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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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"Jch bitte Dich, Ursel, sprich nicht so. Frage nicht so. Und wozu? Du bist noch nicht soweit, noch lange nicht. Es geht alles wieder vorüber. Du lebst und wirst wieder eine gesunde Frau werden."

Es klang aber alles nur an ihr hin, und Gedanken nachhängend, die schon über den Tod hinausgingen, sagte sie: "Verschlossen ... Und was aufschließt, das ist der Glaube. Den hab ich nicht ... Aber is noch ein Andres, das aufschließt, das sind die guten Werke ... Hörst Du. Du mußt ohne Namen nach Krakau schreiben, an den Bischof oder an seinen Vikar. Und mußt bitten, daß sie Seelenmessen lesen lassen ... Nicht für mich. Aber Du weißt schon ... Und laß den Brief in Frankfurt aufgeben. Hier geht es nicht und auch nicht in Küstrin. Jch habe mir's abgespart dies letzte halbe Jahr, und Du findest es eingewickelt in meinem Wäschschrank unter dem Damast-Tischtuch. Ja, Hradscheck, das war es, wenn Du dachtest, ich sei geizig geworden. Willst Du?"

"Freilich will ich. Aber es wird Nachfrage geben."

"Nein. Das verstehst Du nicht. Das ist Geheimniß. Und sie gönnen einer armen Seele die Ruh!"

"Ach, Ursel, Du sprichst soviel von Ruh' und bangst Dich und ängstigst Dich, ob Du sie finden wirst. Weißt Du, was ich denke?"

"Nein."

"Jch denke, leben ist leben, und todt ist todt. Und wir sind Erde, und Erde wird wieder Erde. Das Andre haben sich die Pfaffen ausgedacht. Spiegelfechterei, sag' ich, weiter nichts. Glaube mir, die Todten haben Ruhe."

"Weißt Du das so gewiß, Abel?"

Er nickte.

"Nun, ich sage Dir, die Todten stehen wieder auf ..."

"Am jüngsten Tag."

"Aber es giebt ihrer auch, die warten nicht so lange."

Hradscheck erschrak heftig und drang in sie, mehr zu sagen. Aber sie war schon in die Kissen zurückgesunken und ihre Hand, der seinigen sich entziehend, griff nur noch krampfhaft in das Deckbett. Dann wurde sie ruhiger, legte die Hand aufs Herz und murmelte Worte, die Hradscheck nicht verstand.

"Ursel", rief er, "Ursel!"

Aber sie hörte nicht mehr.



15.

Das war in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag gewesen, den letzten Tag im September. Als am andern Morgen zur Kirche geläutet wurde, standen die Fenster in der Stube weit offen, die weißen Gardinen bewegten sich hin und her, und alle, die vorüberkamen, sahen nach der Giebelstube hinauf und wußten nun, daß die Hradscheck gestorben sei. Schulze Woytasch fuhr vor, aussprechend, was er sich bei gleichen Veranlassungen zu sagen gewöhnt hatte, "daß ihr nun wohl sei" und "daß sie vor ihnen allen einen guten Schritt voraushabe." Danach trank er, wie jeden Sonntag vor der Predigt, ein kleines Glas Madeira zur Stärkung und machte dann die kurze Strecke bis zur Kirche hin zu Fuß. Auch Kunicke kam und drückte Hradscheck verständnißvoll die Hand, das Auge gerade verschwommen genug, um die Vorstellung einer Thräne zu wecken. Desgleichen sprachen auch der Oelmüller und gleich nach ihm Bauer Mietzel vor, welch letztrer sich bei Todesfällen immer der "Vorzüge seiner Kränklichkeit von Jugend auf" zu berühmen pflegte. Das that er auch heute wieder. "Ja, Hradscheck, der Mensch denkt und Gott lenkt. Jch piepe nun schon so lang; aber es geht immer noch."

Auch noch Andre kamen und sagten ein Wort. Die meisten indessen gingen ohne Theilnahmsbezeigung vorüber und stellten Betrachtungen an, die sich mit der Todten in nur wenig freundlicher Weise beschäftigten.

"Jck weet nich," sagte der Eine, "wat Hradscheck an ehr hebben deih. Man blot, dat se'n beten scheel wihr."

