Abend dämmerte die Küste Siciliens. Langsam näherten wir uns; das frühe Tageslicht zeigte uns deutlicher das gigantische Ufer Kalabriens, und die mit sanfterem Gebirg sich vor ihm breitende Insel, gekrönt vom glänzenden Schneehaupt des Aetna. In gerader Säule stieg aus seinem Gipfel der Dampf in die Höhe und bildete hoch über ihm Wölkchen, die bald in reinem Aether verschwanden. Es neigte sich der Tag, als wir die Enge von Messina oder den Pharo erreichten -- das Bild Homers stand lebhaft vor meiner Seele, ich sah den irrenden Odysseus, wie er der brausenden Charybdis wich, um an den starrenden Felsen der Scylla die werthen Genossen zu verlieren, um sein und der Uebrigen Leben zu retten. -- Noch immer brauset Cha- rybdis dunkelwogend, doch ist sie dem großen Schiffe im Sturme nur gefährlich. Der Fels von Scylla ragt wie das entstürzte Haupt des jähen Kalabrischen Gebirges aus der Flut und wölbt die dunklen Grotten, in denen uns Homer das raubende Unge- heuer malt. Ein Kastell und Städtchen gleichen Namens hängen an seinem Abgrund. Die Küste Kalabriens ist groß und fürchterlich; sanfter und freundlich zieht mit milderer Natur das Sikulische Land hinan, bis zum hohen Gipfel des Aetna. Die Nacht brach ein, gewitterhaft umwölkte sich der Himmel und Sturm erhob sich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die strudelnde Flut der Charybdis. Der Capitain, der, des übertriebenen Preises wegen, den Dienst des Lootsen ausschlug, hatte seine ganze Gegenwart nöthig, der Strandung zu entgehen. Mit der Mitternacht liefen wir in den Hafen Messinas.
Kein Ort erlitt mehr durch die Revolutionen der Natur als Messina. In jedem Jahrhundert vom Erdbeben zertrümmert, trägt es den ganzen Charakter seines Schicksal's. Am Hafen steht die lange Reihe der Ruinen ehemaliger Paläste, und durch die ganze Stadt herrscht ein beständiger Bau. Ein großer Theil der Einwohner zog nach der letzten Verwüstung aus dem Thor und ließ auf einer Ebene sich in niedrigen Hütten nieder, die jetzt eine Vorstadt bilden. Eng zusammengebaut, gab es Gelegenheit zu
Abend dämmerte die Küſte Siciliens. Langſam näherten wir uns; das frühe Tageslicht zeigte uns deutlicher das gigantiſche Ufer Kalabriens, und die mit ſanfterem Gebirg ſich vor ihm breitende Inſel, gekrönt vom glänzenden Schneehaupt des Aetna. In gerader Säule ſtieg aus ſeinem Gipfel der Dampf in die Höhe und bildete hoch über ihm Wölkchen, die bald in reinem Aether verſchwanden. Es neigte ſich der Tag, als wir die Enge von Meſſina oder den Pharo erreichten — das Bild Homers ſtand lebhaft vor meiner Seele, ich ſah den irrenden Odyſſeus, wie er der brauſenden Charybdis wich, um an den ſtarrenden Felſen der Scylla die werthen Genoſſen zu verlieren, um ſein und der Uebrigen Leben zu retten. — Noch immer brauſet Cha- rybdis dunkelwogend, doch iſt ſie dem großen Schiffe im Sturme nur gefährlich. Der Fels von Scylla ragt wie das entſtürzte Haupt des jähen Kalabriſchen Gebirges aus der Flut und wölbt die dunklen Grotten, in denen uns Homer das raubende Unge- heuer malt. Ein Kaſtell und Städtchen gleichen Namens hängen an ſeinem Abgrund. Die Küſte Kalabriens iſt groß und fürchterlich; ſanfter und freundlich zieht mit milderer Natur das Sikuliſche Land hinan, bis zum hohen Gipfel des Aetna. Die Nacht brach ein, gewitterhaft umwölkte ſich der Himmel und Sturm erhob ſich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die ſtrudelnde Flut der Charybdis. Der Capitain, der, des übertriebenen Preiſes wegen, den Dienſt des Lootſen ausſchlug, hatte ſeine ganze Gegenwart nöthig, der Strandung zu entgehen. Mit der Mitternacht liefen wir in den Hafen Meſſinas.
Kein Ort erlitt mehr durch die Revolutionen der Natur als Meſſina. In jedem Jahrhundert vom Erdbeben zertrümmert, trägt es den ganzen Charakter ſeines Schickſal’s. Am Hafen ſteht die lange Reihe der Ruinen ehemaliger Paläſte, und durch die ganze Stadt herrſcht ein beſtändiger Bau. Ein großer Theil der Einwohner zog nach der letzten Verwüſtung aus dem Thor und ließ auf einer Ebene ſich in niedrigen Hütten nieder, die jetzt eine Vorſtadt bilden. Eng zuſammengebaut, gab es Gelegenheit zu
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Abend dämmerte die Küſte Siciliens. Langſam näherten wir
uns; das frühe Tageslicht zeigte uns deutlicher das gigantiſche
Ufer Kalabriens, und die mit ſanfterem Gebirg ſich vor ihm
breitende Inſel, gekrönt vom glänzenden Schneehaupt des Aetna.
In gerader Säule ſtieg aus ſeinem Gipfel der Dampf in die
Höhe und bildete hoch über ihm Wölkchen, die bald in reinem
Aether verſchwanden. Es neigte ſich der Tag, als wir die Enge
von Meſſina oder den Pharo erreichten — das Bild Homers
ſtand lebhaft vor meiner Seele, ich ſah den irrenden Odyſſeus,
wie er der brauſenden Charybdis wich, um an den ſtarrenden
Felſen der Scylla die werthen Genoſſen zu verlieren, um ſein
und der Uebrigen Leben zu retten. — Noch immer brauſet Cha-
rybdis dunkelwogend, doch iſt ſie dem großen Schiffe im Sturme
nur gefährlich. Der Fels von Scylla ragt wie das entſtürzte
Haupt des jähen Kalabriſchen Gebirges aus der Flut und wölbt
die dunklen Grotten, in denen uns Homer das raubende Unge-
heuer malt. Ein Kaſtell und Städtchen gleichen Namens
hängen an ſeinem Abgrund. Die Küſte Kalabriens iſt groß und
fürchterlich; ſanfter und freundlich zieht mit milderer Natur das
Sikuliſche Land hinan, bis zum hohen Gipfel des Aetna.
Die Nacht brach ein, gewitterhaft umwölkte ſich der Himmel und
Sturm erhob ſich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück
in die ſtrudelnde Flut der Charybdis. Der Capitain, der, des
übertriebenen Preiſes wegen, den Dienſt des Lootſen ausſchlug,
hatte ſeine ganze Gegenwart nöthig, der Strandung zu entgehen.
Mit der Mitternacht liefen wir in den Hafen Meſſinas.
Kein Ort erlitt mehr durch die Revolutionen der Natur als
Meſſina. In jedem Jahrhundert vom Erdbeben zertrümmert,
trägt es den ganzen Charakter ſeines Schickſal’s. Am Hafen ſteht
die lange Reihe der Ruinen ehemaliger Paläſte, und durch die
ganze Stadt herrſcht ein beſtändiger Bau. Ein großer Theil der
Einwohner zog nach der letzten Verwüſtung aus dem Thor und
ließ auf einer Ebene ſich in niedrigen Hütten nieder, die jetzt eine
Vorſtadt bilden. Eng zuſammengebaut, gab es Gelegenheit zu
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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