Warnow, Klein-Warnow = Warnowichen und Warnowichen = Werneuchen.
Werneuchen gehörte zu jenen bevorzugten Oertern (wie Zos- sen, Trebbin, Baruth u. a. m.), die, ohne besonderes Verdienst, sich in jener kurzen Epoche, die zwischen dem Sandweg und der Eisenbahn liegt und die man das Chaussee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewissen Reputation emporarbeiteten. Vielleicht war es diese Empfindung, die, als das eherne Zeitalter der Eisenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens gekommen glaubte und vor seiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) zitterte. Man hatte sich daran gewöhnt, Werneuchen und Passagier- stube als identische Dinge anzusehen; nun strich man die Passagier- stube und die Frage trat an jedes Herz: "was bleibt noch übrig?" Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, schlimmer gewesen, als die Sache selbst, und Werneuchen blieb im Wesentlichen, was es gewesen war. Die Fruchtbarkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten als- bald das Deficit, wenn überhaupt ein solches entstand, und der freundlichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalousieen wur- den nicht weniger, sondern mehr. Das Städtchen wächst und ge- deiht, und wem die Ziegeldächer und die Jalousieen als Beweis nicht genügen, der richte sich an der neu entstandenen "Schützen- gilde" auf, die seit dem April 1849 ihre Schüsse in's Schwarze und gelegentlich auch wohl -- in's Blaue thut.
Werneuchen gewährt jetzt den Anblick eines sauberen an Wohl- habenheit wachsenden Städtchens, aber es ist nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leser zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 50 Jahre zurück und rüsten uns zu einem Besuche in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieses Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chaussee, die noch gar nicht existirte oder doch erst im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fensterladen mit dem eingeschnit- tenen Herzen durch grüne Jalousieen zu verdrängen, und die
Warnow, Klein-Warnow = Warnowichen und Warnowichen = Werneuchen.
Werneuchen gehörte zu jenen bevorzugten Oertern (wie Zoſ- ſen, Trebbin, Baruth u. a. m.), die, ohne beſonderes Verdienſt, ſich in jener kurzen Epoche, die zwiſchen dem Sandweg und der Eiſenbahn liegt und die man das Chauſſee-Interregnum nennen könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Vielleicht war es dieſe Empfindung, die, als das eherne Zeitalter der Eiſenbahnen wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens gekommen glaubte und vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung) zitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt, Werneuchen und Paſſagier- ſtube als identiſche Dinge anzuſehen; nun ſtrich man die Paſſagier- ſtube und die Frage trat an jedes Herz: „was bleibt noch übrig?“ Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht war, wie immer, ſchlimmer geweſen, als die Sache ſelbſt, und Werneuchen blieb im Weſentlichen, was es geweſen war. Die Fruchtbarkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten als- bald das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der freundlichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wur- den nicht weniger, ſondern mehr. Das Städtchen wächſt und ge- deiht, und wem die Ziegeldächer und die Jalouſieen als Beweis nicht genügen, der richte ſich an der neu entſtandenen „Schützen- gilde“ auf, die ſeit dem April 1849 ihre Schüſſe in’s Schwarze und gelegentlich auch wohl — in’s Blaue thut.
Werneuchen gewährt jetzt den Anblick eines ſauberen an Wohl- habenheit wachſenden Städtchens, aber es iſt nicht das heutige Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leſer zu führen gedenke, vielmehr gehen wir um 50 Jahre zurück und rüſten uns zu einem Beſuche in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang dieſes Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee, die noch gar nicht exiſtirte oder doch erſt im Bau begriffen war, hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem eingeſchnit- tenen Herzen durch grüne Jalouſieen zu verdrängen, und die
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Warnow, Klein-Warnow = Warnowichen und Warnowichen =
Werneuchen.
Werneuchen gehörte zu jenen bevorzugten Oertern (wie Zoſ-
ſen, Trebbin, Baruth u. a. m.), die, ohne beſonderes Verdienſt,
ſich in jener kurzen Epoche, die zwiſchen dem Sandweg und der
Eiſenbahn liegt und die man das Chauſſee-Interregnum nennen
könnte, zu einer gewiſſen Reputation emporarbeiteten. Vielleicht war
es dieſe Empfindung, die, als das eherne Zeitalter der Eiſenbahnen
wirklich anbrach, den Ruin Werneuchens gekommen glaubte und
vor ſeiner Zukunft (denn die Bahn nahm eine andere Richtung)
zitterte. Man hatte ſich daran gewöhnt, Werneuchen und Paſſagier-
ſtube als identiſche Dinge anzuſehen; nun ſtrich man die Paſſagier-
ſtube und die Frage trat an jedes Herz: „was bleibt noch übrig?“
Aber die Dinge kamen anders, als man gedacht hatte; die Furcht
war, wie immer, ſchlimmer geweſen, als die Sache ſelbſt, und
Werneuchen blieb im Weſentlichen, was es geweſen war. Die
Fruchtbarkeit der Aecker und der Fleiß der Bewohner deckten als-
bald das Deficit, wenn überhaupt ein ſolches entſtand, und der
freundlichen Häuschen mit Ziegeldach und grünen Jalouſieen wur-
den nicht weniger, ſondern mehr. Das Städtchen wächſt und ge-
deiht, und wem die Ziegeldächer und die Jalouſieen als Beweis
nicht genügen, der richte ſich an der neu entſtandenen „Schützen-
gilde“ auf, die ſeit dem April 1849 ihre Schüſſe in’s Schwarze
und gelegentlich auch wohl — in’s Blaue thut.
Werneuchen gewährt jetzt den Anblick eines ſauberen an Wohl-
habenheit wachſenden Städtchens, aber es iſt nicht das heutige
Klein-Warnow oder Klein-Bernau, wohin ich den Leſer zu führen
gedenke, vielmehr gehen wir um 50 Jahre zurück und rüſten uns
zu einem Beſuche in dem alten Werneuchen, wie es zu Anfang
dieſes Jahrhunderts war.
Auch damals war es ein freundlicher Ort, aber die Chauſſee,
die noch gar nicht exiſtirte oder doch erſt im Bau begriffen war,
hatte noch nicht Zeit gehabt, die Fenſterladen mit dem eingeſchnit-
tenen Herzen durch grüne Jalouſieen zu verdrängen, und die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/292>, abgerufen am 22.11.2024.
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