Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Sinn für das Charakteristische, das er in bloßer Wiedergabe des
Alleräußerlichsten, in Darstellung halb knorriger, halb schlank ma-
jestätischer Fichtenstämme nicht finden konnte, schuf er die Land-
schaft zu einem historischen Bilde um. Was ihm dabei dienen
mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das,
was seiner Phantasie als das einzig Richtige erschien und griff in
die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchste Kuppe
ist ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere sind zusammenge-
stellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenstämmen,
angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur-
bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Mischaus-
druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge gesehen
hat, wird das richtige Empfinden unseres genialen Malers bewun-
dern -- er gab dieser Landschaft die Staffage, die ihr einzig ge-
bührt. Ein Reifrock und ein Abbe in die verschnittenen Gänge
eines Roccoco-Schlosses; eine Procession in das Portal einer go-
thischen Kirche, -- aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier
der Müggelsberge.

Ihnen gilt jetzt unser Besuch. Wir kommen von Schloß
Coepenick, haben Stadt und Vorstadt glücklich passirt und schreiten
nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge
hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es ist eine Haide wie andere
mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleise zieht sich wie ein
braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben
dem Fußpfad eine elastische Weiche gegeben und nur die Baum-
wurzeln, die in grotesken Gestalten überall hervorlugen und uns
wie böswillige Gnomen ein Bein zu stellen suchen, mahnen zur
Vorsicht. Eine rechte Herbstesfrische weht durch den Wald. Der
herbe Duft des Eichenlaubes mischt sich mit dem Harzgeruch der
Tannen und wie stille Waldmusik umklingt es uns, wenn die
Eichkätzchen von einem Baum zum andern springen und die Zweige
mit leisem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom
Fahrweg her, durch Baum und Busch zu uns herüber, mit jenem
unverkennbaren Rassel- und Klinkerton, der einem Märkischen

Sinn für das Charakteriſtiſche, das er in bloßer Wiedergabe des
Alleräußerlichſten, in Darſtellung halb knorriger, halb ſchlank ma-
jeſtätiſcher Fichtenſtämme nicht finden konnte, ſchuf er die Land-
ſchaft zu einem hiſtoriſchen Bilde um. Was ihm dabei dienen
mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das,
was ſeiner Phantaſie als das einzig Richtige erſchien und griff in
die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchſte Kuppe
iſt ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere ſind zuſammenge-
ſtellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenſtämmen,
angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur-
bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Miſchaus-
druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge geſehen
hat, wird das richtige Empfinden unſeres genialen Malers bewun-
dern — er gab dieſer Landſchaft die Staffage, die ihr einzig ge-
bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die verſchnittenen Gänge
eines Roccoco-Schloſſes; eine Proceſſion in das Portal einer go-
thiſchen Kirche, — aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier
der Müggelsberge.

