Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

Bild:
<< vorherige Seite

Reisemantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf-
genähte Silberschuppen glitzern. Der Schädel ist groß und prächtig
geformt, das Gesicht aber klein und von feinen Formen. Die
Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in
Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten
des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Nasenspitze ist abgeschlagen.
Das geschah bei folgender Gelegenheit. Die Franzosen, kurze Zeit
nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten
sich in die Kirche ein. Voll Uebermuth schleppten sie den Mumien-
körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri-
vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach
das Nasenbein. *) Es ist in der That ein mehr denn fragliches
Glück, der Nachwelt in dieser Form erhalten zu werden, und wir
begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß'schen
Familie, die ihrem letzten Willen den Wunsch hinzugefügt haben:
"Nur nicht in unsere Gruft!" Gebhard Bernhard von Poellnitz
übrigens, dessen Mumie in so wenig neidenswerther Weise eine
Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, ist durchaus nicht
(wie so oft geschieht) mit dem Touristen, Kammerherrn und Me-
moirenschreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwechseln, den
Friedrich der Große durch die Worte: "ein infamer Kerl, dem

*) In einem andern märkischen Dorfe (Campehl, in der Grafschaft
Ruppin) kam, so wird erzählt, eine ähnliche Geschichte vor. Uebermüthige
Franzosen schafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in
die Kirche und begannen, in höllischer Blasphemie, ihn als Gekreuzigten
auf den Altar zu stellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz
schlagen. Als er beschäftigt war, die linke Hand festzunageln, fiel der er-
hobene Mumienarm zurück und gab dem unten stehenden Franzosen einen
Backenstreich. Dieser fiel todt um; Schreck und Gewissen hatten ihn ge-
tödtet. (Ich bin seitdem in der Campehler Kirche gewesen und kann diese
Geschichte leider nicht bestätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän-
den da, die Finger beider Hände wie in eins zusammengewachsen. Uebri-
gens erzählte mir der Küster von der großen Popularität dieser Mumie;
Handwerksburschen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen,
ermangelten nicht, sich den Herrn v. Kalbutz anzusehn, den sie alle als ein
Curiosum der Mark Brandenburg kennen.)
16*

Reiſemantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf-
genähte Silberſchuppen glitzern. Der Schädel iſt groß und prächtig
geformt, das Geſicht aber klein und von feinen Formen. Die
Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in
Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten
des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Naſenſpitze iſt abgeſchlagen.
Das geſchah bei folgender Gelegenheit. Die Franzoſen, kurze Zeit
nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten
ſich in die Kirche ein. Voll Uebermuth ſchleppten ſie den Mumien-
körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri-
vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach
das Naſenbein. *) Es iſt in der That ein mehr denn fragliches
Glück, der Nachwelt in dieſer Form erhalten zu werden, und wir
begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß’ſchen
Familie, die ihrem letzten Willen den Wunſch hinzugefügt haben:
„Nur nicht in unſere Gruft!“ Gebhard Bernhard von Poellnitz
übrigens, deſſen Mumie in ſo wenig neidenswerther Weiſe eine
Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, iſt durchaus nicht
(wie ſo oft geſchieht) mit dem Touriſten, Kammerherrn und Me-
moirenſchreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwechſeln, den
Friedrich der Große durch die Worte: „ein infamer Kerl, dem

