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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre
Eitelkeit; Glaube und Sehnsucht wuchsen in seinem Herzen
und trugen ihn aufwärts."*)



Ich habe in Vorstehendem den Menschen Canitz, eine lie-
benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu schildern ver-
sucht, es bleibt noch die Frage übrig nach seiner politischen
Bedeutung, nach seinem poetischen Werth. War er ein Staats-
mann? war er ein Poet? Das Erstere gewiß, das Zweite kaum
minder.

Die Natur schien ihn für die diplomatische Laufbahn wie im
Voraus gebildet zu haben, und seine Erziehung, seine Lebens-
umstände, ja die eigenthümlichen Verhältnisse seiner Familie (ich
beziehe dies auf die Stiefväter und Stiefschwiegerväter, denn auch
die Mutter seiner Frau war dreimal verheirathet), hatten von
Jugend auf dahin gewirkt, diese natürliche Anlage auszubilden.
Eine Schilderung seines Wesens und Charakters, die uns aufbe-
wahrt worden ist, zeigt am besten, wie außerordentlich geeignet er
für eine Laufbahn war, in der damals, ungleich mehr noch als
jetzt, alles an dem Erkennen und an der richtigen Benutzung von
Persönlichkeiten gelegen war. "Er war gesprächig, höflich, frei
von Eigensinn und Widerspruchsgeist
, für Jedermann ge-

*) Canitz und seine erste Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grab-
mäler ich in der obengenannten Kirche lange vergeblich suchte, sind nichts-
destoweniger in St. Marien wirklich beigesetzt worden, aber in der
Roebel'schen Familiengruft. Da dies alte Erbbegräbniß (in dem, laut
Stadtrath Klein's Geschichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien:
der Roebels, Canstein und Canitz, beigesetzt wurden) seit etwa 20 Jahren
zugemauert ist, so ist es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inschrif-
ten zu befragen. Möglich, daß dieselben, z. B. über den Geburtsort
Canitz's, noch Aufschluß geben würden. Ueber dem jetzt zugemauerten Ein-
gang zur Roebel'schen Gruft befindet sich übrigens ein stattliches Monu-
ment, das die vor dem Crucifix knieenden, lebensgroßen Figuren Ehren-
reichs v. Roebel und seiner Gemahlin Anna, geb. v. Gollnitz, enthält.

ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre
Eitelkeit; Glaube und Sehnſucht wuchſen in ſeinem Herzen
und trugen ihn aufwärts.“*)



Ich habe in Vorſtehendem den Menſchen Canitz, eine lie-
benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu ſchildern ver-
ſucht, es bleibt noch die Frage übrig nach ſeiner politiſchen
Bedeutung, nach ſeinem poetiſchen Werth. War er ein Staats-
mann? war er ein Poet? Das Erſtere gewiß, das Zweite kaum
minder.

Die Natur ſchien ihn für die diplomatiſche Laufbahn wie im
Voraus gebildet zu haben, und ſeine Erziehung, ſeine Lebens-
umſtände, ja die eigenthümlichen Verhältniſſe ſeiner Familie (ich
beziehe dies auf die Stiefväter und Stiefſchwiegerväter, denn auch
die Mutter ſeiner Frau war dreimal verheirathet), hatten von
Jugend auf dahin gewirkt, dieſe natürliche Anlage auszubilden.
Eine Schilderung ſeines Weſens und Charakters, die uns aufbe-
wahrt worden iſt, zeigt am beſten, wie außerordentlich geeignet er
für eine Laufbahn war, in der damals, ungleich mehr noch als
jetzt, alles an dem Erkennen und an der richtigen Benutzung von
Perſönlichkeiten gelegen war. „Er war geſprächig, höflich, frei
von Eigenſinn und Widerſpruchsgeiſt
, für Jedermann ge-

*) Canitz und ſeine erſte Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grab-
mäler ich in der obengenannten Kirche lange vergeblich ſuchte, ſind nichts-
deſtoweniger in St. Marien wirklich beigeſetzt worden, aber in der
Roebel’ſchen Familiengruft. Da dies alte Erbbegräbniß (in dem, laut
Stadtrath Klein’s Geſchichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien:
der Roebels, Canſtein und Canitz, beigeſetzt wurden) ſeit etwa 20 Jahren
zugemauert iſt, ſo iſt es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inſchrif-
ten zu befragen. Möglich, daß dieſelben, z. B. über den Geburtsort
Canitz’s, noch Aufſchluß geben würden. Ueber dem jetzt zugemauerten Ein-
gang zur Roebel’ſchen Gruft befindet ſich übrigens ein ſtattliches Monu-
ment, das die vor dem Crucifix knieenden, lebensgroßen Figuren Ehren-
reichs v. Roebel und ſeiner Gemahlin Anna, geb. v. Gollnitz, enthält.
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[266/0284] ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und Sehnſucht wuchſen in ſeinem Herzen und trugen ihn aufwärts.“ *) Ich habe in Vorſtehendem den Menſchen Canitz, eine lie- benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu ſchildern ver- ſucht, es bleibt noch die Frage übrig nach ſeiner politiſchen Bedeutung, nach ſeinem poetiſchen Werth. War er ein Staats- mann? war er ein Poet? Das Erſtere gewiß, das Zweite kaum minder. Die Natur ſchien ihn für die diplomatiſche Laufbahn wie im Voraus gebildet zu haben, und ſeine Erziehung, ſeine Lebens- umſtände, ja die eigenthümlichen Verhältniſſe ſeiner Familie (ich beziehe dies auf die Stiefväter und Stiefſchwiegerväter, denn auch die Mutter ſeiner Frau war dreimal verheirathet), hatten von Jugend auf dahin gewirkt, dieſe natürliche Anlage auszubilden. Eine Schilderung ſeines Weſens und Charakters, die uns aufbe- wahrt worden iſt, zeigt am beſten, wie außerordentlich geeignet er für eine Laufbahn war, in der damals, ungleich mehr noch als jetzt, alles an dem Erkennen und an der richtigen Benutzung von Perſönlichkeiten gelegen war. „Er war geſprächig, höflich, frei von Eigenſinn und Widerſpruchsgeiſt, für Jedermann ge- *) Canitz und ſeine erſte Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grab- mäler ich in der obengenannten Kirche lange vergeblich ſuchte, ſind nichts- deſtoweniger in St. Marien wirklich beigeſetzt worden, aber in der Roebel’ſchen Familiengruft. Da dies alte Erbbegräbniß (in dem, laut Stadtrath Klein’s Geſchichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels, Canſtein und Canitz, beigeſetzt wurden) ſeit etwa 20 Jahren zugemauert iſt, ſo iſt es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inſchrif- ten zu befragen. Möglich, daß dieſelben, z. B. über den Geburtsort Canitz’s, noch Aufſchluß geben würden. Ueber dem jetzt zugemauerten Ein- gang zur Roebel’ſchen Gruft befindet ſich übrigens ein ſtattliches Monu- ment, das die vor dem Crucifix knieenden, lebensgroßen Figuren Ehren- reichs v. Roebel und ſeiner Gemahlin Anna, geb. v. Gollnitz, enthält.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/284>, abgerufen am 23.11.2024.