sich die Geschichtschreibung über verschiedene Dinge, die in naher und nächster Beziehung zu dem Aufenthalte des Kronprinzen stehen, namentlich also über die Lokalitäten, die er Anfangs bewohnte, durchaus nicht mit der Klarheit und Sicherheit verbreiten kann, die wünschenswerth wäre und die man bei einem so viel durch- forschten Gegenstande, der wenig über hundert Jahre zurückliegt, fast erwarten sollte.
Vom alten Küstrin überlebten mit Ausnahme des Schlosses, dessen dicke Außenwände stehen blieben, nur drei Gebäude das Bombardement: ein Thorthurm, die Hauptwache und die Garni- sonskirche. Die beiden ersteren sind seitdem verschwunden; die letztere existirt noch und befindet sich bis diesen Tag im Stadtsiegel Küstrins, von fliegenden Bomben überschüttet, aber zugleich von der Sonne beschienen, mit der Umschrift: ex ruinis den 15. August 1758. Dieser alten Garnisonskirche gilt zunächst unser Besuch. Sie dient jetzt als Magazin, als "Schirrhaus," wie die Küstriner sagen, und ist auf Bastion Philipp gelegen, von wo aus man das Oder- und Warthebruch in ihrer üppigen Fruchtbarkeit über- blickt. Mit Ausnahme einer Schwellentreppe, die aus alten Grab- steinen mühelos zusammengesetzt ist, zeigt sich nicht das Geringste, das Veranlassung geben könnte, diesen ärmlichen Bau für ein Gotteshaus zn halten. Vier Wände, ein Dach und ein Dutzend kleine, vergitterte Fenster -- jedes Privathaus ist ein Prachtbau dagegen. Diese ärmliche Kirche gab nichtsdestoweniger zu einem Prozesse Veranlassung, der über hundert Jahre schwebte und einem als ein "Viel Lärm um Nichts" erscheinen könnte, wenn es in Fragen des Rechts etwas Kleines und Geringfügiges gäbe. Küstrin focht in diesem Streit mit der Ausdauer eines John Hampden und blieb schließlich Sieger. Der Streit, der kaum umhin kann, zu allerhand Betrachtungen über Sonst und Jetzt zu führen, war in aller Kürze der. Die Küstriner Bürger hatten sich in alter Zeit auf dem Wallgang eine Kirche gebaut. Die Kirche war unbestritten ihr Eigenthum. Zur Zeit des großen Kurfürsten suchte der Kom- mandant bei der Stadtbehörde nach, seine Soldaten zum Gottes-
ſich die Geſchichtſchreibung über verſchiedene Dinge, die in naher und nächſter Beziehung zu dem Aufenthalte des Kronprinzen ſtehen, namentlich alſo über die Lokalitäten, die er Anfangs bewohnte, durchaus nicht mit der Klarheit und Sicherheit verbreiten kann, die wünſchenswerth wäre und die man bei einem ſo viel durch- forſchten Gegenſtande, der wenig über hundert Jahre zurückliegt, faſt erwarten ſollte.
