Berliner Geistliche von der strengeren Richtung, wie Held und Hennefuß. Er theilte die Ansichten dieser Herren nicht und hatte dessen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernste Gespräche führte, von so feinen und anziehenden Formen, daß die Besuche weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten sollen. Alle diese Besuche von Freunden und Geistlichen erfreuten ihn lebhaft, denn sie boten ihm geistige Nahrung und Anregung; aber höchst unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt, die sich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken ließen, um hinterher von den "hohen Vorzügen des Landlebens" schwärmen zu können, und eines seiner Gedichte, nachdem er diese Zudringlichen zuvor beschrieben, schließt mit dem Anruf an Fortuna:
Send', o Göttin, naht ein solcher Schwall, Uns zum Schutze Regen her in Bächen! Thürm' ein Wetter auf mit Blitz und Knall, Oder -- laß ein Wagenrad zerbrechen.
Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike's, dessen Humor freilich um vieles mächtiger ist.
Unter den classischen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil der liebste; seine Bukolika standen ihm außerordentlich hoch und mögen sein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich- ter aller Zeiten aber erschien ihm Shakespeare, den er mit Passion las und dessen kühne und erhabene Bilder ihn immer wieder begeisterten.
Die Angriffe, die sein eigenes Dichten erfuhr, machten gar keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl darin, daß er eine durch und durch bescheidene Natur und niemals von dem eitlen Vermessen erfüllt war, neben den Heroen jener Epoche ebenbürtig dastehen zu wollen. Er wollte wenig sein, aber daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er fest durchdrungen; er hielt den Beweis davon in Händen, und diese Ueberzeugung (die nebenher wissen mochte, daß ein
Berliner Geiſtliche von der ſtrengeren Richtung, wie Held und Hennefuß. Er theilte die Anſichten dieſer Herren nicht und hatte deſſen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernſte Geſpräche führte, von ſo feinen und anziehenden Formen, daß die Beſuche weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten ſollen. Alle dieſe Beſuche von Freunden und Geiſtlichen erfreuten ihn lebhaft, denn ſie boten ihm geiſtige Nahrung und Anregung; aber höchſt unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt, die ſich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken ließen, um hinterher von den „hohen Vorzügen des Landlebens“ ſchwärmen zu können, und eines ſeiner Gedichte, nachdem er dieſe Zudringlichen zuvor beſchrieben, ſchließt mit dem Anruf an Fortuna:
Send’, o Göttin, naht ein ſolcher Schwall, Uns zum Schutze Regen her in Bächen! Thürm’ ein Wetter auf mit Blitz und Knall, Oder — laß ein Wagenrad zerbrechen.
Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike’s, deſſen Humor freilich um vieles mächtiger iſt.
Unter den claſſiſchen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil der liebſte; ſeine Bukolika ſtanden ihm außerordentlich hoch und mögen ſein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich- ter aller Zeiten aber erſchien ihm Shakeſpeare, den er mit Paſſion las und deſſen kühne und erhabene Bilder ihn immer wieder begeiſterten.
Die Angriffe, die ſein eigenes Dichten erfuhr, machten gar keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl darin, daß er eine durch und durch beſcheidene Natur und niemals von dem eitlen Vermeſſen erfüllt war, neben den Heroen jener Epoche ebenbürtig daſtehen zu wollen. Er wollte wenig ſein, aber daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er feſt durchdrungen; er hielt den Beweis davon in Händen, und dieſe Ueberzeugung (die nebenher wiſſen mochte, daß ein
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Berliner Geiſtliche von der ſtrengeren Richtung, wie Held und
Hennefuß. Er theilte die Anſichten dieſer Herren nicht und hatte
deſſen kein Hehl, war aber in der Art, wie er ernſte Geſpräche
führte, von ſo feinen und anziehenden Formen, daß die Beſuche
weit öfter wiederholt wurden, als man hätte erwarten ſollen. Alle
dieſe Beſuche von Freunden und Geiſtlichen erfreuten ihn lebhaft,
denn ſie boten ihm geiſtige Nahrung und Anregung; aber höchſt
unbequem waren ihm die affectirten Leute aus der großen Stadt,
die ſich aus Neugier oder aus Sentimentalität bei ihm blicken
ließen, um hinterher von den „hohen Vorzügen des Landlebens“
ſchwärmen zu können, und eines ſeiner Gedichte, nachdem er dieſe
Zudringlichen zuvor beſchrieben, ſchließt mit dem Anruf an
Fortuna:
Send’, o Göttin, naht ein ſolcher Schwall,
Uns zum Schutze Regen her in Bächen!
Thürm’ ein Wetter auf mit Blitz und Knall,
Oder — laß ein Wagenrad zerbrechen.
Dies erinnert an ähnliche Niedlichkeiten Mörike’s, deſſen
Humor freilich um vieles mächtiger iſt.
Unter den claſſiſchen Dichtern war ihm, neben Homer, Virgil
der liebſte; ſeine Bukolika ſtanden ihm außerordentlich hoch und
mögen ſein eigenes Dichten beeinflußt haben. Als der größte Dich-
ter aller Zeiten aber erſchien ihm Shakeſpeare, den er mit
Paſſion las und deſſen kühne und erhabene Bilder ihn immer
wieder begeiſterten.
Die Angriffe, die ſein eigenes Dichten erfuhr, machten gar
keinen Eindruck auf ihn, ergötzten ihn vielmehr. Es lag wohl
darin, daß er eine durch und durch beſcheidene Natur und niemals
von dem eitlen Vermeſſen erfüllt war, neben den Heroen jener
Epoche ebenbürtig daſtehen zu wollen. Er wollte wenig ſein, aber
daß er dies Wenige auch wirklich war, davon war er
feſt durchdrungen; er hielt den Beweis davon in Händen,
und dieſe Ueberzeugung (die nebenher wiſſen mochte, daß ein
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/306>, abgerufen am 27.11.2024.
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