körnige Zeichenpapier, und während er jetzt die markirten Stellen mittels fest und sicher gezogener Linien unter einander verbindet, brummt er vor sich hin: "Det hab' ick von meinen Vater, det war'n Schneider."
Gottfried Schadow, der Saalower Schneiderssohn, ist Gottfried Schadow, der Akademie-Director geworden, ein berühm- ter Mann, ein Name, der Klang hat von einem Ende Europa's bis zum andern. Derselbe Gottfried, der rasch das Bild von der Schiefertafel wischte und dienstfertig aufsprang, wenn der strenge Vater mit dem Deckelkruge klappte, derselbe Gottfried ist jetzt sel- ber ein strenger Hausherr geworden, vielleicht nicht strenger als der Vater, aber mächtiger und gefürchteter. Sein Haushalt ist die Akademie. Er ist ihr König und Herr; längst hat er seine Macht als einen unerschütterlichen rocher de bronze stabilirt; die Zei- ten, wo er Beispiele statuiren mußte, liegen hinter ihm und, wie ein milde gewordener Tyrann, spielt er mit dem Zügel seiner Herrschaft. Aller Abzeichen seiner Würde, alles repräsentativen Flitters, hat er sich längst entkleidet; er regiert durch sich selbst, kraft seiner Kraft. Ob das Sacktuch, das er aus seinem taschen- reichen Rocke zieht, von Kattun ist oder von Seide; ob er riesige Filzschuhe trägt, oder kalblederne Stiefel (in die er, überall an Ballen und Zehen, große Löcher geschnitten hat) ob er hochdeutsch spricht, oder im Berliner Jargon -- es kümmert ihn nicht und es kümmert Andere nicht; denn er sowohl, wie Andere, empfinden doch jeden Augenblick, daß er der alte Schadow ist. Herrscherge- wohnheit und das Bewußtsein völliger Ueberlegenheit haben seinem Auftreten längst jede Spur von Scheu oder Genirtheit genommen, und was er denkt und fühlt, das spricht er aus. Sein Wille ist Gesetz; seine Laune nicht minder. Eine Anekdote mag ihn schildern, wie er das Scepter führt.
Es ist eine Abendsitzung; der akademische Senat hat sich versammelt, Director und Professoren; keiner fehlt. Der Saal ist hell erleuchtet und das Licht fällt auf die schönen Blechen'schen Zeichnungen, die an den Ständern und Wandschirmen befestigt
körnige Zeichenpapier, und während er jetzt die markirten Stellen mittels feſt und ſicher gezogener Linien unter einander verbindet, brummt er vor ſich hin: „Det hab’ ick von meinen Vater, det war’n Schneider.“
Gottfried Schadow, der Saalower Schneidersſohn, iſt Gottfried Schadow, der Akademie-Director geworden, ein berühm- ter Mann, ein Name, der Klang hat von einem Ende Europa’s bis zum andern. Derſelbe Gottfried, der raſch das Bild von der Schiefertafel wiſchte und dienſtfertig aufſprang, wenn der ſtrenge Vater mit dem Deckelkruge klappte, derſelbe Gottfried iſt jetzt ſel- ber ein ſtrenger Hausherr geworden, vielleicht nicht ſtrenger als der Vater, aber mächtiger und gefürchteter. Sein Haushalt iſt die Akademie. Er iſt ihr König und Herr; längſt hat er ſeine Macht als einen unerſchütterlichen rocher de bronze ſtabilirt; die Zei- ten, wo er Beiſpiele ſtatuiren mußte, liegen hinter ihm und, wie ein milde gewordener Tyrann, ſpielt er mit dem Zügel ſeiner Herrſchaft. Aller Abzeichen ſeiner Würde, alles repräſentativen Flitters, hat er ſich längſt entkleidet; er regiert durch ſich ſelbſt, kraft ſeiner Kraft. Ob das Sacktuch, das er aus ſeinem taſchen- reichen Rocke zieht, von Kattun iſt oder von Seide; ob er rieſige Filzſchuhe trägt, oder kalblederne Stiefel (in die er, überall an Ballen und Zehen, große Löcher geſchnitten hat) ob er hochdeutſch ſpricht, oder im Berliner Jargon — es kümmert ihn nicht und es kümmert Andere nicht; denn er ſowohl, wie Andere, empfinden doch jeden Augenblick, daß er der alte Schadow iſt. Herrſcherge- wohnheit und das Bewußtſein völliger Ueberlegenheit haben ſeinem Auftreten längſt jede Spur von Scheu oder Genirtheit genommen, und was er denkt und fühlt, das ſpricht er aus. Sein Wille iſt Geſetz; ſeine Laune nicht minder. Eine Anekdote mag ihn ſchildern, wie er das Scepter führt.
Es iſt eine Abendſitzung; der akademiſche Senat hat ſich verſammelt, Director und Profeſſoren; keiner fehlt. Der Saal iſt hell erleuchtet und das Licht fällt auf die ſchönen Blechen’ſchen Zeichnungen, die an den Ständern und Wandſchirmen befeſtigt
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körnige Zeichenpapier, und während er jetzt die markirten
Stellen mittels feſt und ſicher gezogener Linien unter einander
verbindet, brummt er vor ſich hin: „Det hab’ ick von meinen
Vater, det war’n Schneider.“
Gottfried Schadow, der Saalower Schneidersſohn, iſt
Gottfried Schadow, der Akademie-Director geworden, ein berühm-
ter Mann, ein Name, der Klang hat von einem Ende Europa’s
bis zum andern. Derſelbe Gottfried, der raſch das Bild von der
Schiefertafel wiſchte und dienſtfertig aufſprang, wenn der ſtrenge
Vater mit dem Deckelkruge klappte, derſelbe Gottfried iſt jetzt ſel-
ber ein ſtrenger Hausherr geworden, vielleicht nicht ſtrenger als der
Vater, aber mächtiger und gefürchteter. Sein Haushalt iſt die
Akademie. Er iſt ihr König und Herr; längſt hat er ſeine Macht
als einen unerſchütterlichen rocher de bronze ſtabilirt; die Zei-
ten, wo er Beiſpiele ſtatuiren mußte, liegen hinter ihm und, wie
ein milde gewordener Tyrann, ſpielt er mit dem Zügel ſeiner
Herrſchaft. Aller Abzeichen ſeiner Würde, alles repräſentativen
Flitters, hat er ſich längſt entkleidet; er regiert durch ſich ſelbſt,
kraft ſeiner Kraft. Ob das Sacktuch, das er aus ſeinem taſchen-
reichen Rocke zieht, von Kattun iſt oder von Seide; ob er rieſige
Filzſchuhe trägt, oder kalblederne Stiefel (in die er, überall an
Ballen und Zehen, große Löcher geſchnitten hat) ob er hochdeutſch
ſpricht, oder im Berliner Jargon — es kümmert ihn nicht und
es kümmert Andere nicht; denn er ſowohl, wie Andere, empfinden
doch jeden Augenblick, daß er der alte Schadow iſt. Herrſcherge-
wohnheit und das Bewußtſein völliger Ueberlegenheit haben ſeinem
Auftreten längſt jede Spur von Scheu oder Genirtheit genommen,
und was er denkt und fühlt, das ſpricht er aus. Sein Wille iſt
Geſetz; ſeine Laune nicht minder. Eine Anekdote mag ihn ſchildern,
wie er das Scepter führt.
Es iſt eine Abendſitzung; der akademiſche Senat hat ſich
verſammelt, Director und Profeſſoren; keiner fehlt. Der Saal iſt
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/443>, abgerufen am 23.11.2024.
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