"Joa," lachte der Andre. "Dat wihr se. Un am Enn', so wat künn he hier ook hebb'n."

"Un dat hannüversche Geld. Jhrst schmeet se't weg, un mit eens fung se to knusern an."

Jn dieser Weise ging das Gespräch einiger ältrer Leute, das junge Weiberzeug aber beschränkte sich auf die eine Frage: "Weck' een he nu woll frigen deiht?"

Auf Mittwoch 4 Uhr war das Begräbniß angesetzt und viel Neugierige standen schon vorher in einem weiten Halbkreis um das Trauerhaus herum. Es waren meist Mägde, die schwatzten und kicherten, und nur einige waren ernst, darunter die Zwillings-Enkelinnen einer armen alten Wittwe, welche letztre, wenn Wäsche bei den Hradschecks war, allemal mitwusch. Diese Zwillinge waren in ihren schwarzen, von der Frau Hradscheck herrührenden Einsegnungskleidern erschienen und weinten furchtbar, was sich noch steigerte, als sie bemerkten, daß sie durch ihr Geheul und Geschluchze der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurden. Dabei gingen jetzt die Glocken in einem fort, und alles drängte dichter zusammen und wollte sehn. Als es nun aber zum dritten Mal ausgeläutet hatte, kam Leben in die drin und draußen Versammelten, und der Zug setzte sich in Bewegung. Vorn die von Kantor Graumann geführte Schuljugend, die, wie herkömmlich, den Choral "Jesus meine Zuversicht" sang; nach ihr erschien der von sechs Trägern getragene Sarg; dann Eccelius und Hradscheck; dahinter die Bauernschaft in schwarzen Ueberröcken und hohen schwarzen Hüten, und endlich all die Neugierigen, die bis dahin das Haus umstanden hatten. Es war ein wunderschöner Tag, frische Herbstluft bei klarblauem Himmel. Aber die würdevoll vor sich hinblickende Dorfhonoratiorenschaft achtete des blauen Himmels nicht, und nur Bauer Mietzel, der noch Heu draußen hatte, das er am andern Tag einfahren wollte, schielte mit halbem Auge hinauf. Da sah er, wie von der andern Oderseite her ein Weih über den Strom kam und auf den Tschechiner Kirchthurm zuflog. Und er stieß den neben ihm gehenden Oelmüller an und sagte: "Süh, Quaas, doa is he wedder."

"Wihr denn?"

"De Weih. Weetst noch?"

"Nei."

"Dunn, as dat mit Szulski wihr. Jck segg' Di, de Weih, de weet wat."

Als sie so sprachen, bog die Spitze des Zuges auf den Kirchhof ein, an dessen höchster Stelle, dicht neben dem Thurm das Grab gegraben war. Hier setzte man den Sarg auf darüber gelegte Balken, und als sich der Kreis gleich danach geschlossen hatte, trat Eccelius vor, um die Grabrede zu halten. Er rühmte von der Todten, daß sie, den ihr anerzogenen Aberglauben abschüttelnd, nach freier Wahl und eignem Entschluß den Weg des Lichtes gegangen sei, was nur der wissen und bezeugen könne, der ihr so nah gestanden habe wie er. Und wie sie das Licht und die reine Lehre geliebt habe, so habe sie nicht minder das Recht geliebt, was sich zu keiner Zeit schöner und glänzender gezeigt, als in jenen schweren Tagen, die der selig Entschlafenen nach dem Rathschlusse Gottes auferlegt worden seien. Damals, als er ihr nicht ohne Mühe das Zugeständniß erwirkt habe, den, an dem ihr Herz und ihre Seele hing, wiedersehn zu dürfen, wenn auch freilich nur vor Zeugen und auf eine kurze halbe Stunde, da habe sie die wohl jedem hier in der Erinnerung gebliebenen Worte gesprochen: "Nein, nicht jetzt; es ist besser, daß ich warte. Wenn er unschuldig ist, so werd' ich ihn wiedersehen, früher oder später; wenn er aber schuldig ist, so will ich ihn nicht wiedersehn." Er freue sich, daß er diese Worte, hier am Grabe der Heimgegangenen, ihr zu Ruhm und Ehre, wiederholen könne. Ja, sie habe sich allezeit bewährt in ihrem Glauben und ihrem Rechtsgefühl. Aber vor allem auch in ihrer Liebe. Mit Bangen habe sie die Stunden gezählt, in schlaflosen Nächten ihre Kräfte verzehrend, und als endlich die Stunde der Befreiung gekommen sei, da sei sie zusammengebrochen. Sie sei das Opfer arger, damals herrschender Mißverständnisse, das sei zweifellos, und alle die, die diese Mißverständnisse geschürt und genährt hätten, anstatt sie zu beseitigen, die hätten eine schwere Verantwortung auf ihre Seele geladen. Ja, dieser frühe Tod, er müsse das wiederholen, sei das Werk derer, die das Gebot unbeachtet gelassen hätten: "Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider Deinen Nächsten."

