Wir kamen von der Stadt Kinroß, die am Ufer des Leven-Sees liegt, und ruderten der Insel zu. Unser Boot legte an derselben Stelle an, an der das Boot der Königin in jener Nacht gelegen hatte, wir schritten über den Hof hin, langsam, als suchten wir noch die Fußspuren in dem hoch- aufgeschossenen Grase und lehnten uns dann über die Brüstung, an welcher die alte Lady Douglas gestanden und die Jagd der beiden Boote, das flüchtige und das nachsetzende, verfolgt hatte. Dann umfuhren wir die Insel und lenkten unser Boot nach Kinroß zurück, aber das Auge mochte sich nicht trennen von der Insel, auf deren Trümmergrau die Nach- mittagssonne und eine wehmüthig-unnennbare Stille lag. Nun griffen die Ruder rascher ein, die Insel wurde ein Strei- fen, endlich schwand sie ganz und nur als Phantasiebild noch stand eine zeitlang der Rund-Thurm vor uns auf dem Wasser, bis plötzlich die unstäte Phantasie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor das Bild dieses See's und dieser Stunde schob. Es waren Bilder aus der Heimath.
Auch eine Wasserfläche war es; aber nicht Schwarz- tannen faßten das Ufer ein, sondern ein Park und ein Laub- holzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot stießen wir ab und so oft wir das Schilf am Ufer streiften, klang es, wie wenn eine Hand über knisternde Seide fährt. Zwei Schwestern saßen mir gegenüber. Die ältere streckte ihre Hand in das kühle klare Wasser des See's und außer dem dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes leise Geräusch, womit die Wellchen zwischen den Fingern der weißen Hand hindurchplätscherten. Nun glitt das Boot durch Teichrosen hin, deren lange Stengel wir (so klar war das Wasser) aus dem Grunde des See's aufsteigen sahen, dann lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter die
Wir kamen von der Stadt Kinroß, die am Ufer des Leven-Sees liegt, und ruderten der Inſel zu. Unſer Boot legte an derſelben Stelle an, an der das Boot der Königin in jener Nacht gelegen hatte, wir ſchritten über den Hof hin, langſam, als ſuchten wir noch die Fußſpuren in dem hoch- aufgeſchoſſenen Graſe und lehnten uns dann über die Brüſtung, an welcher die alte Lady Douglas geſtanden und die Jagd der beiden Boote, das flüchtige und das nachſetzende, verfolgt hatte. Dann umfuhren wir die Inſel und lenkten unſer Boot nach Kinroß zurück, aber das Auge mochte ſich nicht trennen von der Inſel, auf deren Trümmergrau die Nach- mittagsſonne und eine wehmüthig-unnennbare Stille lag. Nun griffen die Ruder raſcher ein, die Inſel wurde ein Strei- fen, endlich ſchwand ſie ganz und nur als Phantaſiebild noch ſtand eine zeitlang der Rund-Thurm vor uns auf dem Waſſer, bis plötzlich die unſtäte Phantaſie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor das Bild dieſes See’s und dieſer Stunde ſchob. Es waren Bilder aus der Heimath.
Auch eine Waſſerfläche war es; aber nicht Schwarz- tannen faßten das Ufer ein, ſondern ein Park und ein Laub- holzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot ſtießen wir ab und ſo oft wir das Schilf am Ufer ſtreiften, klang es, wie wenn eine Hand über kniſternde Seide fährt. Zwei Schweſtern ſaßen mir gegenüber. Die ältere ſtreckte ihre Hand in das kühle klare Waſſer des See’s und außer dem dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes leiſe Geräuſch, womit die Wellchen zwiſchen den Fingern der weißen Hand hindurchplätſcherten. Nun glitt das Boot durch Teichroſen hin, deren lange Stengel wir (ſo klar war das Waſſer) aus dem Grunde des See’s aufſteigen ſahen, dann lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter die
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[VI/0012]
Wir kamen von der Stadt Kinroß, die am Ufer des
Leven-Sees liegt, und ruderten der Inſel zu. Unſer Boot
legte an derſelben Stelle an, an der das Boot der Königin
in jener Nacht gelegen hatte, wir ſchritten über den Hof hin,
langſam, als ſuchten wir noch die Fußſpuren in dem hoch-
aufgeſchoſſenen Graſe und lehnten uns dann über die Brüſtung,
an welcher die alte Lady Douglas geſtanden und die Jagd
der beiden Boote, das flüchtige und das nachſetzende, verfolgt
hatte. Dann umfuhren wir die Inſel und lenkten unſer
Boot nach Kinroß zurück, aber das Auge mochte ſich nicht
trennen von der Inſel, auf deren Trümmergrau die Nach-
mittagsſonne und eine wehmüthig-unnennbare Stille lag.
Nun griffen die Ruder raſcher ein, die Inſel wurde ein Strei-
fen, endlich ſchwand ſie ganz und nur als Phantaſiebild noch
ſtand eine zeitlang der Rund-Thurm vor uns auf dem Waſſer,
bis plötzlich die unſtäte Phantaſie weiter in ihre Erinnerungen
zurückgriff und ältere Bilder vor das Bild dieſes See’s und
dieſer Stunde ſchob. Es waren Bilder aus der Heimath.
Auch eine Waſſerfläche war es; aber nicht Schwarz-
tannen faßten das Ufer ein, ſondern ein Park und ein Laub-
holzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot
ſtießen wir ab und ſo oft wir das Schilf am Ufer ſtreiften,
klang es, wie wenn eine Hand über kniſternde Seide fährt.
Zwei Schweſtern ſaßen mir gegenüber. Die ältere ſtreckte ihre
Hand in das kühle klare Waſſer des See’s und außer dem
dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes
leiſe Geräuſch, womit die Wellchen zwiſchen den Fingern der
weißen Hand hindurchplätſcherten. Nun glitt das Boot durch
Teichroſen hin, deren lange Stengel wir (ſo klar war das
Waſſer) aus dem Grunde des See’s aufſteigen ſahen, dann
lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der erste Band "Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow" 1862 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/12>, abgerufen am 24.11.2024.
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