kurzem den beiden Kasernenstuben Nr. 21 und 22 zu. Als der alte Wrangel vor einigen Jahren in Küstrin war und die Garni- son inspicirte, wurden ihm auch jene beiden Zimmer gezeigt. Er äußerte die Ansicht, daß es sich geziemen dürfte, diesen historischen Zimmern eine andere Bestimmung zu geben und sie nicht länger als bloße Kasernenstuben zu benutzen. Diese Ansicht kam lang ge- hegten Wünschen entgegen. Aus den zwei Zimmern ist inzwischen eines geworden, ein hübsch ausgeschmückter Casinosaal, in dem die Offiziere der Garnison zu Mittag speisen und an Balltagen ihre Damen zum Walzer führen. An den beiden Fenstern hin, an deren einem aller Wahrscheinlichkeit nach der Kronprinz stand, läuft jetzt eine Art Estrade, auf der die Musici zum Tanze spielen. Die grauen Nebel jenes finstern Novembermorgens sind längst verflogen. Der Lebende hat Recht. Nichts mehr erinnert an die Friedericia- nische Zeit, mit Ausnahme eines hochlehnigen Lederstuhls, auf dem der Kronprinz bald nach seiner Befreiung saß und arbeitete, wenn er als jüngster Kriegsrath den Sitzungen des Regierungscollegiums beiwohnte. Die Russen nahmen 1758 diesen Stuhl mit nach Pe- tersburg, fünfzig Jahre später kam er nach Frankfurt a. O. zu- rück, von wo aus ihn die Küstriner sich als Geschenk erbaten und erhielten. *) Dieser Stuhl indessen genügt nicht. Auge und Herz verlangen mehr. Ein historisches Bild gehört an die Hauptwand des Saals, den beiden Fenstern gegenüber. Nimmt man Anstand, eine Scene aus der Katt'schen Tragödie selbst als Vorwurf zu wählen, so wähle man irgend einen andern Moment aus dem momentreichen Leben des großen Königs. Uebrigens wäre ein Bild- niß Katts (auch wohl vom Standpunkt militärischer Gewissenhaf- tigkeit aus) nicht eben verwerflich. Diese Vorgänge sind ja längst Geschichte geworden und können auf bedenkliche Sympathien oder Desertionsverherrlichung nicht länger gedeutet werden. Für den
*) Dieser Stuhl ist nicht zu verwechseln mit dem Friedrichsstuhl, der in der nah gelegenen Zorndorfer Mühle steht. Friedrich schlief auf ihm in der Nacht vor der Zorndorfer Schlacht.
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kurzem den beiden Kaſernenſtuben Nr. 21 und 22 zu. Als der alte Wrangel vor einigen Jahren in Küſtrin war und die Garni- ſon inſpicirte, wurden ihm auch jene beiden Zimmer gezeigt. Er äußerte die Anſicht, daß es ſich geziemen dürfte, dieſen hiſtoriſchen Zimmern eine andere Beſtimmung zu geben und ſie nicht länger als bloße Kaſernenſtuben zu benutzen. Dieſe Anſicht kam lang ge- hegten Wünſchen entgegen. Aus den zwei Zimmern iſt inzwiſchen eines geworden, ein hübſch ausgeſchmückter Caſinoſaal, in dem die Offiziere der Garniſon zu Mittag ſpeiſen und an Balltagen ihre Damen zum Walzer führen. An den beiden Fenſtern hin, an deren einem aller Wahrſcheinlichkeit nach der Kronprinz ſtand, läuft jetzt eine Art Eſtrade, auf der die Muſici zum Tanze ſpielen. Die grauen Nebel jenes finſtern Novembermorgens ſind längſt verflogen. Der Lebende hat Recht. Nichts mehr erinnert an die Friedericia- niſche Zeit, mit Ausnahme eines hochlehnigen Lederſtuhls, auf dem der Kronprinz bald nach ſeiner Befreiung ſaß und arbeitete, wenn er als jüngſter Kriegsrath den Sitzungen des Regierungscollegiums beiwohnte. Die Ruſſen nahmen 1758 dieſen Stuhl mit nach Pe- tersburg, fünfzig Jahre ſpäter kam er nach Frankfurt a. O. zu- rück, von wo aus ihn die Küſtriner ſich als Geſchenk erbaten und erhielten. *) Dieſer Stuhl indeſſen genügt nicht. Auge und Herz verlangen mehr. Ein hiſtoriſches Bild gehört an die Hauptwand des Saals, den beiden Fenſtern gegenüber. Nimmt man Anſtand, eine Scene aus der Katt’ſchen Tragödie ſelbſt als Vorwurf zu wählen, ſo wähle man irgend einen andern Moment aus dem momentreichen Leben des großen Königs. Uebrigens wäre ein Bild- niß Katts (auch wohl vom Standpunkt militäriſcher Gewiſſenhaf- tigkeit aus) nicht eben verwerflich. Dieſe Vorgänge ſind ja längſt Geſchichte geworden und können auf bedenkliche Sympathien oder Deſertionsverherrlichung nicht länger gedeutet werden. Für den
*) Dieſer Stuhl iſt nicht zu verwechſeln mit dem Friedrichsſtuhl, der in der nah gelegenen Zorndorfer Mühle ſteht. Friedrich ſchlief auf ihm in der Nacht vor der Zorndorfer Schlacht.
