die Blumen an den Fenstern nehmen sich freundlich genug aus; an jedem 6. November aber und auch sonst wohl, wenn der Sturm über "Bastion Brandenburg" hinpfeift, muß man das "Gruseln" an dieser Stelle trefflich lernen können, an einer Stelle, die zwischen Schaffot und Pavillon nur mühsam die Mitte hält. "Blut ist ein ganz besonderer Saft." Die Sache wird nicht we- sentlich anders dadurch, daß man den alten Unterbau selbst zu einem Kartoffelkeller eingerichtet hat.
Ueber die Hinrichtungsstätte ist man einig, nicht so über das Fenster, von dem aus der Kronprinz Zeuge jenes blutigen Vor- gangs war. Der Streit wird auch schwerlich noch geschlichtet wer- den und Besucher von Bastion Brandenburg haben deßhalb die Verpflichtung, zwei Lokalitäten statt Einer in Augenschein zu neh- men. Das scheint unzweifelhaft, daß nur von den drei vorhandenen Parterrefenstern die Rede sein kann, da aus allen Schilderungen mit großer Gewißheit hervorgeht, daß der Kronprinz den furcht- baren Hergang unmittelbar und zwar in gerader Linie vor Augen hatte. Hätte er von den Zimmern des ersten Stocks aus (wie auch gelegentlich versichert worden ist) der Hinrichtung beige- wohnt, so würde er, bei der Enge des Raums, gezwungen gewesen sein -- man verzeihe den Ausdruck -- wie in einen Topf hinein- zublicken. Daß diese Ansicht überhaupt ausgesprochen werden konnte, hat wohl darin seinen Grund, daß das Schloß ein bewohntes Souterrain besitzt und die Parterrefenster ziemlich hoch liegen.
Das jetzt zugemauerte Giebelfenster (achtzehn Schritt vom Schaffot) gehört einer weiß getünchten Kammer an, wo die Töch- ter des Kasinowirths ihre Garderobe aufbewahren. In langer Reihe und musterhafter Ordnung hängen die gestärkten Kleider an der Wand entlang, ausgerüstet mit einer Miene unendlicher Friedlich- keit und in nichts an die Worte erinnernd: "Pardonnez, mon cher Katte! Wollte Gott, ich könnte an Ihrer Stelle sein!" Nur eine Minorität von Stimmen hat sich übrigens für dieses Zimmer und das zugemauerte Fenster entschieden.
Die beiden andern Fenster (im Anbau) gehörten bis vor
die Blumen an den Fenſtern nehmen ſich freundlich genug aus; an jedem 6. November aber und auch ſonſt wohl, wenn der Sturm über „Baſtion Brandenburg“ hinpfeift, muß man das „Gruſeln“ an dieſer Stelle trefflich lernen können, an einer Stelle, die zwiſchen Schaffot und Pavillon nur mühſam die Mitte hält. „Blut iſt ein ganz beſonderer Saft.“ Die Sache wird nicht we- ſentlich anders dadurch, daß man den alten Unterbau ſelbſt zu einem Kartoffelkeller eingerichtet hat.
Ueber die Hinrichtungsſtätte iſt man einig, nicht ſo über das Fenſter, von dem aus der Kronprinz Zeuge jenes blutigen Vor- gangs war. Der Streit wird auch ſchwerlich noch geſchlichtet wer- den und Beſucher von Baſtion Brandenburg haben deßhalb die Verpflichtung, zwei Lokalitäten ſtatt Einer in Augenſchein zu neh- men. Das ſcheint unzweifelhaft, daß nur von den drei vorhandenen Parterrefenſtern die Rede ſein kann, da aus allen Schilderungen mit großer Gewißheit hervorgeht, daß der Kronprinz den furcht- baren Hergang unmittelbar und zwar in gerader Linie vor Augen hatte. Hätte er von den Zimmern des erſten Stocks aus (wie auch gelegentlich verſichert worden iſt) der Hinrichtung beige- wohnt, ſo würde er, bei der Enge des Raums, gezwungen geweſen ſein — man verzeihe den Ausdruck — wie in einen Topf hinein- zublicken. Daß dieſe Anſicht überhaupt ausgeſprochen werden konnte, hat wohl darin ſeinen Grund, daß das Schloß ein bewohntes Souterrain beſitzt und die Parterrefenſter ziemlich hoch liegen.
