herüber, ein weitschichtiger, ungeschlachter Fachwerkbau, mit schwer- fälligen Flügeln und Doppeldach, halb gemüthlich, halb spukhaft, je nach der Stimmung, in der man sich ihm nähert, oder je nach der Beleuchtung, die um die Kronen der alten Ulmen spielt. Dem Rohrschen Herrenhause folgen Kirche und Kirchhof, ebenfalls zur Linken des Wegs und von der Dorfstraße etwas zurück gelegen. Schulhaus und Predigerhaus flankiren die Kirche nach vornhin, zwischen den beiden Häusern aber breitet sich ein Garten aus, der, nach hinten zu leise ansteigend, sich zwischen den Gräbern des Kirchhofs verliert. Dazu Baumesrauschen und Bienensummen, -- träumerisch verfolgt man die Steige des Gartens, bis man plötz- lich, statt zwischen Beeten zwischen Gräbern steht. Unwissentlich, ohne eine Grenze bemerkt zu haben, hat man den Schritt aus Leben in Tod gethan.
Die Kirche, die mit dem Chor nach der Straße zu steht, ist ein alter gothischer Bau mit einem Schindelthurm aus späterer Zeit; eingehüllt in Ephen und hier und da von Geisblatt um- rankt, steht sie da, eine echte alte Dorfkirche, wie sie Sinn und Herz erfreut. Das Innere ist einfach und erhält nur durch die Zweitheilung wieder einen bestimmten Charakter, dem man beim Eintreten sofort begegnet. Links die Rohr'sche, rechts die Jürgaß- sche Seite; links ein paar Rohr'sche Galanterie-Degen aus der Zeit der Zöpfe und Perrücken, rechts ein Jürgaß'scher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege; links eine Rohr'sche Familiengruft, rechts eine Jürgaß'sche. Die Jürgaß'sche Gruft ist mehr eine Grabkammer in gleicher Höhe mit dem Kirchenschiff, so daß man durch ein Fensterchen die aufgeschichteten Särge erblickt; nirgends Bild oder Schmuck. Anders die Rohr'sche Gruft; ober- halb der Thür ist die Marmorbüste eines Rohr aufgerichtet, eine treffliche Arbeit (vielleicht von Glume), die wohl verdient hätte, durch eine andre Inschrift, als die folgende, eingefaßt zu werden: "Bedaure und verehre billiger Wandersmann hier noch die Asche eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unver- zagten, dessen Rath Land und Leuten treulich gerathen, aber
herüber, ein weitſchichtiger, ungeſchlachter Fachwerkbau, mit ſchwer- fälligen Flügeln und Doppeldach, halb gemüthlich, halb ſpukhaft, je nach der Stimmung, in der man ſich ihm nähert, oder je nach der Beleuchtung, die um die Kronen der alten Ulmen ſpielt. Dem Rohrſchen Herrenhauſe folgen Kirche und Kirchhof, ebenfalls zur Linken des Wegs und von der Dorfſtraße etwas zurück gelegen. Schulhaus und Predigerhaus flankiren die Kirche nach vornhin, zwiſchen den beiden Häuſern aber breitet ſich ein Garten aus, der, nach hinten zu leiſe anſteigend, ſich zwiſchen den Gräbern des Kirchhofs verliert. Dazu Baumesrauſchen und Bienenſummen, — träumeriſch verfolgt man die Steige des Gartens, bis man plötz- lich, ſtatt zwiſchen Beeten zwiſchen Gräbern ſteht. Unwiſſentlich, ohne eine Grenze bemerkt zu haben, hat man den Schritt aus Leben in Tod gethan.
