Hälfte den reichen Unterärmel von Brüsseler Spitzen. Der Ausdruck des Kopfes ist der einer selbstbewußten, herrschgewohnten Frau, deren natürliche Gutmüthigkeit sich gegen die Regungen des Stolzes eben so sehr wie gegen die harten Schläge des Schicksals behauptet hat. Nichts Weichliches, nichts Sinnliches in den Zügen; die ganze Erscheinung streng und wohlwollend zugleich. Von schweren und harten Schlägen, die so leicht eine angeborne Milde in Herbigkeit umwandeln, war sie freilich vielfach betroffen worden. Wenn das Leben ihres Vaters Gegensätze geboten hatte, so bot das ihre deren mehr. Sie hatte die Tage seltenen Glückes gesehen, aber auch Tage tiefen Falles. Ihr Ehgemahl, eine genialische Natur, halb Held, halb Libertin, hatte sich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler, als erster Diener neben dem Thron des Fürsten zu stehen; nicht der Diener seines Herrn, seines Herrn Herr hatte er zu sein gestrebt, war er in Wirklichkeit gewesen. Daß er es hatte bleiben wollen, das hatte ihn gestürzt. Was Kurfürst Friedrich Wilhelm tragen konnte, als er, fast ein Knabe noch, in's Land kam, in ein Land, das der schlane Muth Konrad's von Burgsdorf ihm schrittweis erst erschließen mußte, das mußte allmälig zur Verstim- mung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürst "der große Kurfürst" zu werden begann. Der kluge Günstling, der so Vieles sah, sah diesen Wechsel nicht, wollte ihn vielleicht nicht sehen, und an diesem Irrthum oder Eigensinn ging er zu Grunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüstheit seines Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe wurde ausgesprochen. Er ging nach Blumberg; aber der Haß seiner Feinde schwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor seiner Rückkehr, und hundert geschäftige Zungen trugen es durch die Stadt, "daß der gestürzte Günstling 18 Maß Wein tagtäglich bei Tafel getrunken habe und ein gewaltiger Courmacher und Sere- nadenbringer gewesen sei." Man wußte wohl, was man that, daß man diese Dinge in Umlauf setzte und keine andern; denn Kur- fürstin Henriette Louise war eine fromme Frau, der alles Laster- leben ein Greuel war, und nachdem Unzucht und Völlerei so lange
Hälfte den reichen Unterärmel von Brüſſeler Spitzen. Der Ausdruck des Kopfes iſt der einer ſelbſtbewußten, herrſchgewohnten Frau, deren natürliche Gutmüthigkeit ſich gegen die Regungen des Stolzes eben ſo ſehr wie gegen die harten Schläge des Schickſals behauptet hat. Nichts Weichliches, nichts Sinnliches in den Zügen; die ganze Erſcheinung ſtreng und wohlwollend zugleich. Von ſchweren und harten Schlägen, die ſo leicht eine angeborne Milde in Herbigkeit umwandeln, war ſie freilich vielfach betroffen worden. Wenn das Leben ihres Vaters Gegenſätze geboten hatte, ſo bot das ihre deren mehr. Sie hatte die Tage ſeltenen Glückes geſehen, aber auch Tage tiefen Falles. Ihr Ehgemahl, eine genialiſche Natur, halb Held, halb Libertin, hatte ſich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler, als erſter Diener neben dem Thron des Fürſten zu ſtehen; nicht der Diener ſeines Herrn, ſeines Herrn Herr hatte er zu ſein geſtrebt, war er in Wirklichkeit geweſen. Daß er es hatte bleiben wollen, das hatte ihn geſtürzt. Was Kurfürſt Friedrich Wilhelm tragen konnte, als er, faſt ein Knabe noch, in’s Land kam, in ein Land, das der ſchlane Muth Konrad’s von Burgsdorf ihm ſchrittweis erſt erſchließen mußte, das mußte allmälig zur Verſtim- mung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürſt „der große Kurfürſt“ zu werden begann. Der kluge Günſtling, der ſo Vieles ſah, ſah dieſen Wechſel nicht, wollte ihn vielleicht nicht ſehen, und an dieſem Irrthum oder Eigenſinn ging er zu Grunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüſtheit ſeines Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe wurde ausgeſprochen. Er ging nach Blumberg; aber der Haß ſeiner Feinde ſchwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor ſeiner Rückkehr, und hundert geſchäftige Zungen trugen es durch die Stadt, „daß der geſtürzte Günſtling 18 Maß Wein tagtäglich bei Tafel getrunken habe und ein gewaltiger Courmacher und Sere- nadenbringer geweſen ſei.“ Man wußte wohl, was man that, daß man dieſe Dinge in Umlauf ſetzte und keine andern; denn Kur- fürſtin Henriette Louiſe war eine fromme Frau, der alles Laſter- leben ein Greuel war, und nachdem Unzucht und Völlerei ſo lange
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Hälfte den reichen Unterärmel von Brüſſeler Spitzen. Der Ausdruck
des Kopfes iſt der einer ſelbſtbewußten, herrſchgewohnten Frau,
deren natürliche Gutmüthigkeit ſich gegen die Regungen des Stolzes
eben ſo ſehr wie gegen die harten Schläge des Schickſals behauptet
hat. Nichts Weichliches, nichts Sinnliches in den Zügen; die ganze
Erſcheinung ſtreng und wohlwollend zugleich. Von ſchweren und
harten Schlägen, die ſo leicht eine angeborne Milde in Herbigkeit
umwandeln, war ſie freilich vielfach betroffen worden. Wenn das
Leben ihres Vaters Gegenſätze geboten hatte, ſo bot das ihre deren
mehr. Sie hatte die Tage ſeltenen Glückes geſehen, aber auch Tage
tiefen Falles. Ihr Ehgemahl, eine genialiſche Natur, halb Held,
halb Libertin, hatte ſich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler,
als erſter Diener neben dem Thron des Fürſten zu ſtehen; nicht
der Diener ſeines Herrn, ſeines Herrn Herr hatte er zu ſein
geſtrebt, war er in Wirklichkeit geweſen. Daß er es hatte bleiben
wollen, das hatte ihn geſtürzt. Was Kurfürſt Friedrich Wilhelm
tragen konnte, als er, faſt ein Knabe noch, in’s Land kam, in
ein Land, das der ſchlane Muth Konrad’s von Burgsdorf ihm
ſchrittweis erſt erſchließen mußte, das mußte allmälig zur Verſtim-
mung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürſt
„der große Kurfürſt“ zu werden begann. Der kluge Günſtling,
der ſo Vieles ſah, ſah dieſen Wechſel nicht, wollte ihn vielleicht
nicht ſehen, und an dieſem Irrthum oder Eigenſinn ging er zu
Grunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüſtheit ſeines
Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe
wurde ausgeſprochen. Er ging nach Blumberg; aber der Haß
ſeiner Feinde ſchwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor ſeiner
Rückkehr, und hundert geſchäftige Zungen trugen es durch die
Stadt, „daß der geſtürzte Günſtling 18 Maß Wein tagtäglich bei
Tafel getrunken habe und ein gewaltiger Courmacher und Sere-
nadenbringer geweſen ſei.“ Man wußte wohl, was man that, daß
man dieſe Dinge in Umlauf ſetzte und keine andern; denn Kur-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/276>, abgerufen am 23.11.2024.
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