Das jetzt zugemauerte Giebelfenſter (achtzehn Schritt vom Schaffot) gehört einer weiß getünchten Kammer an, wo die Töch- ter des Kaſinowirths ihre Garderobe aufbewahren. In langer Reihe und muſterhafter Ordnung hängen die geſtärkten Kleider an der Wand entlang, ausgerüſtet mit einer Miene unendlicher Friedlich- keit und in nichts an die Worte erinnernd: »Pardonnez, mon cher Katte! Wollte Gott, ich könnte an Ihrer Stelle ſein!“ Nur eine Minorität von Stimmen hat ſich übrigens für dieſes Zimmer und das zugemauerte Fenſter entſchieden.
Die beiden andern Fenſter (im Anbau) gehörten bis vor
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die Blumen an den Fenſtern nehmen ſich freundlich genug aus;
an jedem 6. November aber und auch ſonſt wohl, wenn der
Sturm über „Baſtion Brandenburg“ hinpfeift, muß man das
„Gruſeln“ an dieſer Stelle trefflich lernen können, an einer Stelle,
die zwiſchen Schaffot und Pavillon nur mühſam die Mitte hält.
„Blut iſt ein ganz beſonderer Saft.“ Die Sache wird nicht we-
ſentlich anders dadurch, daß man den alten Unterbau ſelbſt zu
einem Kartoffelkeller eingerichtet hat.
Ueber die Hinrichtungsſtätte iſt man einig, nicht ſo über das
Fenſter, von dem aus der Kronprinz Zeuge jenes blutigen Vor-
gangs war. Der Streit wird auch ſchwerlich noch geſchlichtet wer-
den und Beſucher von Baſtion Brandenburg haben deßhalb die
Verpflichtung, zwei Lokalitäten ſtatt Einer in Augenſchein zu neh-
men. Das ſcheint unzweifelhaft, daß nur von den drei vorhandenen
Parterrefenſtern die Rede ſein kann, da aus allen Schilderungen
mit großer Gewißheit hervorgeht, daß der Kronprinz den furcht-
baren Hergang unmittelbar und zwar in gerader Linie vor
Augen hatte. Hätte er von den Zimmern des erſten Stocks aus
(wie auch gelegentlich verſichert worden iſt) der Hinrichtung beige-
wohnt, ſo würde er, bei der Enge des Raums, gezwungen geweſen
ſein — man verzeihe den Ausdruck — wie in einen Topf hinein-
zublicken. Daß dieſe Anſicht überhaupt ausgeſprochen werden konnte,
hat wohl darin ſeinen Grund, daß das Schloß ein bewohntes
Souterrain beſitzt und die Parterrefenſter ziemlich hoch liegen.
Das jetzt zugemauerte Giebelfenſter (achtzehn Schritt vom
Schaffot) gehört einer weiß getünchten Kammer an, wo die Töch-
ter des Kaſinowirths ihre Garderobe aufbewahren. In langer Reihe
und muſterhafter Ordnung hängen die geſtärkten Kleider an der
Wand entlang, ausgerüſtet mit einer Miene unendlicher Friedlich-
keit und in nichts an die Worte erinnernd: »Pardonnez, mon
cher Katte! Wollte Gott, ich könnte an Ihrer Stelle ſein!“ Nur
eine Minorität von Stimmen hat ſich übrigens für dieſes Zimmer
und das zugemauerte Fenſter entſchieden.
Die beiden andern Fenſter (im Anbau) gehörten bis vor
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/354>, abgerufen am 27.11.2024.
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