Die Kirche, die mit dem Chor nach der Straße zu ſteht, iſt ein alter gothiſcher Bau mit einem Schindelthurm aus ſpäterer Zeit; eingehüllt in Ephen und hier und da von Geisblatt um- rankt, ſteht ſie da, eine echte alte Dorfkirche, wie ſie Sinn und Herz erfreut. Das Innere iſt einfach und erhält nur durch die Zweitheilung wieder einen beſtimmten Charakter, dem man beim Eintreten ſofort begegnet. Links die Rohr’ſche, rechts die Jürgaß- ſche Seite; links ein paar Rohr’ſche Galanterie-Degen aus der Zeit der Zöpfe und Perrücken, rechts ein Jürgaß’ſcher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege; links eine Rohr’ſche Familiengruft, rechts eine Jürgaß’ſche. Die Jürgaß’ſche Gruft iſt mehr eine Grabkammer in gleicher Höhe mit dem Kirchenſchiff, ſo daß man durch ein Fenſterchen die aufgeſchichteten Särge erblickt; nirgends Bild oder Schmuck. Anders die Rohr’ſche Gruft; ober- halb der Thür iſt die Marmorbüſte eines Rohr aufgerichtet, eine treffliche Arbeit (vielleicht von Glume), die wohl verdient hätte, durch eine andre Inſchrift, als die folgende, eingefaßt zu werden: „Bedaure und verehre billiger Wandersmann hier noch die Aſche eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unver- zagten, deſſen Rath Land und Leuten treulich gerathen, aber
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herüber, ein weitſchichtiger, ungeſchlachter Fachwerkbau, mit ſchwer-
fälligen Flügeln und Doppeldach, halb gemüthlich, halb ſpukhaft,
je nach der Stimmung, in der man ſich ihm nähert, oder je nach
der Beleuchtung, die um die Kronen der alten Ulmen ſpielt. Dem
Rohrſchen Herrenhauſe folgen Kirche und Kirchhof, ebenfalls zur
Linken des Wegs und von der Dorfſtraße etwas zurück gelegen.
Schulhaus und Predigerhaus flankiren die Kirche nach vornhin,
zwiſchen den beiden Häuſern aber breitet ſich ein Garten aus, der,
nach hinten zu leiſe anſteigend, ſich zwiſchen den Gräbern des
Kirchhofs verliert. Dazu Baumesrauſchen und Bienenſummen, —
träumeriſch verfolgt man die Steige des Gartens, bis man plötz-
lich, ſtatt zwiſchen Beeten zwiſchen Gräbern ſteht. Unwiſſentlich,
ohne eine Grenze bemerkt zu haben, hat man den Schritt aus
Leben in Tod gethan.
Die Kirche, die mit dem Chor nach der Straße zu ſteht, iſt
ein alter gothiſcher Bau mit einem Schindelthurm aus ſpäterer
Zeit; eingehüllt in Ephen und hier und da von Geisblatt um-
rankt, ſteht ſie da, eine echte alte Dorfkirche, wie ſie Sinn und
Herz erfreut. Das Innere iſt einfach und erhält nur durch die
Zweitheilung wieder einen beſtimmten Charakter, dem man beim
Eintreten ſofort begegnet. Links die Rohr’ſche, rechts die Jürgaß-
ſche Seite; links ein paar Rohr’ſche Galanterie-Degen aus der
Zeit der Zöpfe und Perrücken, rechts ein Jürgaß’ſcher Säbel und
Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege; links eine Rohr’ſche
Familiengruft, rechts eine Jürgaß’ſche. Die Jürgaß’ſche Gruft iſt
mehr eine Grabkammer in gleicher Höhe mit dem Kirchenſchiff, ſo
daß man durch ein Fenſterchen die aufgeſchichteten Särge erblickt;
nirgends Bild oder Schmuck. Anders die Rohr’ſche Gruft; ober-
halb der Thür iſt die Marmorbüſte eines Rohr aufgerichtet, eine
treffliche Arbeit (vielleicht von Glume), die wohl verdient hätte,
durch eine andre Inſchrift, als die folgende, eingefaßt zu werden:
„Bedaure und verehre billiger Wandersmann hier noch die Aſche
eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unver-
zagten, deſſen Rath Land und Leuten treulich gerathen, aber
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/172>, abgerufen am 04.12.2024.
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