Ihnen gilt jetzt unſer Beſuch. Wir kommen von Schloß
Coepenick, haben Stadt und Vorſtadt glücklich paſſirt und ſchreiten
nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge
hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es iſt eine Haide wie andere
mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleiſe zieht ſich wie ein
braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben
dem Fußpfad eine elaſtiſche Weiche gegeben und nur die Baum-
wurzeln, die in grotesken Geſtalten überall hervorlugen und uns
wie böswillige Gnomen ein Bein zu ſtellen ſuchen, mahnen zur
Vorſicht. Eine rechte Herbſtesfriſche weht durch den Wald. Der
herbe Duft des Eichenlaubes miſcht ſich mit dem Harzgeruch der
Tannen und wie ſtille Waldmuſik umklingt es uns, wenn die
Eichkätzchen von einem Baum zum andern ſpringen und die Zweige
mit leiſem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom
Fahrweg her, durch Baum und Buſch zu uns herüber, mit jenem
unverkennbaren Raſſel- und Klinkerton, der einem Märkiſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0383" n="365"/>
Sinn für das Charakteri&#x017F;ti&#x017F;che, das er in bloßer Wiedergabe des<lb/>
Alleräußerlich&#x017F;ten, in Dar&#x017F;tellung halb knorriger, halb &#x017F;chlank ma-<lb/>
je&#x017F;täti&#x017F;cher Fichten&#x017F;tämme nicht finden konnte, &#x017F;chuf er die Land-<lb/>
&#x017F;chaft zu einem <hi rendition="#g">hi&#x017F;tori&#x017F;chen Bilde</hi> um. Was ihm dabei dienen<lb/>
mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das,<lb/>
was &#x017F;einer Phanta&#x017F;ie als das einzig Richtige er&#x017F;chien und griff in<lb/>
die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höch&#x017F;te Kuppe<lb/>
i&#x017F;t ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere &#x017F;ind zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;tellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichten&#x017F;tämmen,<lb/>
angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur-<lb/>
bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Mi&#x017F;chaus-<lb/>
druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge ge&#x017F;ehen<lb/>
hat, wird das richtige Empfinden un&#x017F;eres genialen Malers bewun-<lb/>
dern &#x2014; er gab die&#x017F;er Land&#x017F;chaft die Staffage, die ihr einzig ge-<lb/>
bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die ver&#x017F;chnittenen Gänge<lb/>
eines Roccoco-Schlo&#x017F;&#x017F;es; eine Proce&#x017F;&#x017F;ion in das Portal einer go-<lb/>
thi&#x017F;chen Kirche, &#x2014; aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier<lb/>
der Müggelsberge.</p><lb/>
          <p>Ihnen gilt jetzt un&#x017F;er Be&#x017F;uch. Wir kommen von Schloß<lb/>
Coepenick, haben Stadt und Vor&#x017F;tadt glücklich pa&#x017F;&#x017F;irt und &#x017F;chreiten<lb/>
nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge<lb/>
hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es i&#x017F;t eine Haide wie andere<lb/>
mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Gelei&#x017F;e zieht &#x017F;ich wie ein<lb/>
braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben<lb/>
dem Fußpfad eine ela&#x017F;ti&#x017F;che Weiche gegeben und nur die Baum-<lb/>
wurzeln, die in grotesken Ge&#x017F;talten überall hervorlugen und uns<lb/>
wie böswillige Gnomen ein Bein zu &#x017F;tellen &#x017F;uchen, mahnen zur<lb/>
Vor&#x017F;icht. Eine rechte Herb&#x017F;tesfri&#x017F;che weht durch den Wald. Der<lb/>
herbe Duft des Eichenlaubes mi&#x017F;cht &#x017F;ich mit dem Harzgeruch der<lb/>
Tannen und wie &#x017F;tille Waldmu&#x017F;ik umklingt es uns, wenn die<lb/>
Eichkätzchen von einem Baum zum andern &#x017F;pringen und die Zweige<lb/>
mit lei&#x017F;em Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom<lb/>
Fahrweg her, durch Baum und Bu&#x017F;ch zu uns herüber, mit jenem<lb/>
unverkennbaren Ra&#x017F;&#x017F;el- und Klinkerton, der einem Märki&#x017F;chen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[365/0383] Sinn für das Charakteriſtiſche, das er in bloßer Wiedergabe des Alleräußerlichſten, in Darſtellung halb knorriger, halb ſchlank ma- jeſtätiſcher Fichtenſtämme nicht finden konnte, ſchuf er die Land- ſchaft zu einem hiſtoriſchen Bilde um. Was ihm dabei dienen mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das, was ſeiner Phantaſie als das einzig Richtige erſchien und griff in die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchſte Kuppe iſt ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere ſind zuſammenge- ſtellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenſtämmen, angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur- bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Miſchaus- druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge geſehen hat, wird das richtige Empfinden unſeres genialen Malers bewun- dern — er gab dieſer Landſchaft die Staffage, die ihr einzig ge- bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die verſchnittenen Gänge eines Roccoco-Schloſſes; eine Proceſſion in das Portal einer go- thiſchen Kirche, — aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier der Müggelsberge. Ihnen gilt jetzt unſer Beſuch. Wir kommen von Schloß Coepenick, haben Stadt und Vorſtadt glücklich paſſirt und ſchreiten nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es iſt eine Haide wie andere mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleiſe zieht ſich wie ein braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben dem Fußpfad eine elaſtiſche Weiche gegeben und nur die Baum- wurzeln, die in grotesken Geſtalten überall hervorlugen und uns wie böswillige Gnomen ein Bein zu ſtellen ſuchen, mahnen zur Vorſicht. Eine rechte Herbſtesfriſche weht durch den Wald. Der herbe Duft des Eichenlaubes miſcht ſich mit dem Harzgeruch der Tannen und wie ſtille Waldmuſik umklingt es uns, wenn die Eichkätzchen von einem Baum zum andern ſpringen und die Zweige mit leiſem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom Fahrweg her, durch Baum und Buſch zu uns herüber, mit jenem unverkennbaren Raſſel- und Klinkerton, der einem Märkiſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/383
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/383>, abgerufen am 27.11.2024.