manchem Liebeshandel und zu mancher Heirath. -- Diese kleinen Wohnungen haben den ächt patriarchalischen Charakter. Man lebt wie in der frühen Zeit der Menschheit als eine große Familie beisammen. Die Vegetation um Messina ist außerordentlich; die Indische Feige, deren Blätter nicht selten 2 bis 3 Fuß lang emporstreben, und die mächtige Aloestaude, deren Blüthe wie ein Baum in die Lüfte ragt, umzäunen die Gärten des Landmannes, aus denen oft über Orangen die hohe Palme blickt. Mit schöner Waldung prangend, erhebt sich das Gebirge hinter der Stadt und bietet bezau- bernde Punkte für die Uebersicht der Meerenge. Von unglaub- licher Schönheit ist das Spiel der Farben an der Riesenküste Ka- labrien's hinter der blauen Ebene des Meeres. Von der bekannten Fata Morgana in der Enge von Messina, deren Ursache die Naturforscher verschieden erklären, sah ich nur eine schwache Wir- kung; an einem gewitterschweren Abend nach einem heißen Tage sah man ein sonderbares Wellen und Schimmern der Luft, das eine Art von Strömen aus der Küste Kalabriens zu der Siciliens vermuthen ließ. Figuren bildeten sich nicht, wie man sie manchmal mit allen Farben und Formen vorübereilen sieht.
Catania, 24. Mai 1804. Wiewohl man uns rieth, durch die Thäler Vall' Demone und Vall' di noto bewaffnete Garden gegen die Straßenräuber zu nehmen, so unterließen wir es doch, da wir mit dem Campieri, der uns die Maulthiere zum Ritt durch die ganze Insel vermiethete, und seinem Bruder ein Geschwader von 6 Personen bildeten. Der Weg bis Taormina, das alte Tau- rominium, verläßt die Küste nicht, die durch herrliche Vorgebirge beständige Abwechselung gewährt.
Unfern Reggio in der Enge lagen 3 große Schiffe der Barbareskenflotte, die uns auf dem ganzen Wege zur Seite blieben und den Küstenweg gefährlich machten. Die Afrikanischen See- räuber beunruhigen in jedem Jahre das Gestade der Insel; von Zeit zu Zeit landend, führen sie arme Küstenbewohner und Rei- sende zur Sclaverei. Es ist zu bewundern, daß nicht mehr gegen diese Einbrüche gethan wird. -- Der Abend kam, als wir das Gebirg von Taormina erreichten. Die Gigantenformen dieser
manchem Liebeshandel und zu mancher Heirath. — Dieſe kleinen Wohnungen haben den ächt patriarchaliſchen Charakter. Man lebt wie in der frühen Zeit der Menſchheit als eine große Familie beiſammen. Die Vegetation um Meſſina iſt außerordentlich; die Indiſche Feige, deren Blätter nicht ſelten 2 bis 3 Fuß lang emporſtreben, und die mächtige Aloeſtaude, deren Blüthe wie ein Baum in die Lüfte ragt, umzäunen die Gärten des Landmannes, aus denen oft über Orangen die hohe Palme blickt. Mit ſchöner Waldung prangend, erhebt ſich das Gebirge hinter der Stadt und bietet bezau- bernde Punkte für die Ueberſicht der Meerenge. Von unglaub- licher Schönheit iſt das Spiel der Farben an der Rieſenküſte Ka- labrien’s hinter der blauen Ebene des Meeres. Von der bekannten Fata Morgana in der Enge von Meſſina, deren Urſache die Naturforſcher verſchieden erklären, ſah ich nur eine ſchwache Wir- kung; an einem gewitterſchweren Abend nach einem heißen Tage ſah man ein ſonderbares Wellen und Schimmern der Luft, das eine Art von Strömen aus der Küſte Kalabriens zu der Siciliens vermuthen ließ. Figuren bildeten ſich nicht, wie man ſie manchmal mit allen Farben und Formen vorübereilen ſieht.
