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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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der Oder zwischen Lebus und Oderberg entlang zieht, ein Marsch-
land, eine Niederung, die nach Westen hin von einem Höhenzuge,
nach Osten hin vom Flusse selber begrenzt wird. In alten Zeiten
waren diese Niederungen Sumpf, ein Spiel- und Tummelplatz
des Flusses, der sich auf ihnen, so oft ihn die Laune anwandelte,
mit breitem Behagen erging. Vor etwa hundert Jahren aber zog
die Hand des Menschen zwischen Fluß und Sumpf einen viele
Meilen langen Damm hin und wandelte dadurch das wüste, erlen-
bestandene Sumpfland in ein großes Fruchtland um, das heutige
Oderbruch. Man unterscheidet ein Nieder-, Ober- und Mittelbruch,
von denen das Niederbruch (zwischen Oderberg und Freienwalde)
durch die Schönheit seiner Wiesen, das Mittelbruch aber durch die
besondere Fruchtbarkeit seiner Aecker ausgezeichnet ist. Unser Besuch
heut gilt weder dem einen noch dem andern, sondern dem südlichst
gelegenen Theile des Bruchs, dem Oberbruch, von dessen Hügel-
wand wir nach zwei Seiten hin das Bruch und das im Vorder-
grunde gelegene Dorf Gusow überblicken. Doch ich greife unserer
Reise vor.

Eine Nachtfahrt hat uns an Rüdersdorf und Müncheberg
vorbei bis in das Städtchen Selow geführt. Wir gönnen uns
eine Stunde Rast und fahren nun, bei Morgensonne und Lerchen-
jubel, der nach Norden hin gelegenen Niederung zu. Auf halbem
Wege, wo das Plateau abzufallen beginnt und eine Pappelallee,
von Gusow aus, ihre Vorposten hoch hinauf schickt, um uns in
Empfang zu nehmen, halten wir, um uns an dem Landschafts-
bilde zu erfreuen, das jetzt in prachtvoller, überraschender Schön-
heit vor uns liegt. Der Gottessegen berührt hier das Herz mit
einem ganz eigenthümlichen Zauber, mit einer fromm gestimmten
Freude, wie sie die Patriarchen empfinden mochten, wenn sie in-
mitten menschenleerer Gegenden den gottgeschenkten Segen ihres
Hauses und den Reichthum ihrer Heerden zählten. Wo die Hand
des Menschen in harter, nie rastender Arbeit der ärmlichen Scholle
ein paar ärmliche Halme abgewinnt, da kann die Vorstellung in
ihm Platz gewinnen, als sei er es, der diesen armen Segen ge-

der Oder zwiſchen Lebus und Oderberg entlang zieht, ein Marſch-
land, eine Niederung, die nach Weſten hin von einem Höhenzuge,
nach Oſten hin vom Fluſſe ſelber begrenzt wird. In alten Zeiten
waren dieſe Niederungen Sumpf, ein Spiel- und Tummelplatz
des Fluſſes, der ſich auf ihnen, ſo oft ihn die Laune anwandelte,
mit breitem Behagen erging. Vor etwa hundert Jahren aber zog
die Hand des Menſchen zwiſchen Fluß und Sumpf einen viele
Meilen langen Damm hin und wandelte dadurch das wüſte, erlen-
beſtandene Sumpfland in ein großes Fruchtland um, das heutige
Oderbruch. Man unterſcheidet ein Nieder-, Ober- und Mittelbruch,
von denen das Niederbruch (zwiſchen Oderberg und Freienwalde)
durch die Schönheit ſeiner Wieſen, das Mittelbruch aber durch die
beſondere Fruchtbarkeit ſeiner Aecker ausgezeichnet iſt. Unſer Beſuch
heut gilt weder dem einen noch dem andern, ſondern dem ſüdlichſt
gelegenen Theile des Bruchs, dem Oberbruch, von deſſen Hügel-
wand wir nach zwei Seiten hin das Bruch und das im Vorder-
grunde gelegene Dorf Guſow überblicken. Doch ich greife unſerer
Reiſe vor.

