nicht ermangeln, an höchster Stelle die Aufmerksamkeit auf einen so ausgezeichneten, so hingebenden und zu gleicher Zeit so vom Erfolge gekrönten Offizier hinzulenken, und wiewohl erst der dritte General beim Corps, übertrug ihm der König (während die Trup- pen in Süd-Preußen unter den Befehl des Generals Favrat ge- stellt wurden) das Oberkommando über alle am rechten Weichsel- Ufer (so schreibt Boyen; es muß aber unbedenklich das linke heißen) stehenden Truppen, deren Bestimmung es war, mit den Russen unter Suwaroff gemeinschaftlich gegen Warschau vorzu- dringen und durch Einnahme der Hauptstadt den Heerd des Auf- standes zu ersticken. So sah sich Günther, der bis dahin über den Partheigänger-Krieg nicht hinausgekommen war, plötzlich an die Spitze einer "Armee" gestellt und der Bestimmung gegenüber, selbständig und im großen Stil zu operiren. Freudig und muth- voll erfaßte er die ihm gewordene Aufgabe und sah im Geiste bereits eine zweite ruhmreiche Schlacht bei Warschau geschlagen, unter dessen Mauern die Brandenburger schon einmal gekämpft und den lange schwankenden Kampf zur Entscheidung gebracht hatten. Aber es war anders beschlossen; noch eh' das Corps die Weichsel überschreiten konnte, traf die Nachricht von der Erstür- mung Praga's ein. Warschau, zitternd vor der eisernen Hand Suwaroff's, hatte seine Thore den Russen geöffnet. Der Krieg war zu Ende, und nach einer interimistischen Verwaltung der Pro- vinz (Süd-Preußens) nahm der Friedensdienst und das Garnison- leben in kleinen Städten auf's Neue seinen Anfang. Günther und die Bosniaken, deren Chef er blieb, kamen nach Tycoczyn. Die Auszeichnungen drängten sich jetzt. 1795 ward er General- Lieutenant; zwei Jahre später erhob ihn Friedrich Wilhelm III. (gleich nach seiner Thronbesteigung) in den Freiherrnstand; endlich 1802, nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adler-Orden. Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch blieb ihm, sich dieser Ehren und Auszeichnungen zu erfreuen. Ein halbes Jahr später, am 22. April 1803, starb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand er den General am Schreibtisch, den Kopf auf die Seite geneigt
nicht ermangeln, an höchſter Stelle die Aufmerkſamkeit auf einen ſo ausgezeichneten, ſo hingebenden und zu gleicher Zeit ſo vom Erfolge gekrönten Offizier hinzulenken, und wiewohl erſt der dritte General beim Corps, übertrug ihm der König (während die Trup- pen in Süd-Preußen unter den Befehl des Generals Favrat ge- ſtellt wurden) das Oberkommando über alle am rechten Weichſel- Ufer (ſo ſchreibt Boyen; es muß aber unbedenklich das linke heißen) ſtehenden Truppen, deren Beſtimmung es war, mit den Ruſſen unter Suwaroff gemeinſchaftlich gegen Warſchau vorzu- dringen und durch Einnahme der Hauptſtadt den Heerd des Auf- ſtandes zu erſticken. So ſah ſich Günther, der bis dahin über den Partheigänger-Krieg nicht hinausgekommen war, plötzlich an die Spitze einer „Armee“ geſtellt und der Beſtimmung gegenüber, ſelbſtändig und im großen Stil zu operiren. Freudig und muth- voll erfaßte er die ihm gewordene Aufgabe und ſah im Geiſte bereits eine zweite ruhmreiche Schlacht bei Warſchau geſchlagen, unter deſſen Mauern die Brandenburger ſchon einmal gekämpft und den lange ſchwankenden Kampf zur Entſcheidung gebracht hatten. Aber es war anders beſchloſſen; noch eh’ das Corps die Weichſel überſchreiten konnte, traf die Nachricht von der Erſtür- mung Praga’s ein. Warſchau, zitternd vor der eiſernen Hand Suwaroff’s, hatte ſeine Thore den Ruſſen geöffnet. Der Krieg war zu Ende, und nach einer interimiſtiſchen Verwaltung der Pro- vinz (Süd-Preußens) nahm der Friedensdienſt und das Garniſon- leben in kleinen Städten auf’s Neue ſeinen Anfang. Günther und die Bosniaken, deren Chef er blieb, kamen nach Tycoczyn. Die Auszeichnungen drängten ſich jetzt. 1795 ward er General- Lieutenant; zwei Jahre ſpäter erhob ihn Friedrich Wilhelm III. (gleich nach ſeiner Thronbeſteigung) in den Freiherrnſtand; endlich 1802, nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adler-Orden. Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch blieb ihm, ſich dieſer Ehren und Auszeichnungen zu erfreuen. Ein halbes Jahr ſpäter, am 22. April 1803, ſtarb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand er den General am Schreibtiſch, den Kopf auf die Seite geneigt
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nicht ermangeln, an höchſter Stelle die Aufmerkſamkeit auf einen
ſo ausgezeichneten, ſo hingebenden und zu gleicher Zeit ſo vom
Erfolge gekrönten Offizier hinzulenken, und wiewohl erſt der dritte
General beim Corps, übertrug ihm der König (während die Trup-
pen in Süd-Preußen unter den Befehl des Generals Favrat ge-
ſtellt wurden) das Oberkommando über alle am rechten Weichſel-
Ufer (ſo ſchreibt Boyen; es muß aber unbedenklich das linke
heißen) ſtehenden Truppen, deren Beſtimmung es war, mit den
Ruſſen unter Suwaroff gemeinſchaftlich gegen Warſchau vorzu-
dringen und durch Einnahme der Hauptſtadt den Heerd des Auf-
ſtandes zu erſticken. So ſah ſich Günther, der bis dahin über den
Partheigänger-Krieg nicht hinausgekommen war, plötzlich an die
Spitze einer „Armee“ geſtellt und der Beſtimmung gegenüber,
ſelbſtändig und im großen Stil zu operiren. Freudig und muth-
voll erfaßte er die ihm gewordene Aufgabe und ſah im Geiſte
bereits eine zweite ruhmreiche Schlacht bei Warſchau geſchlagen,
unter deſſen Mauern die Brandenburger ſchon einmal gekämpft
und den lange ſchwankenden Kampf zur Entſcheidung gebracht
hatten. Aber es war anders beſchloſſen; noch eh’ das Corps die
Weichſel überſchreiten konnte, traf die Nachricht von der Erſtür-
mung Praga’s ein. Warſchau, zitternd vor der eiſernen Hand
Suwaroff’s, hatte ſeine Thore den Ruſſen geöffnet. Der Krieg
war zu Ende, und nach einer interimiſtiſchen Verwaltung der Pro-
vinz (Süd-Preußens) nahm der Friedensdienſt und das Garniſon-
leben in kleinen Städten auf’s Neue ſeinen Anfang. Günther
und die Bosniaken, deren Chef er blieb, kamen nach Tycoczyn.
Die Auszeichnungen drängten ſich jetzt. 1795 ward er General-
Lieutenant; zwei Jahre ſpäter erhob ihn Friedrich Wilhelm III.
(gleich nach ſeiner Thronbeſteigung) in den Freiherrnſtand; endlich
1802, nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adler-Orden.
Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch blieb ihm, ſich dieſer Ehren
und Auszeichnungen zu erfreuen. Ein halbes Jahr ſpäter, am
22. April 1803, ſtarb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand
er den General am Schreibtiſch, den Kopf auf die Seite geneigt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/76>, abgerufen am 24.11.2024.
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