tung seine eigenen Worte Auskunft geben mögen: "Mit meinen Studien in Geschichte, Philosophie und schönen Wissenschaften ging es besser; sie interessirten mich über Alles, besonders Geschichte und Lebensbeschreibungen, zu denen auch bis ins späte Alter mir die Neigung geblieben ist." Die poetische Grund- anlage des alten Herrn spricht sich in diesen Worten aus; hätt' es je eine schaffende dichterische Natur gegeben, der nicht Biogra- phieen und Memoiren die liebste Lectüre gewesen wären! --
Aus dem Bibliothekzimmer tritt man in das dahinter gelegene Empfang- und Familienzimmer. Es hat die Aussicht auf die Hof- und Stallgebäude; Tauben sitzen auf den Fenstersimsen, und in der Mitte des Hofes steigt die Pfauenstange wie ein tropischer Wunderbaum hoch in die Luft. Das Zimmer ist groß und geräu- mig und macht vor Allem den Eindruck behaglichen Geborgenseins. An Bildern weist es nichts von besonderem Interesse auf, außer einer Ansicht von Schloß Tilsen, dem alten Familiensitz (in der Nähe von Salzwedel) der Knesebeck's. Die eigentliche Sehenswür- digkeit dieses Zimmers ist jener alte Eichentisch, dessen Unscheinbar- keit ihn vor der Versenkung in den Planwagen rettete. Und doch war dies schlichte Wirthschaftsstück das eigentliche chef d'oeuvre des Ameublements, wenn auch damals nicht, so doch jetzt. Dieser Tisch nämlich bildete einen Theil jener langen Tafel, an der die Sitzungen des Tabaks-Collegiums gehalten wurden. Es existiren ihrer nur noch zwei, dieser Knesebeck'sche in Carwe und ein Zwillings- bruder desselben in Potsdam. Eine Decke von braunem schweren Seidenzeug verhüllt wie billig die eichene Derbheit dieses nicht salonfähigen Möbels, dessen Construction ganz eigenthümlicher Art ist. Die Platte besteht aus zwei abgestutzten Dreiecken und ruht auf sechs Füßen, deren Stellung unter einander wiederum zwei Dreiecke bildet. Verbindungshölzer und Eisenkrampen halten das Ganze zusammen und stellen einen Bau her, der allen Anspruch darauf hatte, übersehen zu werden, als die Trumeaux hinaus- getragen wurden.
Links neben dem Empfangs-Saal befindet sich das Arbeits-
tung ſeine eigenen Worte Auskunft geben mögen: „Mit meinen Studien in Geſchichte, Philoſophie und ſchönen Wiſſenſchaften ging es beſſer; ſie intereſſirten mich über Alles, beſonders Geſchichte und Lebensbeſchreibungen, zu denen auch bis ins ſpäte Alter mir die Neigung geblieben iſt.“ Die poetiſche Grund- anlage des alten Herrn ſpricht ſich in dieſen Worten aus; hätt’ es je eine ſchaffende dichteriſche Natur gegeben, der nicht Biogra- phieen und Memoiren die liebſte Lectüre geweſen wären! —
Aus dem Bibliothekzimmer tritt man in das dahinter gelegene Empfang- und Familienzimmer. Es hat die Ausſicht auf die Hof- und Stallgebäude; Tauben ſitzen auf den Fenſterſimſen, und in der Mitte des Hofes ſteigt die Pfauenſtange wie ein tropiſcher Wunderbaum hoch in die Luft. Das Zimmer iſt groß und geräu- mig und macht vor Allem den Eindruck behaglichen Geborgenſeins. An Bildern weiſt es nichts von beſonderem Intereſſe auf, außer einer Anſicht von Schloß Tilſen, dem alten Familienſitz (in der Nähe von Salzwedel) der Kneſebeck’s. Die eigentliche