unbeirrt und unverändert seinen Schlag fortsetzt, während alle Herzen rascher und höher schlagen. Die Tauben sitzen in langer Reihe auf dem Dachfirst des Hofgebäudes, als warteten sie auch, und der Hahn, der im Schatten unter dem Vordach um diese Stunde zu meditiren pflegt, schreitet heute auf und ab wie eine Schildwacht und scheint sich im Schultern zu üben, wenn er auf einem Fuße steht. Jetzt aber meldet sein lauter Schrei, der weit über den Hof klingt, daß Freund oder Feind im Anzuge ist; die Tauben flattern auf und die Mädchen auf dem Hausflur rufen sich zu, was Jeder weiß: Sie kommen! Keine Täuschung; sie kommen wirklich. Die Vorreiter sprengen auf den Hof, eine lange Reihe von Equipagen folgt hinterher; der erste Wagen hält, die Pferde schnaufen und werfen den Schaum von den Nüstern; ein Jäger öffnet den Schlag, und den Tritt hinab, der sich beim Oeffnen der Wagenthür wie eine starke Eisenhand graciös vor ihnen ausbreitet, steigen König und Königin.
Sie haben sich anmelden lassen in Groß-Beuthen, haben um Quartier gebeten für die Tage des Manövers, das die Garden auf dem Sandplateau des Teltow eben heut begonnen haben, und da sind sie nun, um in das festgeschmückte Haus ihren Ein- zug zu halten. Liebe empfängt sie und Ehre geben sie. Die Schilf- treppe hinauf schreitet das Königliche Paar, und nach Worten herzlicher Begrüßung ziehen König und Königin unter Laub- und Blumengewinden in die bereit gehaltenen Zimmer ein.
Eine Stunde später. Die Diener fliegen Trepp auf und ab; im Garten ist das Mahl angerichtet, aufgetragen unter einer Gruppe mächtiger Kastanien, deren Kronen das weiße Linnen des Tisches überschatten. Was haben Blumen und guter Wille aus diesem schlichten Platze gemacht? Der Staketenzaun, dessen Holzwerk längst die Zeichen gereifter Jahre trägt, hat seine Moos- und Flechten- Patina hinter Pyramiden von Riesenmais versteckt, und die alten Kastanien selbst wachsen wie eine phantastische Tropenvegetation aus tausendspitzigen Kelchen hervor, die sich bei näherer Betrachtung als hoch aufgerichtete Garben erweisen und nichts mehr. Alles
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unbeirrt und unverändert ſeinen Schlag fortſetzt, während alle Herzen raſcher und höher ſchlagen. Die Tauben ſitzen in langer Reihe auf dem Dachfirſt des Hofgebäudes, als warteten ſie auch, und der Hahn, der im Schatten unter dem Vordach um dieſe Stunde zu meditiren pflegt, ſchreitet heute auf und ab wie eine Schildwacht und ſcheint ſich im Schultern zu üben, wenn er auf einem Fuße ſteht. Jetzt aber meldet ſein lauter Schrei, der weit über den Hof klingt, daß Freund oder Feind im Anzuge iſt; die Tauben flattern auf und die Mädchen auf dem Hausflur rufen ſich zu, was Jeder weiß: Sie kommen! Keine Täuſchung; ſie kommen wirklich. Die Vorreiter ſprengen auf den Hof, eine lange Reihe von Equipagen folgt hinterher; der erſte Wagen hält, die Pferde ſchnaufen und werfen den Schaum von den Nüſtern; ein Jäger öffnet den Schlag, und den Tritt hinab, der ſich beim Oeffnen der Wagenthür wie eine ſtarke Eiſenhand graciös vor ihnen ausbreitet, ſteigen König und Königin.
