Sinn für das Charakteristische, das er in bloßer Wiedergabe des Alleräußerlichsten, in Darstellung halb knorriger, halb schlank ma- jestätischer Fichtenstämme nicht finden konnte, schuf er die Land- schaft zu einem historischen Bilde um. Was ihm dabei dienen mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das, was seiner Phantasie als das einzig Richtige erschien und griff in die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchste Kuppe ist ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere sind zusammenge- stellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenstämmen, angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur- bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Mischaus- druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge gesehen hat, wird das richtige Empfinden unseres genialen Malers bewun- dern -- er gab dieser Landschaft die Staffage, die ihr einzig ge- bührt. Ein Reifrock und ein Abbe in die verschnittenen Gänge eines Roccoco-Schlosses; eine Procession in das Portal einer go- thischen Kirche, -- aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier der Müggelsberge.
Ihnen gilt jetzt unser Besuch. Wir kommen von Schloß Coepenick, haben Stadt und Vorstadt glücklich passirt und schreiten nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es ist eine Haide wie andere mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleise zieht sich wie ein braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben dem Fußpfad eine elastische Weiche gegeben und nur die Baum- wurzeln, die in grotesken Gestalten überall hervorlugen und uns wie böswillige Gnomen ein Bein zu stellen suchen, mahnen zur Vorsicht. Eine rechte Herbstesfrische weht durch den Wald. Der herbe Duft des Eichenlaubes mischt sich mit dem Harzgeruch der Tannen und wie stille Waldmusik umklingt es uns, wenn die Eichkätzchen von einem Baum zum andern springen und die Zweige mit leisem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom Fahrweg her, durch Baum und Busch zu uns herüber, mit jenem unverkennbaren Rassel- und Klinkerton, der einem Märkischen
Sinn für das Charakteriſtiſche, das er in bloßer Wiedergabe des Alleräußerlichſten, in Darſtellung halb knorriger, halb ſchlank ma- jeſtätiſcher Fichtenſtämme nicht finden konnte, ſchuf er die Land- ſchaft zu einem hiſtoriſchen Bilde um. Was ihm dabei dienen mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das, was ſeiner Phantaſie als das einzig Richtige erſchien und griff in die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchſte Kuppe iſt ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere ſind zuſammenge- ſtellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenſtämmen, angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur- bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Miſchaus- druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge geſehen hat, wird das richtige Empfinden unſeres genialen Malers bewun- dern — er gab dieſer Landſchaft die Staffage, die ihr einzig ge- bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die verſchnittenen Gänge eines Roccoco-Schloſſes; eine Proceſſion in das Portal einer go- thiſchen Kirche, — aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier der Müggelsberge.
Ihnen gilt jetzt unſer Beſuch. Wir kommen von Schloß Coepenick, haben Stadt und Vorſtadt glücklich paſſirt und ſchreiten nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es iſt eine Haide wie andere mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleiſe zieht ſich wie ein braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben dem Fußpfad eine elaſtiſche Weiche gegeben und nur die Baum- wurzeln, die in grotesken Geſtalten überall hervorlugen und uns wie böswillige Gnomen ein Bein zu ſtellen ſuchen, mahnen zur Vorſicht. Eine rechte Herbſtesfriſche weht durch den Wald. Der herbe Duft des Eichenlaubes miſcht ſich mit dem Harzgeruch der Tannen und wie ſtille Waldmuſik umklingt es uns, wenn die Eichkätzchen von einem Baum zum andern ſpringen und die Zweige mit leiſem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom Fahrweg her, durch Baum und Buſch zu uns herüber, mit jenem unverkennbaren Raſſel- und Klinkerton, der einem Märkiſchen
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Sinn für das Charakteriſtiſche, das er in bloßer Wiedergabe des
Alleräußerlichſten, in Darſtellung halb knorriger, halb ſchlank ma-
jeſtätiſcher Fichtenſtämme nicht finden konnte, ſchuf er die Land-
ſchaft zu einem hiſtoriſchen Bilde um. Was ihm dabei dienen
mußte, war kein Zufälliges, kein Willkürliches; er wählte das,
was ſeiner Phantaſie als das einzig Richtige erſchien und griff in
die alten Traditionen der Müggelsberge zurück. Die höchſte Kuppe
iſt ein Semnonen-Lager. Schilde und Speere ſind zuſammenge-
ſtellt; ein Feuer flackert auf, und unter den hohen Fichtenſtämmen,
angeglüht von dem Dunkelroth der Flamme, lagern die alten Ur-
bewohner des Landes mit einem wunderbar gelungenen Miſchaus-
druck von Wildheit und Behagen. Wer die Müggelsberge geſehen
hat, wird das richtige Empfinden unſeres genialen Malers bewun-
dern — er gab dieſer Landſchaft die Staffage, die ihr einzig ge-
bührt. Ein Reifrock und ein Abbé in die verſchnittenen Gänge
eines Roccoco-Schloſſes; eine Proceſſion in das Portal einer go-
thiſchen Kirche, — aber ein Semnonen-Lager in das Waldrevier
der Müggelsberge.
Ihnen gilt jetzt unſer Beſuch. Wir kommen von Schloß
Coepenick, haben Stadt und Vorſtadt glücklich paſſirt und ſchreiten
nunmehr dem Tannenholze zu, das bis über die Müggelsberge
hinaus das ganze Terrain bedeckt. Es iſt eine Haide wie andere
mehr; der Fahrweg mit tiefgefurchtem Geleiſe zieht ſich wie ein
braunes Band neben uns her, Moos und Fichtennadeln haben
dem Fußpfad eine elaſtiſche Weiche gegeben und nur die Baum-
wurzeln, die in grotesken Geſtalten überall hervorlugen und uns
wie böswillige Gnomen ein Bein zu ſtellen ſuchen, mahnen zur
Vorſicht. Eine rechte Herbſtesfriſche weht durch den Wald. Der
herbe Duft des Eichenlaubes miſcht ſich mit dem Harzgeruch der
Tannen und wie ſtille Waldmuſik umklingt es uns, wenn die
Eichkätzchen von einem Baum zum andern ſpringen und die Zweige
mit leiſem Knick zerbrechen. Dann und wann klappert es, vom
Fahrweg her, durch Baum und Buſch zu uns herüber, mit jenem
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/383>, abgerufen am 27.11.2024.
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