gestickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren sich König Friedrich I. bei seinen Besuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte und die nun seit über 32 Jahren unbeachtet und ungewürdigt in einer halb vergessenen Truhe gesteckt hatten. Nach Sonnenunter- gang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltische arrangirt, bis gegen 10 die willkommene Nachricht, daß das Souper angerichtet sei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Ueber- raschungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualificirten Weine, welch' Frohsinn, welche Heiterkeit der Gäste! Und doch zu- letzt vollzog sich das Unvermeidliche, was schon König Dagobert seinerzeit so bitter beklagt hat, daß auch die beste Gesellschaft ihr Ende habe und sich trennen müsse.
Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und früher fast als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge; der Hirt trieb seine Heerde, am Schloß vorbei, auf die frischen Felder hinaus. Den Beschluß machte ein Stier von so extra- eleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa sein konnte, ja die Art, wie er sich trug, dazu die Kraft seiner Brusttöne, schienen andeuten zu wollen, daß er ein Erscheinen unserer Damen an den verschiedenen Fenstern des Schlosses erwartet habe; aber er sah sich getäuscht, unsere Damen, die die Geschichte gelesen haben mochten, fürchteten sich und hielten sich zurück, um sich und ihre Reize nicht ähn- lichen Gefahren auszusetzen. Wie dem immer sei, der Morgen- schlummer war gestört und an die Stelle des Schlafs, der nicht wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem Morgenkostüm, und nach eingenommenem Frühstück, die gegen- seitigen Besuche. Die Prinzessin Amalie empfing die Huldigungen, die ihrer Schönheit dargebracht wurden; sie trug ein Corset von schwarzem Atlas, das mit weißer Seide gesteppt war und darunter ein silber-gesticktes Kleid mit natürlichen Blumen aufgenommen. In diesem Kostüm stand sie da und übte sich im Flötenspiel: Euterpe selbst hätte sie beneiden können.
Nach Tisch empfing die Königin Mutter alle anwesenden
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geſtickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren ſich König Friedrich I. bei ſeinen Beſuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte und die nun ſeit über 32 Jahren unbeachtet und ungewürdigt in einer halb vergeſſenen Truhe geſteckt hatten. Nach Sonnenunter- gang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltiſche arrangirt, bis gegen 10 die willkommene Nachricht, daß das Souper angerichtet ſei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Ueber- raſchungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualificirten Weine, welch’ Frohſinn, welche Heiterkeit der Gäſte! Und doch zu- letzt vollzog ſich das Unvermeidliche, was ſchon König Dagobert ſeinerzeit ſo bitter beklagt hat, daß auch die beſte Geſellſchaft ihr Ende habe und ſich trennen müſſe.
Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und früher faſt als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge; der Hirt trieb ſeine Heerde, am Schloß vorbei, auf die friſchen Felder hinaus. Den Beſchluß machte ein Stier von ſo extra- eleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa ſein konnte, ja die Art, wie er ſich trug, dazu die Kraft ſeiner Bruſttöne, ſchienen andeuten zu wollen, daß er ein Erſcheinen unſerer Damen an den verſchiedenen Fenſtern des Schloſſes erwartet habe; aber er ſah ſich getäuſcht, unſere Damen, die die Geſchichte geleſen haben mochten, fürchteten ſich und hielten ſich zurück, um ſich und ihre Reize nicht ähn- lichen Gefahren auszuſetzen. Wie dem immer ſei, der Morgen- ſchlummer war geſtört und an die Stelle des Schlafs, der nicht wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem Morgenkoſtüm, und nach eingenommenem Frühſtück, die gegen- ſeitigen Beſuche. Die Prinzeſſin Amalie empfing die Huldigungen, die ihrer Schönheit dargebracht wurden; ſie trug ein Corſet von ſchwarzem Atlas, das mit weißer Seide geſteppt war und darunter ein ſilber-geſticktes Kleid mit natürlichen Blumen aufgenommen. In dieſem Koſtüm ſtand ſie da und übte ſich im Flötenſpiel: Euterpe ſelbſt hätte ſie beneiden können.
Nach Tiſch empfing die Königin Mutter alle anweſenden
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geſtickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren ſich König
Friedrich I. bei ſeinen Beſuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte
und die nun ſeit über 32 Jahren unbeachtet und ungewürdigt in
einer halb vergeſſenen Truhe geſteckt hatten. Nach Sonnenunter-
gang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltiſche
arrangirt, bis gegen 10 die willkommene Nachricht, daß das Souper
angerichtet ſei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Ueber-
raſchungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualificirten
Weine, welch’ Frohſinn, welche Heiterkeit der Gäſte! Und doch zu-
letzt vollzog ſich das Unvermeidliche, was ſchon König Dagobert
ſeinerzeit ſo bitter beklagt hat, daß auch die beſte Geſellſchaft ihr
Ende habe und ſich trennen müſſe.
Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und
früher faſt als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge;
der Hirt trieb ſeine Heerde, am Schloß vorbei, auf die friſchen
Felder hinaus. Den Beſchluß machte ein Stier von ſo extra-
eleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte
glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa ſein konnte, ja die Art,
wie er ſich trug, dazu die Kraft ſeiner Bruſttöne, ſchienen andeuten
zu wollen, daß er ein Erſcheinen unſerer Damen an den verſchiedenen
Fenſtern des Schloſſes erwartet habe; aber er ſah ſich getäuſcht,
unſere Damen, die die Geſchichte geleſen haben mochten, fürchteten
ſich und hielten ſich zurück, um ſich und ihre Reize nicht ähn-
lichen Gefahren auszuſetzen. Wie dem immer ſei, der Morgen-
ſchlummer war geſtört und an die Stelle des Schlafs, der nicht
wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem
Morgenkoſtüm, und nach eingenommenem Frühſtück, die gegen-
ſeitigen Beſuche. Die Prinzeſſin Amalie empfing die Huldigungen,
die ihrer Schönheit dargebracht wurden; ſie trug ein Corſet von
ſchwarzem Atlas, das mit weißer Seide geſteppt war und darunter
ein ſilber-geſticktes Kleid mit natürlichen Blumen aufgenommen.
In dieſem Koſtüm ſtand ſie da und übte ſich im Flötenſpiel:
Euterpe ſelbſt hätte ſie beneiden können.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/243>, abgerufen am 28.11.2024.
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