Und als er dieses sagte, sah er scharf nach einem entblätterten Hagebuttenstrauch hinüber, unter dessen rothen Früchten die Jeschke stand und dem Vorgange, wie schon damals in der Kirche, mehr neugierig als verlegen folgte.

Gleich danach aber schloß Eccelius seine Rede, gab einen Wink, den Sarg hinab zu lassen, und sprach dann den Segen. Dann kamen die drei Hände voll Erde, mit sich anschließendem

„Jch bitte Dich, Ursel, sprich nicht so. Frage nicht so. Und wozu? Du bist noch nicht soweit, noch lange nicht. Es geht alles wieder vorüber. Du lebst und wirst wieder eine gesunde Frau werden.“

Es klang aber alles nur an ihr hin, und Gedanken nachhängend, die schon über den Tod hinausgingen, sagte sie: „Verschlossen … Und was aufschließt, das ist der Glaube. Den hab ich nicht … Aber is noch ein Andres, das aufschließt, das sind die guten Werke … Hörst Du. Du mußt ohne Namen nach Krakau schreiben, an den Bischof oder an seinen Vikar. Und mußt bitten, daß sie Seelenmessen lesen lassen … Nicht für mich. Aber Du weißt schon … Und laß den Brief in Frankfurt aufgeben. Hier geht es nicht und auch nicht in Küstrin. Jch habe mir’s abgespart dies letzte halbe Jahr, und Du findest es eingewickelt in meinem Wäschschrank unter dem Damast-Tischtuch. Ja, Hradscheck, das war es, wenn Du dachtest, ich sei geizig geworden. Willst Du?“

„Freilich will ich. Aber es wird Nachfrage geben.“

„Nein. Das verstehst Du nicht. Das ist Geheimniß. Und sie gönnen einer armen Seele die Ruh!“

„Ach, Ursel, Du sprichst soviel von Ruh’ und bangst Dich und ängstigst Dich, ob Du sie finden wirst. Weißt Du, was ich denke?“

„Nein.“

„Jch denke, leben ist leben, und todt ist todt. Und wir sind Erde, und Erde wird wieder Erde. Das Andre haben sich die Pfaffen ausgedacht. Spiegelfechterei, sag’ ich, weiter nichts. Glaube mir, die Todten haben Ruhe.“

„Weißt Du das so gewiß, Abel?“

Er nickte.

„Nun, ich sage Dir, die Todten stehen wieder auf …“

„Am jüngsten Tag.“

„Aber es giebt ihrer auch, die warten nicht so lange.“

Hradscheck erschrak heftig und drang in sie, mehr zu sagen. Aber sie war schon in die Kissen zurückgesunken und ihre Hand, der seinigen sich entziehend, griff nur noch krampfhaft in das Deckbett. Dann wurde sie ruhiger, legte die Hand aufs Herz und murmelte Worte, die Hradscheck nicht verstand.

„Ursel“, rief er, „Ursel!“

Aber sie hörte nicht mehr.



15.