Eine Nachtfahrt hat uns an Rüdersdorf und Müncheberg
vorbei bis in das Städtchen Selow geführt. Wir gönnen uns
eine Stunde Raſt und fahren nun, bei Morgenſonne und Lerchen-
jubel, der nach Norden hin gelegenen Niederung zu. Auf halbem
Wege, wo das Plateau abzufallen beginnt und eine Pappelallee,
von Guſow aus, ihre Vorpoſten hoch hinauf ſchickt, um uns in
Empfang zu nehmen, halten wir, um uns an dem Landſchafts-
bilde zu erfreuen, das jetzt in prachtvoller, überraſchender Schön-
heit vor uns liegt. Der Gottesſegen berührt hier das Herz mit
einem ganz eigenthümlichen Zauber, mit einer fromm geſtimmten
Freude, wie ſie die Patriarchen empfinden mochten, wenn ſie in-
mitten menſchenleerer Gegenden den gottgeſchenkten Segen ihres
Hauſes und den Reichthum ihrer Heerden zählten. Wo die Hand
des Menſchen in harter, nie raſtender Arbeit der ärmlichen Scholle
ein paar ärmliche Halme abgewinnt, da kann die Vorſtellung in
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[318/0336] der Oder zwiſchen Lebus und Oderberg entlang zieht, ein Marſch- land, eine Niederung, die nach Weſten hin von einem Höhenzuge, nach Oſten hin vom Fluſſe ſelber begrenzt wird. In alten Zeiten waren dieſe Niederungen Sumpf, ein Spiel- und Tummelplatz des Fluſſes, der ſich auf ihnen, ſo oft ihn die Laune anwandelte, mit breitem Behagen erging. Vor etwa hundert Jahren aber zog die Hand des Menſchen zwiſchen Fluß und Sumpf einen viele Meilen langen Damm hin und wandelte dadurch das wüſte, erlen- beſtandene Sumpfland in ein großes Fruchtland um, das heutige Oderbruch. Man unterſcheidet ein Nieder-, Ober- und Mittelbruch, von denen das Niederbruch (zwiſchen Oderberg und Freienwalde) durch die Schönheit ſeiner Wieſen, das Mittelbruch aber durch die beſondere Fruchtbarkeit ſeiner Aecker ausgezeichnet iſt. Unſer Beſuch heut gilt weder dem einen noch dem andern, ſondern dem ſüdlichſt gelegenen Theile des Bruchs, dem Oberbruch, von deſſen Hügel- wand wir nach zwei Seiten hin das Bruch und das im Vorder- grunde gelegene Dorf Guſow überblicken. Doch ich greife unſerer Reiſe vor. Eine Nachtfahrt hat uns an Rüdersdorf und Müncheberg vorbei bis in das Städtchen Selow geführt. Wir gönnen uns eine Stunde Raſt und fahren nun, bei Morgenſonne und Lerchen- jubel, der nach Norden hin gelegenen Niederung zu. Auf halbem Wege, wo das Plateau abzufallen beginnt und eine Pappelallee, von Guſow aus, ihre Vorpoſten hoch hinauf ſchickt, um uns in Empfang zu nehmen, halten wir, um uns an dem Landſchafts- bilde zu erfreuen, das jetzt in prachtvoller, überraſchender Schön- heit vor uns liegt. Der Gottesſegen berührt hier das Herz mit einem ganz eigenthümlichen Zauber, mit einer fromm geſtimmten Freude, wie ſie die Patriarchen empfinden mochten, wenn ſie in- mitten menſchenleerer Gegenden den gottgeſchenkten Segen ihres Hauſes und den Reichthum ihrer Heerden zählten. Wo die Hand des Menſchen in harter, nie raſtender Arbeit der ärmlichen Scholle ein paar ärmliche Halme abgewinnt, da kann die Vorſtellung in ihm Platz gewinnen, als ſei er es, der dieſen armen Segen ge-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/336>, abgerufen am 23.11.2024.