Vom alten Küſtrin überlebten mit Ausnahme des Schloſſes, deſſen dicke Außenwände ſtehen blieben, nur drei Gebäude das Bombardement: ein Thorthurm, die Hauptwache und die Garni- ſonskirche. Die beiden erſteren ſind ſeitdem verſchwunden; die letztere exiſtirt noch und befindet ſich bis dieſen Tag im Stadtſiegel Küſtrins, von fliegenden Bomben überſchüttet, aber zugleich von der Sonne beſchienen, mit der Umſchrift: ex ruinis den 15. Auguſt 1758. Dieſer alten Garniſonskirche gilt zunächſt unſer Beſuch. Sie dient jetzt als Magazin, als „Schirrhaus,“ wie die Küſtriner ſagen, und iſt auf Baſtion Philipp gelegen, von wo aus man das Oder- und Warthebruch in ihrer üppigen Fruchtbarkeit über- blickt. Mit Ausnahme einer Schwellentreppe, die aus alten Grab- ſteinen mühelos zuſammengeſetzt iſt, zeigt ſich nicht das Geringſte, das Veranlaſſung geben könnte, dieſen ärmlichen Bau für ein Gotteshaus zn halten. Vier Wände, ein Dach und ein Dutzend kleine, vergitterte Fenſter — jedes Privathaus iſt ein Prachtbau dagegen. Dieſe ärmliche Kirche gab nichtsdeſtoweniger zu einem Prozeſſe Veranlaſſung, der über hundert Jahre ſchwebte und einem als ein „Viel Lärm um Nichts“ erſcheinen könnte, wenn es in Fragen des Rechts etwas Kleines und Geringfügiges gäbe. Küſtrin focht in dieſem Streit mit der Ausdauer eines John Hampden und blieb ſchließlich Sieger. Der Streit, der kaum umhin kann, zu allerhand Betrachtungen über Sonſt und Jetzt zu führen, war in aller Kürze der. Die Küſtriner Bürger hatten ſich in alter Zeit auf dem Wallgang eine Kirche gebaut. Die Kirche war unbeſtritten ihr Eigenthum. Zur Zeit des großen Kurfürſten ſuchte der Kom- mandant bei der Stadtbehörde nach, ſeine Soldaten zum Gottes-
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ſich die Geſchichtſchreibung über verſchiedene Dinge, die in naher
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namentlich alſo über die Lokalitäten, die er Anfangs bewohnte,
durchaus nicht mit der Klarheit und Sicherheit verbreiten kann,
die wünſchenswerth wäre und die man bei einem ſo viel durch-
forſchten Gegenſtande, der wenig über hundert Jahre zurückliegt,
faſt erwarten ſollte.
Vom alten Küſtrin überlebten mit Ausnahme des Schloſſes,
deſſen dicke Außenwände ſtehen blieben, nur drei Gebäude das
Bombardement: ein Thorthurm, die Hauptwache und die Garni-
ſonskirche. Die beiden erſteren ſind ſeitdem verſchwunden; die
letztere exiſtirt noch und befindet ſich bis dieſen Tag im Stadtſiegel
Küſtrins, von fliegenden Bomben überſchüttet, aber zugleich von
der Sonne beſchienen, mit der Umſchrift: ex ruinis den 15. Auguſt
1758. Dieſer alten Garniſonskirche gilt zunächſt unſer Beſuch. Sie
dient jetzt als Magazin, als „Schirrhaus,“ wie die Küſtriner
ſagen, und iſt auf Baſtion Philipp gelegen, von wo aus man
das Oder- und Warthebruch in ihrer üppigen Fruchtbarkeit über-
blickt. Mit Ausnahme einer Schwellentreppe, die aus alten Grab-
ſteinen mühelos zuſammengeſetzt iſt, zeigt ſich nicht das Geringſte,
das Veranlaſſung geben könnte, dieſen ärmlichen Bau für ein
Gotteshaus zn halten. Vier Wände, ein Dach und ein Dutzend
kleine, vergitterte Fenſter — jedes Privathaus iſt ein Prachtbau
dagegen. Dieſe ärmliche Kirche gab nichtsdeſtoweniger zu einem
Prozeſſe Veranlaſſung, der über hundert Jahre ſchwebte und einem
als ein „Viel Lärm um Nichts“ erſcheinen könnte, wenn es in
Fragen des Rechts etwas Kleines und Geringfügiges gäbe. Küſtrin
focht in dieſem Streit mit der Ausdauer eines John Hampden
und blieb ſchließlich Sieger. Der Streit, der kaum umhin kann,
zu allerhand Betrachtungen über Sonſt und Jetzt zu führen, war
in aller Kürze der. Die Küſtriner Bürger hatten ſich in alter Zeit
auf dem Wallgang eine Kirche gebaut. Die Kirche war unbeſtritten
ihr Eigenthum. Zur Zeit des großen Kurfürſten ſuchte der Kom-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/350>, abgerufen am 23.11.2024.
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