Das war in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag gewesen, den letzten Tag im September. Als am andern Morgen zur Kirche geläutet wurde, standen die Fenster in der Stube weit offen, die weißen Gardinen bewegten sich hin und her, und alle, die vorüberkamen, sahen nach der Giebelstube hinauf und wußten nun, daß die Hradscheck gestorben sei. Schulze Woytasch fuhr vor, aussprechend, was er sich bei gleichen Veranlassungen zu sagen gewöhnt hatte, „daß ihr nun wohl sei“ und „daß sie vor ihnen allen einen guten Schritt voraushabe.“ Danach trank er, wie jeden Sonntag vor der Predigt, ein kleines Glas Madeira zur Stärkung und machte dann die kurze Strecke bis zur Kirche hin zu Fuß. Auch Kunicke kam und drückte Hradscheck verständnißvoll die Hand, das Auge gerade verschwommen genug, um die Vorstellung einer Thräne zu wecken. Desgleichen sprachen auch der Oelmüller und gleich nach ihm Bauer Mietzel vor, welch letztrer sich bei Todesfällen immer der „Vorzüge seiner Kränklichkeit von Jugend auf“ zu berühmen pflegte. Das that er auch heute wieder. „Ja, Hradscheck, der Mensch denkt und Gott lenkt. Jch piepe nun schon so lang; aber es geht immer noch.“

Auch noch Andre kamen und sagten ein Wort. Die meisten indessen gingen ohne Theilnahmsbezeigung vorüber und stellten Betrachtungen an, die sich mit der Todten in nur wenig freundlicher Weise beschäftigten.

„Jck weet nich,“ sagte der Eine, „wat Hradscheck an ehr hebben deih. Man blot, dat se’n beten scheel wihr.“

„Joa,“ lachte der Andre. „Dat wihr se. Un am Enn’, so wat künn he hier ook hebb’n.“

„Un dat hannüversche Geld. Jhrst schmeet se’t weg, un mit eens fung se to knusern an.“

Jn dieser Weise ging das Gespräch einiger ältrer Leute, das junge Weiberzeug aber beschränkte sich auf die eine Frage: „Weck’ een he nu woll frigen deiht?“

Auf Mittwoch 4 Uhr war das Begräbniß angesetzt und viel Neugierige standen schon vorher in einem weiten Halbkreis um das Trauerhaus herum. Es waren meist Mägde, die schwatzten und kicherten, und nur einige waren ernst, darunter die Zwillings-Enkelinnen einer armen alten Wittwe, welche letztre, wenn Wäsche bei den Hradschecks war, allemal mitwusch. Diese Zwillinge waren in ihren schwarzen, von der Frau Hradscheck herrührenden Einsegnungskleidern erschienen und weinten furchtbar, was sich noch steigerte, als sie bemerkten, daß sie durch ihr Geheul und Geschluchze der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurden. Dabei gingen jetzt die Glocken in einem fort, und alles drängte dichter zusammen und wollte sehn. Als es nun aber zum dritten Mal ausgeläutet hatte, kam Leben in die drin und draußen Versammelten, und der Zug setzte sich in Bewegung. Vorn die von Kantor Graumann geführte Schuljugend, die, wie herkömmlich, den Choral „Jesus meine Zuversicht“ sang; nach ihr erschien der von sechs Trägern getragene Sarg; dann Eccelius und Hradscheck; dahinter die Bauernschaft in schwarzen Ueberröcken und hohen schwarzen Hüten, und endlich all die Neugierigen, die bis dahin das Haus umstanden hatten. Es war ein wunderschöner Tag, frische Herbstluft bei klarblauem Himmel. Aber die würdevoll vor sich hinblickende Dorfhonoratiorenschaft achtete des blauen Himmels nicht, und nur Bauer Mietzel, der noch Heu draußen hatte, das er am andern Tag einfahren wollte, schielte mit halbem Auge hinauf. Da sah er, wie von der andern Oderseite her ein Weih über den Strom kam und auf den Tschechiner Kirchthurm zuflog. Und er stieß den neben ihm gehenden Oelmüller an und sagte: „Süh, Quaas, doa is he wedder.“

