in seinem Zimmer auf Consolen und Simsen umherstanden, befan- den sich auch die Modell-Gestalten zweier Grazien, die er in grüner Wachsmasse ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus seiner besten Zeit, kleine chef d'oeuvres, die mehr als einmal die Bewunde- rung eintretender Künstler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorsichtigkeit waren während des Winters 1840 beide Modell- Figuren in die Nähe des Ofens gestellt worden und das halb- geschmolzene Wachs überzog seitdem, wie eine Art Pickelhaut, die Oberfläche der beiden graziösen Gestalten. Ein Tausendkünstler aus der Schadow'schen Bekanntschaft erbot sich, mit Hülfe von Naphta oder Aether die alte normale Schönheit wiederherzustellen. "Na, na," hatte der Alte kopfschüttelnd abgewehrt, sich aber schließlich doch bestimmen lassen. Sehr zur Unzeit. In einem Zustande un- geahnter Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether- gebadeten in das Schadow'sche Haus zurück. Der Alte ging musternd um seine Lieblingsgestalten herum, schmunzelte einen Augen- blick und sagte dann ruhig zu dem erwartungsvoll Dastehenden: "De Pickeln sind weg, aber de Pelle ooch." Wenige hätten gleich ihm die Beherrschung gehabt, mit einer humoristischen Bemerkung von ein Paar Lieblingsgestalten wie diese auf immer Abschied zu nehmen.
Er war auch (freilich in seiner Weise) ein Repräsentant der berliner Ironie, dieser trostlosesten aller Blüthen, die der Geist dieser Landestheile je getrieben hat. Man hat, wenn solche Abschweifung an dieser Stelle gestattet ist, dies ironische Wesen auf den märki- schen Sand, auf die Dürre und Trockenheit des Bodens, auf den Voltaireanismus König Friedrich's II. und auf die eigenthümliche Mischung der ursprünglichen berliner Bevölkerung mit französischen und jüdischen Elementen zurückführen wollen, -- aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Alles das mag den Ton, die Form der Sache bestimmt haben, aber es erzeugte nicht die Sache selbst. Die Sache selbst war Nothwehr, war das Product der Unfreiheit, eine natürliche Folge davon, daß einer Ansammlung bedeutender geistiger Kräfte die großen Schauplätze und Werkstätten des öffent-
in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, befan- den ſich auch die Modell-Geſtalten zweier Grazien, die er in grüner Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus ſeiner beſten Zeit, kleine chef d’œuvres, die mehr als einmal die Bewunde- rung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten. Durch eine Unvorſichtigkeit waren während des Winters 1840 beide Modell- Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und das halb- geſchmolzene Wachs überzog ſeitdem, wie eine Art Pickelhaut, die Oberfläche der beiden graziöſen Geſtalten. Ein Tauſendkünſtler aus der Schadow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta oder Aether die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na, na,“ hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich doch beſtimmen laſſen. Sehr zur Unzeit. In einem Zuſtande un- geahnter Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether- gebadeten in das Schadow’ſche Haus zurück. Der Alte ging muſternd um ſeine Lieblingsgeſtalten herum, ſchmunzelte einen Augen- blick und ſagte dann ruhig zu dem erwartungsvoll Daſtehenden: „De Pickeln ſind weg, aber de Pelle ooch.“ Wenige hätten gleich ihm die Beherrſchung gehabt, mit einer humoriſtiſchen Bemerkung von ein Paar Lieblingsgeſtalten wie dieſe auf immer Abſchied zu nehmen.
Er war auch (freilich in ſeiner Weiſe) ein Repräſentant der berliner Ironie, dieſer troſtloſeſten aller Blüthen, die der Geiſt dieſer Landestheile je getrieben hat. Man hat, wenn ſolche Abſchweifung an dieſer Stelle geſtattet iſt, dies ironiſche Weſen auf den märki- ſchen Sand, auf die Dürre und Trockenheit des Bodens, auf den Voltaireanismus König Friedrich’s II. und auf die eigenthümliche Miſchung der urſprünglichen berliner Bevölkerung mit franzöſiſchen und jüdiſchen Elementen zurückführen wollen, — aber, wie ich glaube, mit Unrecht. Alles das mag den Ton, die Form der Sache beſtimmt haben, aber es erzeugte nicht die Sache ſelbſt. Die Sache ſelbſt war Nothwehr, war das Product der Unfreiheit, eine natürliche Folge davon, daß einer Anſammlung bedeutender geiſtiger Kräfte die großen Schauplätze und Werkſtätten des öffent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0448"n="430"/>
in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, befan-<lb/>
den ſich auch die Modell-Geſtalten zweier Grazien, die er in grüner<lb/>
Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus ſeiner beſten<lb/>
Zeit, kleine <hirendition="#aq">chef d’œuvres,</hi> die mehr als einmal die Bewunde-<lb/>
rung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten. Durch eine<lb/>
Unvorſichtigkeit waren während des Winters 1840 beide Modell-<lb/>
Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und das halb-<lb/>
geſchmolzene Wachs überzog ſeitdem, wie eine Art Pickelhaut, die<lb/>
Oberfläche der beiden graziöſen Geſtalten. Ein Tauſendkünſtler aus<lb/>
der Schadow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta<lb/>
oder Aether die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na,<lb/>
na,“ hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich<lb/>
doch beſtimmen laſſen. Sehr zur Unzeit. In einem Zuſtande un-<lb/>
geahnter Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-<lb/>
gebadeten in das Schadow’ſche Haus zurück. Der Alte ging<lb/>
muſternd um ſeine Lieblingsgeſtalten herum, ſchmunzelte einen Augen-<lb/>
blick und ſagte dann ruhig zu dem erwartungsvoll Daſtehenden:<lb/>„De Pickeln ſind weg, aber de Pelle ooch.“ Wenige hätten gleich<lb/>
ihm die Beherrſchung gehabt, mit einer humoriſtiſchen Bemerkung<lb/>
von ein Paar Lieblingsgeſtalten wie dieſe auf immer Abſchied zu<lb/>
nehmen.</p><lb/><p>Er war auch (freilich in ſeiner Weiſe) ein Repräſentant der<lb/>
berliner Ironie, dieſer troſtloſeſten aller Blüthen, die der Geiſt dieſer<lb/>
Landestheile je getrieben hat. Man hat, wenn ſolche Abſchweifung<lb/>
an dieſer Stelle geſtattet iſt, dies ironiſche Weſen auf den märki-<lb/>ſchen Sand, auf die Dürre und Trockenheit des Bodens, auf den<lb/>
Voltaireanismus König Friedrich’s <hirendition="#aq">II.</hi> und auf die eigenthümliche<lb/>
Miſchung der urſprünglichen berliner Bevölkerung mit franzöſiſchen<lb/>
und jüdiſchen Elementen zurückführen wollen, — aber, wie ich<lb/>
glaube, mit Unrecht. Alles das mag den <hirendition="#g">Ton</hi>, die <hirendition="#g">Form</hi> der<lb/>
Sache beſtimmt haben, aber es erzeugte nicht die <hirendition="#g">Sache ſelbſt</hi>.<lb/>
Die Sache ſelbſt war Nothwehr, war das Product der Unfreiheit,<lb/>
eine natürliche Folge davon, daß einer Anſammlung bedeutender<lb/>
geiſtiger Kräfte die großen Schauplätze und Werkſtätten des öffent-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[430/0448]
in ſeinem Zimmer auf Conſolen und Simſen umherſtanden, befan-
den ſich auch die Modell-Geſtalten zweier Grazien, die er in grüner
Wachsmaſſe ausgeführt hatte. Es waren Arbeiten aus ſeiner beſten
Zeit, kleine chef d’œuvres, die mehr als einmal die Bewunde-
rung eintretender Künſtler und Kenner erregt hatten. Durch eine
Unvorſichtigkeit waren während des Winters 1840 beide Modell-
Figuren in die Nähe des Ofens geſtellt worden und das halb-
geſchmolzene Wachs überzog ſeitdem, wie eine Art Pickelhaut, die
Oberfläche der beiden graziöſen Geſtalten. Ein Tauſendkünſtler aus
der Schadow’ſchen Bekanntſchaft erbot ſich, mit Hülfe von Naphta
oder Aether die alte normale Schönheit wiederherzuſtellen. „Na,
na,“ hatte der Alte kopfſchüttelnd abgewehrt, ſich aber ſchließlich
doch beſtimmen laſſen. Sehr zur Unzeit. In einem Zuſtande un-
geahnter Schlankheit kehrten nach kaum acht Tagen die Aether-
gebadeten in das Schadow’ſche Haus zurück. Der Alte ging
muſternd um ſeine Lieblingsgeſtalten herum, ſchmunzelte einen Augen-
blick und ſagte dann ruhig zu dem erwartungsvoll Daſtehenden:
„De Pickeln ſind weg, aber de Pelle ooch.“ Wenige hätten gleich
ihm die Beherrſchung gehabt, mit einer humoriſtiſchen Bemerkung
von ein Paar Lieblingsgeſtalten wie dieſe auf immer Abſchied zu
nehmen.
Er war auch (freilich in ſeiner Weiſe) ein Repräſentant der
berliner Ironie, dieſer troſtloſeſten aller Blüthen, die der Geiſt dieſer
Landestheile je getrieben hat. Man hat, wenn ſolche Abſchweifung
an dieſer Stelle geſtattet iſt, dies ironiſche Weſen auf den märki-
ſchen Sand, auf die Dürre und Trockenheit des Bodens, auf den
Voltaireanismus König Friedrich’s II. und auf die eigenthümliche
Miſchung der urſprünglichen berliner Bevölkerung mit franzöſiſchen
und jüdiſchen Elementen zurückführen wollen, — aber, wie ich
glaube, mit Unrecht. Alles das mag den Ton, die Form der
Sache beſtimmt haben, aber es erzeugte nicht die Sache ſelbſt.
Die Sache ſelbſt war Nothwehr, war das Product der Unfreiheit,
eine natürliche Folge davon, daß einer Anſammlung bedeutender
geiſtiger Kräfte die großen Schauplätze und Werkſtätten des öffent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/448>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.