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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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-- todt. Der Tod war als ein Längsterwarteter an ihn heran-
getreten. Schon am Tage zuvor hatte er zu sterben geglaubt und
bei einer Truppenvorstellung, die er selbst noch leitete, seinen Adju-
tanten gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen zu
können, wenn er vom Pferde stürze. Bis zuletzt war ihm das
"Ich dien'" ein Stolz und ein Bedürfniß gewesen.

Günther war 46 Jahre lang Soldat. Immer zeigte er sich
treu in Erfüllung seiner Pflicht, immer war er ein ritterliches
Vorbild, ein organisatorisches und militärisches Talent, und doch,
ohne jene kriegerische Episode am Narew, würden wir wenig oder
nichts von ihm wissen. Selbst die Sage, die sich an seine Geburt
knüpft, würde nicht ausgereicht haben, ihn vor dem Vergessen-
werden zu bewahren, denn ein pikant-anekdotisches Element steigert
wohl ein schon vorhandenes, auf Thaten gegründetes Interesse,
aber ist zu schwach, es zu wecken. Günther's Ruhm und Bedeu-
tung wurzelt in den kurzen Kämpfen von 1794. Wenn trotz dieser
Kämpfe sein Name nicht heller glänzt, so liegt das in einer Ver-
kettung äußerer Umstände, unter deren Ungunst manche hervor-
ragende Kraft jener Zeit und speciell jener polnischen Kämpfe zu
leiden gehabt hat. Der Krieg war unpopulär, die Theilung Polens
eine Maßregel, der die Sympathieen der Völker niemals zur Seite
gestanden hatten und die Schroffheit Suwaroff's, die des Guten
in derselben Weise zu viel that, wie die oberste Leitung preußi-
scherseits (freilich ohne Verschulden unsres Günther) des Guten zu
wenig leistete, war nicht geeignet, dem ganzen Kampfe die Sym-
pathieen zu erwecken, die ihm bis dahin gefehlt hatten. Man schämte
sich fast des Krieges, man hatte keine Freude daran und die ein-
zelne Großthat litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze stand.
Dies würde alles genugsam erklären, aber was den Ausschlag
gab, war noch ein andres. Kaum ist es nöthig, es zu nennen.
Der Untergang des alten Preußen und die Wiederaufrichtung
eines neuen waren Welt-Ereignisse, die diesen Vorgängen der
90ger Jahre auf dem Fuße folgten und die wie eine mächtige
Fluth all die Marksteine einer kleineren Geschichtsepoche umwarfen

— todt. Der Tod war als ein Längſterwarteter an ihn heran-
getreten. Schon am Tage zuvor hatte er zu ſterben geglaubt und
bei einer Truppenvorſtellung, die er ſelbſt noch leitete, ſeinen Adju-
tanten gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen zu
können, wenn er vom Pferde ſtürze. Bis zuletzt war ihm das
„Ich dien’“ ein Stolz und ein Bedürfniß geweſen.