Sie haben ſich anmelden laſſen in Groß-Beuthen, haben um Quartier gebeten für die Tage des Manövers, das die Garden auf dem Sandplateau des Teltow eben heut begonnen haben, und da ſind ſie nun, um in das feſtgeſchmückte Haus ihren Ein- zug zu halten. Liebe empfängt ſie und Ehre geben ſie. Die Schilf- treppe hinauf ſchreitet das Königliche Paar, und nach Worten herzlicher Begrüßung ziehen König und Königin unter Laub- und Blumengewinden in die bereit gehaltenen Zimmer ein.
Eine Stunde ſpäter. Die Diener fliegen Trepp auf und ab; im Garten iſt das Mahl angerichtet, aufgetragen unter einer Gruppe mächtiger Kaſtanien, deren Kronen das weiße Linnen des Tiſches überſchatten. Was haben Blumen und guter Wille aus dieſem ſchlichten Platze gemacht? Der Staketenzaun, deſſen Holzwerk längſt die Zeichen gereifter Jahre trägt, hat ſeine Moos- und Flechten- Patina hinter Pyramiden von Rieſenmais verſteckt, und die alten Kaſtanien ſelbſt wachſen wie eine phantaſtiſche Tropenvegetation aus tauſendſpitzigen Kelchen hervor, die ſich bei näherer Betrachtung als hoch aufgerichtete Garben erweiſen und nichts mehr. Alles
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unbeirrt und unverändert ſeinen Schlag fortſetzt, während alle
Herzen raſcher und höher ſchlagen. Die Tauben ſitzen in langer
Reihe auf dem Dachfirſt des Hofgebäudes, als warteten ſie auch,
und der Hahn, der im Schatten unter dem Vordach um dieſe
Stunde zu meditiren pflegt, ſchreitet heute auf und ab wie eine
Schildwacht und ſcheint ſich im Schultern zu üben, wenn er auf
einem Fuße ſteht. Jetzt aber meldet ſein lauter Schrei, der weit
über den Hof klingt, daß Freund oder Feind im Anzuge iſt; die
Tauben flattern auf und die Mädchen auf dem Hausflur rufen
ſich zu, was Jeder weiß: Sie kommen! Keine Täuſchung; ſie
kommen wirklich. Die Vorreiter ſprengen auf den Hof, eine lange
Reihe von Equipagen folgt hinterher; der erſte Wagen hält, die
Pferde ſchnaufen und werfen den Schaum von den Nüſtern; ein
Jäger öffnet den Schlag, und den Tritt hinab, der ſich beim
Oeffnen der Wagenthür wie eine ſtarke Eiſenhand graciös vor
ihnen ausbreitet, ſteigen König und Königin.
Sie haben ſich anmelden laſſen in Groß-Beuthen, haben um
Quartier gebeten für die Tage des Manövers, das die Garden
auf dem Sandplateau des Teltow eben heut begonnen haben,
und da ſind ſie nun, um in das feſtgeſchmückte Haus ihren Ein-
zug zu halten. Liebe empfängt ſie und Ehre geben ſie. Die Schilf-
treppe hinauf ſchreitet das Königliche Paar, und nach Worten
herzlicher Begrüßung ziehen König und Königin unter Laub- und
Blumengewinden in die bereit gehaltenen Zimmer ein.
Eine Stunde ſpäter. Die Diener fliegen Trepp auf und ab;
im Garten iſt das Mahl angerichtet, aufgetragen unter einer Gruppe
mächtiger Kaſtanien, deren Kronen das weiße Linnen des Tiſches
überſchatten. Was haben Blumen und guter Wille aus dieſem
ſchlichten Platze gemacht? Der Staketenzaun, deſſen Holzwerk längſt
die Zeichen gereifter Jahre trägt, hat ſeine Moos- und Flechten-
Patina hinter Pyramiden von Rieſenmais verſteckt, und die alten
Kaſtanien ſelbſt wachſen wie eine phantaſtiſche Tropenvegetation aus
tauſendſpitzigen Kelchen hervor, die ſich bei näherer Betrachtung
als hoch aufgerichtete Garben erweiſen und nichts mehr. Alles
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/435>, abgerufen am 23.11.2024.
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