„Wihr denn?“

„De Weih. Weetst noch?“

„Nei.“

„Dunn, as dat mit Szulski wihr. Jck segg’ Di, de Weih, de weet wat.“

Als sie so sprachen, bog die Spitze des Zuges auf den Kirchhof ein, an dessen höchster Stelle, dicht neben dem Thurm das Grab gegraben war. Hier setzte man den Sarg auf darüber gelegte Balken, und als sich der Kreis gleich danach geschlossen hatte, trat Eccelius vor, um die Grabrede zu halten. Er rühmte von der Todten, daß sie, den ihr anerzogenen Aberglauben abschüttelnd, nach freier Wahl und eignem Entschluß den Weg des Lichtes gegangen sei, was nur der wissen und bezeugen könne, der ihr so nah gestanden habe wie er. Und wie sie das Licht und die reine Lehre geliebt habe, so habe sie nicht minder das Recht geliebt, was sich zu keiner Zeit schöner und glänzender gezeigt, als in jenen schweren Tagen, die der selig Entschlafenen nach dem Rathschlusse Gottes auferlegt worden seien. Damals, als er ihr nicht ohne Mühe das Zugeständniß erwirkt habe, den, an dem ihr Herz und ihre Seele hing, wiedersehn zu dürfen, wenn auch freilich nur vor Zeugen und auf eine kurze halbe Stunde, da habe sie die wohl jedem hier in der Erinnerung gebliebenen Worte gesprochen: „Nein, nicht jetzt; es ist besser, daß ich warte. Wenn er unschuldig ist, so werd’ ich ihn wiedersehen, früher oder später; wenn er aber schuldig ist, so will ich ihn nicht wiedersehn.“ Er freue sich, daß er diese Worte, hier am Grabe der Heimgegangenen, ihr zu Ruhm und Ehre, wiederholen könne. Ja, sie habe sich allezeit bewährt in ihrem Glauben und ihrem Rechtsgefühl. Aber vor allem auch in ihrer Liebe. Mit Bangen habe sie die Stunden gezählt, in schlaflosen Nächten ihre Kräfte verzehrend, und als endlich die Stunde der Befreiung gekommen sei, da sei sie zusammengebrochen. Sie sei das Opfer arger, damals herrschender Mißverständnisse, das sei zweifellos, und alle die, die diese Mißverständnisse geschürt und genährt hätten, anstatt sie zu beseitigen, die hätten eine schwere Verantwortung auf ihre Seele geladen. Ja, dieser frühe Tod, er müsse das wiederholen, sei das Werk derer, die das Gebot unbeachtet gelassen hätten: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider Deinen Nächsten.“

Und als er dieses sagte, sah er scharf nach einem entblätterten Hagebuttenstrauch hinüber, unter dessen rothen Früchten die Jeschke stand und dem Vorgange, wie schon damals in der Kirche, mehr neugierig als verlegen folgte.

Gleich danach aber schloß Eccelius seine Rede, gab einen Wink, den Sarg hinab zu lassen, und sprach dann den Segen. Dann kamen die drei Hände voll Erde, mit sich anschließendem