Günther war 46 Jahre lang Soldat. Immer zeigte er ſich
treu in Erfüllung ſeiner Pflicht, immer war er ein ritterliches
Vorbild, ein organiſatoriſches und militäriſches Talent, und doch,
ohne jene kriegeriſche Epiſode am Narew, würden wir wenig oder
nichts von ihm wiſſen. Selbſt die Sage, die ſich an ſeine Geburt
knüpft, würde nicht ausgereicht haben, ihn vor dem Vergeſſen-
werden zu bewahren, denn ein pikant-anekdotiſches Element ſteigert
wohl ein ſchon vorhandenes, auf Thaten gegründetes Intereſſe,
aber iſt zu ſchwach, es zu wecken. Günther’s Ruhm und Bedeu-
tung wurzelt in den kurzen Kämpfen von 1794. Wenn trotz dieſer
Kämpfe ſein Name nicht heller glänzt, ſo liegt das in einer Ver-
kettung äußerer Umſtände, unter deren Ungunſt manche hervor-
ragende Kraft jener Zeit und ſpeciell jener polniſchen Kämpfe zu
leiden gehabt hat. Der Krieg war unpopulär, die Theilung Polens
eine Maßregel, der die Sympathieen der Völker niemals zur Seite
geſtanden hatten und die Schroffheit Suwaroff’s, die des Guten
in derſelben Weiſe zu viel that, wie die oberſte Leitung preußi-
ſcherſeits (freilich ohne Verſchulden unſres Günther) des Guten zu
wenig leiſtete, war nicht geeignet, dem ganzen Kampfe die Sym-
pathieen zu erwecken, die ihm bis dahin gefehlt hatten. Man ſchämte
ſich faſt des Krieges, man hatte keine Freude daran und die ein-
zelne Großthat litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze ſtand.
Dies würde alles genugſam erklären, aber was den Ausſchlag
gab, war noch ein andres. Kaum iſt es nöthig, es zu nennen.
Der Untergang des alten Preußen und die Wiederaufrichtung
eines neuen waren Welt-Ereigniſſe, die dieſen Vorgängen der
90ger Jahre auf dem Fuße folgten und die wie eine mächtige
Fluth all die Markſteine einer kleineren Geſchichtsepoche umwarfen

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[59/0077] — todt. Der Tod war als ein Längſterwarteter an ihn heran- getreten. Schon am Tage zuvor hatte er zu ſterben geglaubt und bei einer Truppenvorſtellung, die er ſelbſt noch leitete, ſeinen Adju- tanten gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen zu können, wenn er vom Pferde ſtürze. Bis zuletzt war ihm das „Ich dien’“ ein Stolz und ein Bedürfniß geweſen. Günther war 46 Jahre lang Soldat. Immer zeigte er ſich treu in Erfüllung ſeiner Pflicht, immer war er ein ritterliches Vorbild, ein organiſatoriſches und militäriſches Talent, und doch, ohne jene kriegeriſche Epiſode am Narew, würden wir wenig oder nichts von ihm wiſſen. Selbſt die Sage, die ſich an ſeine Geburt knüpft, würde nicht ausgereicht haben, ihn vor dem Vergeſſen- werden zu bewahren, denn ein pikant-anekdotiſches Element ſteigert wohl ein ſchon vorhandenes, auf Thaten gegründetes Intereſſe, aber iſt zu ſchwach, es zu wecken. Günther’s Ruhm und Bedeu- tung wurzelt in den kurzen Kämpfen von 1794. Wenn trotz dieſer Kämpfe ſein Name nicht heller glänzt, ſo liegt das in einer Ver- kettung äußerer Umſtände, unter deren Ungunſt manche hervor- ragende Kraft jener Zeit und ſpeciell jener polniſchen Kämpfe zu leiden gehabt hat. Der Krieg war unpopulär, die Theilung Polens eine Maßregel, der die Sympathieen der Völker niemals zur Seite geſtanden hatten und die Schroffheit Suwaroff’s, die des Guten in derſelben Weiſe zu viel that, wie die oberſte Leitung preußi- ſcherſeits (freilich ohne Verſchulden unſres Günther) des Guten zu wenig leiſtete, war nicht geeignet, dem ganzen Kampfe die Sym- pathieen zu erwecken, die ihm bis dahin gefehlt hatten. Man ſchämte ſich faſt des Krieges, man hatte keine Freude daran und die ein- zelne Großthat litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze ſtand. Dies würde alles genugſam erklären, aber was den Ausſchlag gab, war noch ein andres. Kaum iſt es nöthig, es zu nennen. Der Untergang des alten Preußen und die Wiederaufrichtung eines neuen waren Welt-Ereigniſſe, die dieſen Vorgängen der 90ger Jahre auf dem Fuße folgten und die wie eine mächtige Fluth all die Markſteine einer kleineren Geſchichtsepoche umwarfen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/77>, abgerufen am 24.11.2024.