uns endlich in den Park hinaus, auf dessen sonnigem Rasenplatz die Schatten der leise bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tisch und Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe solche Wahl getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tisch gestellt werden, gesellt sich eine Anverwandte des Hauses zu uns, eine schlanke Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Kosten der Unterhal- tung mühsam bestritten hat, ist augenscheinlich froh über den ein- treffenden Succurs, und mit einem "Tante Helene weiß alles" den Rückzug antretend, eilt sie in's Haus, um nach dem Rechten zu sehn. Da stehen wir denn nun, "Tante Helene, die alles weiß" und ich, der ich wenigstens etwas wissen möchte, und begrüßen uns lächelnd und nehmen Platz. Es ist ein feines Gesicht mir gegenüber, mit jenem leisen Zug des Leidens, der so zum Herzen spricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil wir im Schatten sitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres schönen schwarzen Haares zu zeigen, und während sie mit dem rothen Band des Hutes spielt, beginnen meine Fragen. Aber wir verirren uns immer wieder im Gespräch, bald sind wir in Wustrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs, und endlich reicht sie mir die Hand über den Tisch und sagt mit gewinnender Freundlichkeit: "plaudern wir weiter heut', wie Zufall und Zunge es wollen; ich schreib' Ihnen, -- seien Sie unbesorgt, ich halte Wort."
Und sie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol- genden Brief: "Ich habe sie gut gekannt, die Frau von Jürgaß, besser vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu sich, als ich eine Waise geworden war; so kam ich aus dem Pfarrhaus, darin ich geboren war, in's Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe ich nie gekannt; sie starb bei meiner Geburt, aber hätte ich sie auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermissen können, so gut wie die gnädige Frau war! Sie war sehr klein und sehr häßlich (denn sie war eine Zieten und die Zietens sind immer häßlich
uns endlich in den Park hinaus, auf deſſen ſonnigem Raſenplatz die Schatten der leiſe bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tiſch und Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe ſolche Wahl getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tiſch geſtellt werden, geſellt ſich eine Anverwandte des Hauſes zu uns, eine ſchlanke Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Koſten der Unterhal- tung mühſam beſtritten hat, iſt augenſcheinlich froh über den ein- treffenden Succurs, und mit einem „Tante Helene weiß alles“ den Rückzug antretend, eilt ſie in’s Haus, um nach dem Rechten zu ſehn. Da ſtehen wir denn nun, „Tante Helene, die alles weiß“ und ich, der ich wenigſtens etwas wiſſen möchte, und begrüßen uns lächelnd und nehmen Platz. Es iſt ein feines Geſicht mir gegenüber, mit jenem leiſen Zug des Leidens, der ſo zum Herzen ſpricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil wir im Schatten ſitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres ſchönen ſchwarzen Haares zu zeigen, und während ſie mit dem rothen Band des Hutes ſpielt, beginnen meine Fragen. Aber wir verirren uns immer wieder im Geſpräch, bald ſind wir in Wuſtrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs, und endlich reicht ſie mir die Hand über den Tiſch und ſagt mit gewinnender Freundlichkeit: „plaudern wir weiter heut’, wie Zufall und Zunge es wollen; ich ſchreib’ Ihnen, — ſeien Sie unbeſorgt, ich halte Wort.“
Und ſie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol- genden Brief: „Ich habe ſie gut gekannt, die Frau von Jürgaß, beſſer vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu ſich, als ich eine Waiſe geworden war; ſo kam ich aus dem Pfarrhaus, darin ich geboren war, in’s Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe ich nie gekannt; ſie ſtarb bei meiner Geburt, aber hätte ich ſie auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermiſſen können, ſo gut wie die gnädige Frau war! Sie war ſehr klein und ſehr häßlich (denn ſie war eine Zieten und die Zietens ſind immer häßlich
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uns endlich in den Park hinaus, auf deſſen ſonnigem Raſenplatz
die Schatten der leiſe bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir
nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tiſch und
Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe ſolche Wahl
getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tiſch geſtellt werden,
geſellt ſich eine Anverwandte des Hauſes zu uns, eine ſchlanke
Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem
Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Koſten der Unterhal-
tung mühſam beſtritten hat, iſt augenſcheinlich froh über den ein-
treffenden Succurs, und mit einem „Tante Helene weiß alles“
den Rückzug antretend, eilt ſie in’s Haus, um nach dem Rechten
zu ſehn. Da ſtehen wir denn nun, „Tante Helene, die alles weiß“
und ich, der ich wenigſtens etwas wiſſen möchte, und begrüßen
uns lächelnd und nehmen Platz. Es iſt ein feines Geſicht mir
gegenüber, mit jenem leiſen Zug des Leidens, der ſo zum Herzen
ſpricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil
wir im Schatten ſitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres
ſchönen ſchwarzen Haares zu zeigen, und während ſie mit dem
rothen Band des Hutes ſpielt, beginnen meine Fragen. Aber
wir verirren uns immer wieder im Geſpräch, bald ſind wir
in Wuſtrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs,
und endlich reicht ſie mir die Hand über den Tiſch und ſagt mit
gewinnender Freundlichkeit: „plaudern wir weiter heut’, wie Zufall
und Zunge es wollen; ich ſchreib’ Ihnen, — ſeien Sie unbeſorgt,
ich halte Wort.“
Und ſie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol-
genden Brief: „Ich habe ſie gut gekannt, die Frau von Jürgaß,
beſſer vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu ſich, als ich
eine Waiſe geworden war; ſo kam ich aus dem Pfarrhaus, darin
ich geboren war, in’s Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe
ich nie gekannt; ſie ſtarb bei meiner Geburt, aber hätte ich ſie
auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermiſſen können, ſo gut
wie die gnädige Frau war! Sie war ſehr klein und ſehr häßlich
(denn ſie war eine Zieten und die Zietens ſind immer häßlich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/176>, abgerufen am 12.12.2024.
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