kunst spotteten. Nur "Fudit me Nicolaus Schmidichen 1657" konnte ich lesen.
Ich war enttäuscht, aber ich war nicht verstimmt, -- ganz neue Bilder hatten zu mir gesprochen. Ich hatte Einblick in eine Kirche gethan, deren gesammter Kunst-Schmuck ein vernachlässigtes Stück Altar-Schnitzwerk und deren historische Glanzseite eine ein- zige Kriegsdenkmünze aus dem Jahre 1813 war. Kirche und Kirch- hof waren Musterstücke in ihrer Art.
Ich schlenderte die Dorfgasse zurück und hatte die Oede, aus der ich kam, bald vergessen. Es ist ein poetisches Dorf, dies Pren- den, um so poetischer, als leise jenes Verfall- und Tod athmende Etwas über dem Ganzen liegt, das in Kirche und Kirchhof seinen unschönen Ausdruck gefunden hat. Der Verfall, wo er die Vor- stellung von Schuld und Vernachlässigung weckt, verletzt uns; aber der Verfall, in dem wir den Vollzug eines Naturgesetzes ahnen, beschleicht unser Herz mit unnennbarem Zauber. Es blühte nichts mehr in Prenden; ich sah nicht Aster, nicht Georgine, am wenigsten meine Lieblingsblume, die Malve; an hohen Stangen hingen die Saatbohnen für nächstes Jahr, und der eigentliche Baum des Dorfes war der Hollunderbaum, aus dessen dunklen Kronen überall die schwarzrothen Beerenbüschel in die Dorfgasse hineinhingen. Die Zäune schienen mehr in graue Flechten als in grünes Moos gekleidet und der Rauch stieg langsam und mühe- voll auf, als läge ein Druck auf den Dächern.
So kam ich an den Krug, der genau an der Stelle liegt, wo die alte Einfahrt auf den Schloßhof war. Die Krügerin er- zählte mir Aehnliches wie der alte Reisigsammler im Walde, und fuhr dann fort, indem sie mich an die Küchenthür führte: Hier, so weit das Kohlfeld reicht, waren die Karpfenteiche, und weiter- hin, wo Sie den Türkischen Weizen sehen, fing der Obstgarten an. Dies alles hier war Hof. Mein Mann hat alles gekauft, Krug und Schloß und Garten und Feld mit allem, was auf und in der Erde ist. Auf meine Frage, "ob viel in der Erde sei," antwortete sie zustimmend, und ich erfuhr, daß nicht nur des alten
kunſt ſpotteten. Nur „Fudit me Nicolaus Schmidichen 1657“ konnte ich leſen.
Ich war enttäuſcht, aber ich war nicht verſtimmt, — ganz neue Bilder hatten zu mir geſprochen. Ich hatte Einblick in eine Kirche gethan, deren geſammter Kunſt-Schmuck ein vernachläſſigtes Stück Altar-Schnitzwerk und deren hiſtoriſche Glanzſeite eine ein- zige Kriegsdenkmünze aus dem Jahre 1813 war. Kirche und Kirch- hof waren Muſterſtücke in ihrer Art.
Ich ſchlenderte die Dorfgaſſe zurück und hatte die Oede, aus der ich kam, bald vergeſſen. Es iſt ein poetiſches Dorf, dies Pren- den, um ſo poetiſcher, als leiſe jenes Verfall- und Tod athmende Etwas über dem Ganzen liegt, das in Kirche und Kirchhof ſeinen unſchönen Ausdruck gefunden hat. Der Verfall, wo er die Vor- ſtellung von Schuld und Vernachläſſigung weckt, verletzt uns; aber der Verfall, in dem wir den Vollzug eines Naturgeſetzes ahnen, beſchleicht unſer Herz mit unnennbarem Zauber. Es blühte nichts mehr in Prenden; ich ſah nicht Aſter, nicht Georgine, am wenigſten meine Lieblingsblume, die Malve; an hohen Stangen hingen die Saatbohnen für nächſtes Jahr, und der eigentliche Baum des Dorfes war der Hollunderbaum, aus deſſen dunklen Kronen überall die ſchwarzrothen Beerenbüſchel in die Dorfgaſſe hineinhingen. Die Zäune ſchienen mehr in graue Flechten als in grünes Moos gekleidet und der Rauch ſtieg langſam und mühe- voll auf, als läge ein Druck auf den Dächern.