*) In einem andern märkiſchen Dorfe (Campehl, in der Grafſchaft
Ruppin) kam, ſo wird erzählt, eine ähnliche Geſchichte vor. Uebermüthige
Franzoſen ſchafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in
die Kirche und begannen, in hölliſcher Blasphemie, ihn als Gekreuzigten
auf den Altar zu ſtellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz
ſchlagen. Als er beſchäftigt war, die linke Hand feſtzunageln, fiel der er-
hobene Mumienarm zurück und gab dem unten ſtehenden Franzoſen einen
Backenſtreich. Dieſer fiel todt um; Schreck und Gewiſſen hatten ihn ge-
tödtet. (Ich bin ſeitdem in der Campehler Kirche geweſen und kann dieſe
Geſchichte leider nicht beſtätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän-
den da, die Finger beider Hände wie in eins zuſammengewachſen. Uebri-
gens erzählte mir der Küſter von der großen Popularität dieſer Mumie;
Handwerksburſchen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen,
ermangelten nicht, ſich den Herrn v. Kalbutz anzuſehn, den ſie alle als ein
Curioſum der Mark Brandenburg kennen.)
16*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0261" n="243"/>
Rei&#x017F;emantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf-<lb/>
genähte Silber&#x017F;chuppen glitzern. Der Schädel i&#x017F;t groß und prächtig<lb/>
geformt, das Ge&#x017F;icht aber klein und von feinen Formen. Die<lb/>
Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in<lb/>
Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten<lb/>
des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Na&#x017F;en&#x017F;pitze i&#x017F;t abge&#x017F;chlagen.<lb/>
Das ge&#x017F;chah bei folgender Gelegenheit. Die Franzo&#x017F;en, kurze Zeit<lb/>
nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten<lb/>
&#x017F;ich in die Kirche ein. Voll Uebermuth &#x017F;chleppten &#x017F;ie den Mumien-<lb/>
körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri-<lb/>
vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach<lb/>
das Na&#x017F;enbein. <note place="foot" n="*)">In einem andern märki&#x017F;chen Dorfe (Campehl, in der Graf&#x017F;chaft<lb/>
Ruppin) kam, &#x017F;o wird erzählt, eine ähnliche Ge&#x017F;chichte vor. Uebermüthige<lb/>
Franzo&#x017F;en &#x017F;chafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in<lb/>
die Kirche und begannen, in hölli&#x017F;cher Blasphemie, ihn als Gekreuzigten<lb/>
auf den Altar zu &#x017F;tellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz<lb/>
&#x017F;chlagen. Als er be&#x017F;chäftigt war, die linke Hand fe&#x017F;tzunageln, fiel der er-<lb/>
hobene Mumienarm zurück und gab dem unten &#x017F;tehenden Franzo&#x017F;en einen<lb/>
Backen&#x017F;treich. Die&#x017F;er fiel todt um; Schreck und Gewi&#x017F;&#x017F;en hatten ihn ge-<lb/>
tödtet. (Ich bin &#x017F;eitdem in der Campehler Kirche gewe&#x017F;en und kann die&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;chichte leider nicht be&#x017F;tätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän-<lb/>
den da, die Finger beider Hände wie in eins zu&#x017F;ammengewach&#x017F;en. Uebri-<lb/>
gens erzählte mir der Kü&#x017F;ter von der großen Popularität die&#x017F;er Mumie;<lb/>
Handwerksbur&#x017F;chen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen,<lb/>
ermangelten nicht, &#x017F;ich den Herrn v. Kalbutz anzu&#x017F;ehn, den &#x017F;ie alle als ein<lb/>
Curio&#x017F;um der Mark Brandenburg kennen.)</note> Es i&#x017F;t in der That ein mehr denn fragliches<lb/>
Glück, der Nachwelt in die&#x017F;er Form erhalten zu werden, und wir<lb/>
begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß&#x2019;&#x017F;chen<lb/>
Familie, die ihrem letzten Willen den Wun&#x017F;ch hinzugefügt haben:<lb/>
&#x201E;Nur nicht in un&#x017F;ere Gruft!&#x201C; Gebhard Bernhard von Poellnitz<lb/>
übrigens, de&#x017F;&#x017F;en Mumie in &#x017F;o wenig neidenswerther Wei&#x017F;e eine<lb/>
Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, i&#x017F;t durchaus nicht<lb/>
(wie &#x017F;o oft ge&#x017F;chieht) mit dem Touri&#x017F;ten, Kammerherrn und Me-<lb/>
moiren&#x017F;chreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwech&#x017F;eln, den<lb/>
Friedrich der Große durch die Worte: &#x201E;ein infamer Kerl, dem<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">16*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0261] Reiſemantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf- genähte Silberſchuppen glitzern. Der Schädel iſt groß und prächtig geformt, das Geſicht aber klein und von feinen Formen. Die Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Naſenſpitze iſt abgeſchlagen. Das geſchah bei folgender Gelegenheit. Die Franzoſen, kurze Zeit nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten ſich in die Kirche ein. Voll Uebermuth ſchleppten ſie den Mumien- körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri- vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach das Naſenbein. *) Es iſt in der That ein mehr denn fragliches Glück, der Nachwelt in dieſer Form erhalten zu werden, und wir begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß’ſchen Familie, die ihrem letzten Willen den Wunſch hinzugefügt haben: „Nur nicht in unſere Gruft!“ Gebhard Bernhard von Poellnitz übrigens, deſſen Mumie in ſo wenig neidenswerther Weiſe eine Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, iſt durchaus nicht (wie ſo oft geſchieht) mit dem Touriſten, Kammerherrn und Me- moirenſchreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwechſeln, den Friedrich der Große durch die Worte: „ein infamer Kerl, dem *) In einem andern märkiſchen Dorfe (Campehl, in der Grafſchaft Ruppin) kam, ſo wird erzählt, eine ähnliche Geſchichte vor. Uebermüthige Franzoſen ſchafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in hölliſcher Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu ſtellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz ſchlagen. Als er beſchäftigt war, die linke Hand feſtzunageln, fiel der er- hobene Mumienarm zurück und gab dem unten ſtehenden Franzoſen einen Backenſtreich. Dieſer fiel todt um; Schreck und Gewiſſen hatten ihn ge- tödtet. (Ich bin ſeitdem in der Campehler Kirche geweſen und kann dieſe Geſchichte leider nicht beſtätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän- den da, die Finger beider Hände wie in eins zuſammengewachſen. Uebri- gens erzählte mir der Küſter von der großen Popularität dieſer Mumie; Handwerksburſchen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen, ermangelten nicht, ſich den Herrn v. Kalbutz anzuſehn, den ſie alle als ein Curioſum der Mark Brandenburg kennen.) 16*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/261
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/261>, abgerufen am 27.11.2024.