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[631/0029] „Jch bitte Dich, Ursel, sprich nicht so. Frage nicht so. Und wozu? Du bist noch nicht soweit, noch lange nicht. Es geht alles wieder vorüber. Du lebst und wirst wieder eine gesunde Frau werden.“ Es klang aber alles nur an ihr hin, und Gedanken nachhängend, die schon über den Tod hinausgingen, sagte sie: „Verschlossen … Und was aufschließt, das ist der Glaube. Den hab ich nicht … Aber is noch ein Andres, das aufschließt, das sind die guten Werke … Hörst Du. Du mußt ohne Namen nach Krakau schreiben, an den Bischof oder an seinen Vikar. Und mußt bitten, daß sie Seelenmessen lesen lassen … Nicht für mich. Aber Du weißt schon … Und laß den Brief in Frankfurt aufgeben. Hier geht es nicht und auch nicht in Küstrin. Jch habe mir’s abgespart dies letzte halbe Jahr, und Du findest es eingewickelt in meinem Wäschschrank unter dem Damast-Tischtuch. Ja, Hradscheck, das war es, wenn Du dachtest, ich sei geizig geworden. Willst Du?“ „Freilich will ich. Aber es wird Nachfrage geben.“ „Nein. Das verstehst Du nicht. Das ist Geheimniß. Und sie gönnen einer armen Seele die Ruh!“ „Ach, Ursel, Du sprichst soviel von Ruh’ und bangst Dich und ängstigst Dich, ob Du sie finden wirst. Weißt Du, was ich denke?“ „Nein.“ „Jch denke, leben ist leben, und todt ist todt. Und wir sind Erde, und Erde wird wieder Erde. Das Andre haben sich die Pfaffen ausgedacht. Spiegelfechterei, sag’ ich, weiter nichts. Glaube mir, die Todten haben Ruhe.“ „Weißt Du das so gewiß, Abel?“ Er nickte. „Nun, ich sage Dir, die Todten stehen wieder auf …“ „Am jüngsten Tag.“ „Aber es giebt ihrer auch, die warten nicht so lange.“ Hradscheck erschrak heftig und drang in sie, mehr zu sagen. Aber sie war schon in die Kissen zurückgesunken und ihre Hand, der seinigen sich entziehend, griff nur noch krampfhaft in das Deckbett. Dann wurde sie ruhiger, legte die Hand aufs Herz und murmelte Worte, die Hradscheck nicht verstand. „Ursel“, rief er, „Ursel!“ Aber sie hörte nicht mehr. 15. Das war in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag gewesen, den letzten Tag im September. Als am andern Morgen zur Kirche geläutet wurde, standen die Fenster in der Stube weit offen, die weißen Gardinen bewegten sich hin und her, und alle, die vorüberkamen, sahen nach der Giebelstube hinauf und wußten nun, daß die Hradscheck gestorben sei. Schulze Woytasch fuhr vor, aussprechend, was er sich bei gleichen Veranlassungen zu sagen gewöhnt hatte, „daß ihr nun wohl sei“ und „daß sie vor ihnen allen einen guten Schritt voraushabe.“ Danach trank er, wie jeden Sonntag vor der Predigt, ein kleines Glas Madeira zur Stärkung und machte dann die kurze Strecke bis zur Kirche hin zu Fuß. Auch Kunicke kam und drückte Hradscheck verständnißvoll die Hand, das Auge gerade verschwommen genug, um die Vorstellung einer Thräne zu wecken. Desgleichen sprachen auch der Oelmüller und gleich nach ihm Bauer Mietzel vor, welch letztrer sich bei Todesfällen immer der „Vorzüge seiner Kränklichkeit von Jugend auf“ zu berühmen pflegte. Das that er auch heute wieder. „Ja, Hradscheck, der Mensch denkt und Gott lenkt. Jch piepe nun schon so lang; aber es geht immer noch.“ Auch noch Andre kamen und sagten ein Wort. Die meisten indessen gingen ohne Theilnahmsbezeigung vorüber und stellten Betrachtungen an, die sich mit der Todten in nur wenig freundlicher Weise beschäftigten. „Jck weet nich,“ sagte der Eine, „wat Hradscheck an ehr hebben deih. Man blot, dat se’n beten scheel wihr.“ „Joa,“ lachte der Andre. „Dat wihr se. Un am Enn’, so wat künn he hier ook hebb’n.“ „Un dat hannüversche Geld. Jhrst schmeet se’t weg, un mit eens fung se to knusern an.“ Jn dieser Weise ging das Gespräch einiger ältrer Leute, das junge Weiberzeug aber beschränkte sich auf die eine Frage: „Weck’ een he nu woll frigen deiht?