Catania, 24. Mai 1804. Wiewohl man uns rieth, durch die Thäler Vall’ Demone und Vall’ di noto bewaffnete Garden gegen die Straßenräuber zu nehmen, ſo unterließen wir es doch, da wir mit dem Campieri, der uns die Maulthiere zum Ritt durch die ganze Inſel vermiethete, und ſeinem Bruder ein Geſchwader von 6 Perſonen bildeten. Der Weg bis Taormina, das alte Tau- rominium, verläßt die Küſte nicht, die durch herrliche Vorgebirge beſtändige Abwechſelung gewährt.
Unfern Reggio in der Enge lagen 3 große Schiffe der Barbareskenflotte, die uns auf dem ganzen Wege zur Seite blieben und den Küſtenweg gefährlich machten. Die Afrikaniſchen See- räuber beunruhigen in jedem Jahre das Geſtade der Inſel; von Zeit zu Zeit landend, führen ſie arme Küſtenbewohner und Rei- ſende zur Sclaverei. Es iſt zu bewundern, daß nicht mehr gegen dieſe Einbrüche gethan wird. — Der Abend kam, als wir das Gebirg von Taormina erreichten. Die Gigantenformen dieſer
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manchem Liebeshandel und zu mancher Heirath. — Dieſe kleinen
Wohnungen haben den ächt patriarchaliſchen Charakter. Man lebt wie
in der frühen Zeit der Menſchheit als eine große Familie beiſammen.
Die Vegetation um Meſſina iſt außerordentlich; die Indiſche Feige,
deren Blätter nicht ſelten 2 bis 3 Fuß lang emporſtreben, und
die mächtige Aloeſtaude, deren Blüthe wie ein Baum in die Lüfte
ragt, umzäunen die Gärten des Landmannes, aus denen oft über
Orangen die hohe Palme blickt. Mit ſchöner Waldung prangend,
erhebt ſich das Gebirge hinter der Stadt und bietet bezau-
bernde Punkte für die Ueberſicht der Meerenge. Von unglaub-
licher Schönheit iſt das Spiel der Farben an der Rieſenküſte Ka-
labrien’s hinter der blauen Ebene des Meeres. Von der bekannten
Fata Morgana in der Enge von Meſſina, deren Urſache die
Naturforſcher verſchieden erklären, ſah ich nur eine ſchwache Wir-
kung; an einem gewitterſchweren Abend nach einem heißen Tage
ſah man ein ſonderbares Wellen und Schimmern der Luft, das
eine Art von Strömen aus der Küſte Kalabriens zu der Siciliens
vermuthen ließ. Figuren bildeten ſich nicht, wie man ſie manchmal
mit allen Farben und Formen vorübereilen ſieht.
Catania, 24. Mai 1804. Wiewohl man uns rieth, durch
die Thäler Vall’ Demone und Vall’ di noto bewaffnete Garden
gegen die Straßenräuber zu nehmen, ſo unterließen wir es doch,
da wir mit dem Campieri, der uns die Maulthiere zum Ritt durch
die ganze Inſel vermiethete, und ſeinem Bruder ein Geſchwader
von 6 Perſonen bildeten. Der Weg bis Taormina, das alte Tau-
rominium, verläßt die Küſte nicht, die durch herrliche Vorgebirge
beſtändige Abwechſelung gewährt.
Unfern Reggio in der Enge lagen 3 große Schiffe der
Barbareskenflotte, die uns auf dem ganzen Wege zur Seite blieben
und den Küſtenweg gefährlich machten. Die Afrikaniſchen See-
räuber beunruhigen in jedem Jahre das Geſtade der Inſel; von
Zeit zu Zeit landend, führen ſie arme Küſtenbewohner und Rei-
ſende zur Sclaverei. Es iſt zu bewundern, daß nicht mehr gegen
dieſe Einbrüche gethan wird. — Der Abend kam, als wir das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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