So kam ich an den Krug, der genau an der Stelle liegt, wo die alte Einfahrt auf den Schloßhof war. Die Krügerin er- zählte mir Aehnliches wie der alte Reiſigſammler im Walde, und fuhr dann fort, indem ſie mich an die Küchenthür führte: Hier, ſo weit das Kohlfeld reicht, waren die Karpfenteiche, und weiter- hin, wo Sie den Türkiſchen Weizen ſehen, fing der Obſtgarten an. Dies alles hier war Hof. Mein Mann hat alles gekauft, Krug und Schloß und Garten und Feld mit allem, was auf und in der Erde iſt. Auf meine Frage, „ob viel in der Erde ſei,“ antwortete ſie zuſtimmend, und ich erfuhr, daß nicht nur des alten
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kunſt ſpotteten. Nur „Fudit me Nicolaus Schmidichen 1657“
konnte ich leſen.
Ich war enttäuſcht, aber ich war nicht verſtimmt, — ganz
neue Bilder hatten zu mir geſprochen. Ich hatte Einblick in eine
Kirche gethan, deren geſammter Kunſt-Schmuck ein vernachläſſigtes
Stück Altar-Schnitzwerk und deren hiſtoriſche Glanzſeite eine ein-
zige Kriegsdenkmünze aus dem Jahre 1813 war. Kirche und Kirch-
hof waren Muſterſtücke in ihrer Art.
Ich ſchlenderte die Dorfgaſſe zurück und hatte die Oede, aus
der ich kam, bald vergeſſen. Es iſt ein poetiſches Dorf, dies Pren-
den, um ſo poetiſcher, als leiſe jenes Verfall- und Tod athmende
Etwas über dem Ganzen liegt, das in Kirche und Kirchhof ſeinen
unſchönen Ausdruck gefunden hat. Der Verfall, wo er die Vor-
ſtellung von Schuld und Vernachläſſigung weckt, verletzt uns;
aber der Verfall, in dem wir den Vollzug eines Naturgeſetzes
ahnen, beſchleicht unſer Herz mit unnennbarem Zauber. Es blühte
nichts mehr in Prenden; ich ſah nicht Aſter, nicht Georgine, am
wenigſten meine Lieblingsblume, die Malve; an hohen Stangen
hingen die Saatbohnen für nächſtes Jahr, und der eigentliche
Baum des Dorfes war der Hollunderbaum, aus deſſen dunklen
Kronen überall die ſchwarzrothen Beerenbüſchel in die Dorfgaſſe
hineinhingen. Die Zäune ſchienen mehr in graue Flechten als in
grünes Moos gekleidet und der Rauch ſtieg langſam und mühe-
voll auf, als läge ein Druck auf den Dächern.
So kam ich an den Krug, der genau an der Stelle liegt,
wo die alte Einfahrt auf den Schloßhof war. Die Krügerin er-
zählte mir Aehnliches wie der alte Reiſigſammler im Walde, und
fuhr dann fort, indem ſie mich an die Küchenthür führte: Hier,
ſo weit das Kohlfeld reicht, waren die Karpfenteiche, und weiter-
hin, wo Sie den Türkiſchen Weizen ſehen, fing der Obſtgarten
an. Dies alles hier war Hof. Mein Mann hat alles gekauft,
Krug und Schloß und Garten und Feld mit allem, was auf und
in der Erde iſt. Auf meine Frage, „ob viel in der Erde ſei,“
antwortete ſie zuſtimmend, und ich erfuhr, daß nicht nur des alten
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/333>, abgerufen am 23.11.2024.
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