Sehenswür- digkeit dieſes Zimmers iſt jener alte Eichentiſch, deſſen Unſcheinbar- keit ihn vor der Verſenkung in den Planwagen rettete. Und doch war dies ſchlichte Wirthſchaftsſtück das eigentliche chef d’œuvre des Ameublements, wenn auch damals nicht, ſo doch jetzt. Dieſer Tiſch nämlich bildete einen Theil jener langen Tafel, an der die Sitzungen des Tabaks-Collegiums gehalten wurden. Es exiſtiren ihrer nur noch zwei, dieſer Kneſebeck’ſche in Carwe und ein Zwillings- bruder deſſelben in Potsdam. Eine Decke von braunem ſchweren Seidenzeug verhüllt wie billig die eichene Derbheit dieſes nicht ſalonfähigen Möbels, deſſen Conſtruction ganz eigenthümlicher Art iſt. Die Platte beſteht aus zwei abgeſtutzten Dreiecken und ruht auf ſechs Füßen, deren Stellung unter einander wiederum zwei Dreiecke bildet. Verbindungshölzer und Eiſenkrampen halten das Ganze zuſammen und ſtellen einen Bau her, der allen Anſpruch darauf hatte, überſehen zu werden, als die Trumeaux hinaus- getragen wurden.
Links neben dem Empfangs-Saal befindet ſich das Arbeits-
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tung ſeine eigenen Worte Auskunft geben mögen: „Mit meinen
Studien in Geſchichte, Philoſophie und ſchönen Wiſſenſchaften ging
es beſſer; ſie intereſſirten mich über Alles, beſonders Geſchichte
und Lebensbeſchreibungen, zu denen auch bis ins ſpäte
Alter mir die Neigung geblieben iſt.“ Die poetiſche Grund-
anlage des alten Herrn ſpricht ſich in dieſen Worten aus; hätt’
es je eine ſchaffende dichteriſche Natur gegeben, der nicht Biogra-
phieen und Memoiren die liebſte Lectüre geweſen wären! —
Aus dem Bibliothekzimmer tritt man in das dahinter gelegene
Empfang- und Familienzimmer. Es hat die Ausſicht auf die Hof-
und Stallgebäude; Tauben ſitzen auf den Fenſterſimſen, und in
der Mitte des Hofes ſteigt die Pfauenſtange wie ein tropiſcher
Wunderbaum hoch in die Luft. Das Zimmer iſt groß und geräu-
mig und macht vor Allem den Eindruck behaglichen Geborgenſeins.
An Bildern weiſt es nichts von beſonderem Intereſſe auf, außer
einer Anſicht von Schloß Tilſen, dem alten Familienſitz (in der
Nähe von Salzwedel) der Kneſebeck’s. Die eigentliche Sehenswür-
digkeit dieſes Zimmers iſt jener alte Eichentiſch, deſſen Unſcheinbar-
keit ihn vor der Verſenkung in den Planwagen rettete. Und doch
war dies ſchlichte Wirthſchaftsſtück das eigentliche chef d’œuvre
des Ameublements, wenn auch damals nicht, ſo doch jetzt. Dieſer
Tiſch nämlich bildete einen Theil jener langen Tafel, an der die
Sitzungen des Tabaks-Collegiums gehalten wurden. Es exiſtiren
ihrer nur noch zwei, dieſer Kneſebeck’ſche in Carwe und ein Zwillings-
bruder deſſelben in Potsdam. Eine Decke von braunem ſchweren
Seidenzeug verhüllt wie billig die eichene Derbheit dieſes nicht
ſalonfähigen Möbels, deſſen Conſtruction ganz eigenthümlicher Art
iſt. Die Platte beſteht aus zwei abgeſtutzten Dreiecken und ruht
auf ſechs Füßen, deren Stellung unter einander wiederum zwei
Dreiecke bildet. Verbindungshölzer und Eiſenkrampen halten das
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/38>, abgerufen am 26.12.2024.
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