“ Auf Mittwoch 4 Uhr war das Begräbniß angesetzt und viel Neugierige standen schon vorher in einem weiten Halbkreis um das Trauerhaus herum. Es waren meist Mägde, die schwatzten und kicherten, und nur einige waren ernst, darunter die Zwillings-Enkelinnen einer armen alten Wittwe, welche letztre, wenn Wäsche bei den Hradschecks war, allemal mitwusch. Diese Zwillinge waren in ihren schwarzen, von der Frau Hradscheck herrührenden Einsegnungskleidern erschienen und weinten furchtbar, was sich noch steigerte, als sie bemerkten, daß sie durch ihr Geheul und Geschluchze der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurden. Dabei gingen jetzt die Glocken in einem fort, und alles drängte dichter zusammen und wollte sehn. Als es nun aber zum dritten Mal ausgeläutet hatte, kam Leben in die drin und draußen Versammelten, und der Zug setzte sich in Bewegung. Vorn die von Kantor Graumann geführte Schuljugend, die, wie herkömmlich, den Choral „Jesus meine Zuversicht“ sang; nach ihr erschien der von sechs Trägern getragene Sarg; dann Eccelius und Hradscheck; dahinter die Bauernschaft in schwarzen Ueberröcken und hohen schwarzen Hüten, und endlich all die Neugierigen, die bis dahin das Haus umstanden hatten. Es war ein wunderschöner Tag, frische Herbstluft bei klarblauem Himmel. Aber die würdevoll vor sich hinblickende Dorfhonoratiorenschaft achtete des blauen Himmels nicht, und nur Bauer Mietzel, der noch Heu draußen hatte, das er am andern Tag einfahren wollte, schielte mit halbem Auge hinauf. Da sah er, wie von der andern Oderseite her ein Weih über den Strom kam und auf den Tschechiner Kirchthurm zuflog. Und er stieß den neben ihm gehenden Oelmüller an und sagte: „Süh, Quaas, doa is he wedder.“ „Wihr denn?“ „De Weih. Weetst noch?“ „Nei.“ „Dunn, as dat mit Szulski wihr. Jck segg’ Di, de Weih, de weet wat.“ Als sie so sprachen, bog die Spitze des Zuges auf den Kirchhof ein, an dessen höchster Stelle, dicht neben dem Thurm das Grab gegraben war. Hier setzte man den Sarg auf darüber gelegte Balken, und als sich der Kreis gleich danach geschlossen hatte, trat Eccelius vor, um die Grabrede zu halten. Er rühmte von der Todten, daß sie, den ihr anerzogenen Aberglauben abschüttelnd, nach freier Wahl und eignem Entschluß den Weg des Lichtes gegangen sei, was nur der wissen und bezeugen könne, der ihr so nah gestanden habe wie er. Und wie sie das Licht und die reine Lehre geliebt habe, so habe sie nicht minder das Recht geliebt, was sich zu keiner Zeit schöner und glänzender gezeigt, als in jenen schweren Tagen, die der selig Entschlafenen nach dem Rathschlusse Gottes auferlegt worden seien. Damals, als er ihr nicht ohne Mühe das Zugeständniß erwirkt habe, den, an dem ihr Herz und ihre Seele hing, wiedersehn zu dürfen, wenn auch freilich nur vor Zeugen und auf eine kurze halbe Stunde, da habe sie die wohl jedem hier in der Erinnerung gebliebenen Worte gesprochen: „Nein, nicht jetzt; es ist besser, daß ich warte. Wenn er unschuldig ist, so werd’ ich ihn wiedersehen, früher oder später; wenn er aber schuldig ist, so will ich ihn nicht wiedersehn.“ Er freue sich, daß er diese Worte, hier am Grabe der Heimgegangenen, ihr zu Ruhm und Ehre, wiederholen könne. Ja, sie habe sich allezeit bewährt in ihrem Glauben und ihrem Rechtsgefühl. Aber vor allem auch in ihrer Liebe. Mit Bangen habe sie die Stunden gezählt, in schlaflosen Nächten ihre Kräfte verzehrend, und als endlich die Stunde der Befreiung gekommen sei, da sei sie zusammengebrochen. Sie sei das Opfer arger, damals herrschender Mißverständnisse, das sei zweifellos, und alle die, die diese Mißverständnisse geschürt und genährt hätten, anstatt sie zu beseitigen, die hätten eine schwere Verantwortung auf ihre Seele geladen. Ja, dieser frühe Tod, er müsse das wiederholen, sei das Werk derer, die das Gebot unbeachtet gelassen hätten: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider Deinen Nächsten.“ Und als er dieses sagte, sah er scharf nach einem entblätterten Hagebuttenstrauch hinüber, unter dessen rothen Früchten die Jeschke stand und dem Vorgange, wie schon damals in der Kirche, mehr neugierig als verlegen folgte. Gleich danach aber schloß Eccelius seine Rede, gab einen Wink, den Sarg hinab zu lassen, und sprach dann den Segen. Dann kamen die drei Hände voll Erde, mit sich anschließendem

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/29>, abgerufen am 27.11.2024.