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kurzem den beiden Kaſernenſtuben Nr. 21 und 22 zu. Als der
alte Wrangel vor einigen Jahren in Küſtrin war und die Garni-
ſon inſpicirte, wurden ihm auch jene beiden Zimmer gezeigt. Er
äußerte die Anſicht, daß es ſich geziemen dürfte, dieſen hiſtoriſchen
Zimmern eine andere Beſtimmung zu geben und ſie nicht länger
als bloße Kaſernenſtuben zu benutzen. Dieſe Anſicht kam lang ge-
hegten Wünſchen entgegen. Aus den zwei Zimmern iſt inzwiſchen
eines geworden, ein hübſch ausgeſchmückter Caſinoſaal, in dem die
Offiziere der Garniſon zu Mittag ſpeiſen und an Balltagen ihre
Damen zum Walzer führen. An den beiden Fenſtern hin, an
deren einem aller Wahrſcheinlichkeit nach der Kronprinz ſtand, läuft
jetzt eine Art Eſtrade, auf der die Muſici zum Tanze ſpielen. Die
grauen Nebel jenes finſtern Novembermorgens ſind längſt verflogen.
Der Lebende hat Recht. Nichts mehr erinnert an die Friedericia-
niſche Zeit, mit Ausnahme eines hochlehnigen Lederſtuhls, auf dem
der Kronprinz bald nach ſeiner Befreiung ſaß und arbeitete, wenn
er als jüngſter Kriegsrath den Sitzungen des Regierungscollegiums
beiwohnte. Die Ruſſen nahmen 1758 dieſen Stuhl mit nach Pe-
tersburg, fünfzig Jahre ſpäter kam er nach Frankfurt a. O. zu-
rück, von wo aus ihn die Küſtriner ſich als Geſchenk erbaten und
erhielten. *) Dieſer Stuhl indeſſen genügt nicht. Auge und Herz
verlangen mehr. Ein hiſtoriſches Bild gehört an die Hauptwand
des Saals, den beiden Fenſtern gegenüber. Nimmt man Anſtand,
eine Scene aus der Katt’ſchen Tragödie ſelbſt als Vorwurf zu
wählen, ſo wähle man irgend einen andern Moment aus dem
momentreichen Leben des großen Königs. Uebrigens wäre ein Bild-
niß Katts (auch wohl vom Standpunkt militäriſcher Gewiſſenhaf-
tigkeit aus) nicht eben verwerflich. Dieſe Vorgänge ſind ja längſt
Geſchichte geworden und können auf bedenkliche Sympathien oder
Deſertionsverherrlichung nicht länger gedeutet werden. Für den
*) Dieſer Stuhl iſt nicht zu verwechſeln mit dem Friedrichsſtuhl, der
in der nah gelegenen Zorndorfer Mühle ſteht. Friedrich ſchlief auf ihm
in der Nacht vor der Zorndorfer Schlacht.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/355>, abgerufen am 24.11.2024.
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