſtell auf dem Gipfel; mit einem Kloſter ſteigt ein langer Hügel aus der Stadt hinab in’s Meer, das wir tief unter uns rauſchen hörten; im Hintergrund hebt ſich der Aetna in ſeiner ganzen Majeſtät empor und ſtreckt ſich weit hinaus in die Ebene Catanias, das Meer beſchließt den Horizont. Es ward uns ſchwer, den bezaubernden Ort zu verlaſſen; welchen Eindruck müßte das Schauſpiel auf einem Theater bei ſolchen Decorationen machen! Durch die Stadt führte uns der Weg auf einem Felspfad hinab zum Meer in’s Wirths- haus des Oertchens Giardino, wohin wir die Thiere geſchickt hatten. Zur Erſparung der Zeit beſchloſſen wir von hier am fol- genden Morgen die Reiſe auf den Aetna, der von den Sicilia- nern Monte Gibello genannt wird, zu beginnen, und dann auf Catania hinabzuſteigen. Durch fruchtbare Ebenen führt der Weg durch mehrere Ortſchaften langſam hinauf; Mittags erreichten wir die erſten Lavaſtröme beim Städtchen Giarre, die von hohem Alter mit üppigem Grün bewachſen ſind. Die Häuſer des Oert- chens, aus der Lava erbaut, haben ein ſchwarzes trauriges Anſehn. Bald ſahen wir die Waldregionen des Berges vor uns, durch die ſich dunkle Lavaſtröme verwüſtend ſtürzten und hin und wieder nur grüne Inſeln ſtehen ließen. Spät am Nachmittag ſahen wir die großen Kaſtanien am Ende der untern Region des Berges. Sie machten uns nicht den Eindruck, den wir uns davon

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/88>, abgerufen am 24.11.2024.