Den großen König, seinen Bruder, hatte er nicht geliebt, aber er hatte ihn respektirt; seit dem Tode Friedrichs indeß hatten die Dinge eine Richtung angenommen, die ihm eine Betheiligung daran, die wie Gutheißung ausgesehen hätte, unmöglich machte. Auch glaubte man ohne ihn fertig werden zu können. Man erbat seinen Rath nicht länger, so gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchster Mißbilligung sah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. "In dieser Spelunke ist alles infame" sagte er, als er eines Tages an dem Palais der (spätern) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Ein Prinz, der, bei sonst großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein solches Wort zu äußern wagte, gehörte nicht mehr an den Hof und sprach durch so einschneidende Urtheile seine eigene Verbannung aus.
Die Verstimmung des Prinzen war eine so tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht fern und abgelegen genug erschien und der Wunsch immer lebendiger in ihm wurde, den Rest seiner Tage im Aus- lande, in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er sich schweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Niver- nois die Worte zugerufen: "ich verlasse nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich nun, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit so viel Liebe zu- rückdenken werde, daß ich fast wünschen möchte, ich hätt' es nicht gesehn." Nach diesem Lande seiner Sehnsucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft; aber die Götter waren seinem Vorhaben nicht hold, -- es schien, daß er dem engen Kreise verbleiben sollte, dem er seit 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, angehört hatte. 1787 machten politische Constellationen die Uebersiedlung nicht mög- lich; 1788 im Juni ging er wirklich, und dem Ankauf eines palaisartigen Hauses in Paris folgten Unterhandlungen wegen Ankauf eines größeren, in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Grundbesitzes, aber eh' sie zum Abschluß kamen, zogen die Wetter der Revolution immer drohender, immer sichtbarer herauf, und der Prinz, der sich nach Ruhe, nach stiller Betrachtung sehnte, kehrte
Den großen König, ſeinen Bruder, hatte er nicht geliebt, aber er hatte ihn reſpektirt; ſeit dem Tode Friedrichs indeß hatten die Dinge eine Richtung angenommen, die ihm eine Betheiligung daran, die wie Gutheißung ausgeſehen hätte, unmöglich machte. Auch glaubte man ohne ihn fertig werden zu können. Man erbat ſeinen Rath nicht länger, ſo gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchſter Mißbilligung ſah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. „In dieſer Spelunke iſt alles infame“ ſagte er, als er eines Tages an dem Palais der (ſpätern) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Ein Prinz, der, bei ſonſt großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein ſolches Wort zu äußern wagte, gehörte nicht mehr an den Hof und ſprach durch ſo einſchneidende Urtheile ſeine eigene Verbannung aus.
Die Verſtimmung des Prinzen war eine ſo tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht fern und abgelegen genug erſchien und der Wunſch immer lebendiger in ihm wurde, den Reſt ſeiner Tage im Aus- lande, in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er ſich ſchweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Niver- nois die Worte zugerufen: „ich verlaſſe nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang geſehnt habe und an das ich nun, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit ſo viel Liebe zu- rückdenken werde, daß ich faſt wünſchen möchte, ich hätt’ es nicht geſehn.“ Nach dieſem Lande ſeiner Sehnſucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft; aber die Götter waren ſeinem Vorhaben nicht hold, — es ſchien, daß er dem engen Kreiſe verbleiben ſollte, dem er ſeit 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, angehört hatte. 1787 machten politiſche Conſtellationen die Ueberſiedlung nicht mög- lich; 1788 im Juni ging er wirklich, und dem Ankauf eines palaisartigen Hauſes in Paris folgten Unterhandlungen wegen Ankauf eines größeren, in der Nähe der Hauptſtadt gelegenen Grundbeſitzes, aber eh’ ſie zum Abſchluß kamen, zogen die Wetter der Revolution immer drohender, immer ſichtbarer herauf, und der Prinz, der ſich nach Ruhe, nach ſtiller Betrachtung ſehnte, kehrte
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Den großen König, ſeinen Bruder, hatte er nicht geliebt, aber er
hatte ihn reſpektirt; ſeit dem Tode Friedrichs indeß hatten die
Dinge eine Richtung angenommen, die ihm eine Betheiligung
daran, die wie Gutheißung ausgeſehen hätte, unmöglich machte.
Auch glaubte man ohne ihn fertig werden zu können. Man erbat
ſeinen Rath nicht länger, ſo gab er ihn auch nicht mehr. Mit
höchſter Mißbilligung ſah er auf den Einfluß der Rietz und ihres
Anhangs. „In dieſer Spelunke iſt alles infame“ ſagte er, als
er eines Tages an dem Palais der (ſpätern) Gräfin Lichtenau
vorüberkam. Ein Prinz, der, bei ſonſt großer Zurückhaltung, über
die Favoritin ein ſolches Wort zu äußern wagte, gehörte nicht
mehr an den Hof und ſprach durch ſo einſchneidende Urtheile ſeine
eigene Verbannung aus.
Die Verſtimmung des Prinzen war eine ſo tiefe, daß ihm
Rheinsberg nicht fern und abgelegen genug erſchien und der Wunſch
immer lebendiger in ihm wurde, den Reſt ſeiner Tage im Aus-
lande, in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er ſich
ſchweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Niver-
nois die Worte zugerufen: „ich verlaſſe nun das Land, nach dem
ich mich ein halbes Leben lang geſehnt habe und an das ich nun,
während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit ſo viel Liebe zu-
rückdenken werde, daß ich faſt wünſchen möchte, ich hätt’ es nicht
geſehn.“ Nach dieſem Lande ſeiner Sehnſucht zog es ihn jetzt mit
verdoppelter Kraft; aber die Götter waren ſeinem Vorhaben nicht
hold, — es ſchien, daß er dem engen Kreiſe verbleiben ſollte, dem
er ſeit 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, angehört hatte.
1787 machten politiſche Conſtellationen die Ueberſiedlung nicht mög-
lich; 1788 im Juni ging er wirklich, und dem Ankauf eines
palaisartigen Hauſes in Paris folgten Unterhandlungen wegen
Ankauf eines größeren, in der Nähe der Hauptſtadt gelegenen
Grundbeſitzes, aber eh’ ſie zum Abſchluß kamen, zogen die Wetter
der Revolution immer drohender, immer ſichtbarer herauf, und der
Prinz, der ſich nach Ruhe, nach ſtiller Betrachtung ſehnte, kehrte
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/130>, abgerufen am 26.11.2024.
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