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Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41.

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daran denken. Oft muß ich lachen, wenn ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d'hote mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt, ,ob er's auch noch hat'. Und dann athmet er auf und ist ganz roth geworden. Das ist immer lächerlich und schadet blos. Und auch das Einnähen hilft nichts, das ist ebenso dumm. Jst der Rock weg, ist auch das Geld weg. Aber was man auf seinem Leibe hat, das hat man. All die andern Vorsichten sind Unsinn."

"Recht so," sagte Hradscheck. "So mach' ich's auch. Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen. Jst es denn wahr, Szulski, daß sie Diebitschen vergiftet haben?"

"Versteht sich, ist es wahr."

"Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?"

"Alles wahr," wiederholte Szulski. "Daran ist kein Zweifel. Und es kam so. Constantin wollte die Polen ärgern, weil sie gesagt hatten, die Russen fräßen bloß Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen eingeladen hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht sich nahm er immer zuerst, dafür war er Großfürst und Vicekönig. Aber das eine Mal vergriff er sich doch, und da hat er's runter würgen müssen."

"Wird nicht sehr glatt gegangen sein."

"Gewiß nicht ... Aber, Jhr Herren, kennt Jhr denn schon das neue Polenlied, das sie jetzt singen?"

"Denkst Du daran - -"

"Nein, das ist alt. Ein neues."

"Und heißt?"

"Die letzten Zehn vom vierten Regiment ... Wollt Jhr's hören? Soll ich es singen?"

"Freilich."

"Aber ihr müßt einfallen ..."

"Versteht sich, versteht sich."

Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte:

Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen:
Kein Schuß im heilgen Kampfe sei gethan,
Tambour, schlag' an, zum Blachfeld laßt uns ziehen,
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment.

"Einfallen! Chorus." "Weiter, Szulski, weiter."

Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
An unsrer Seite dort wir stürzen sahn,
Wir leben noch, die Wunden stehen offen,
Und um die Heimath ewig ist's gethan;
Herr Gott im Himmel, schenk' ein gnädig End'
Uns letzten Zehn vom vierten Regiment."

Chorus:

"Uns letzten Zehn vom vierten Regiment."

Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf.

"Wenn ihn jetzt seine Frau sähe," rief Kunicke.

"Da hätt' er Oberwasser."

"Ja, ja."

Und nun stieß man an und ließ die Polen leben. Nur Kunicke, der an anno 13 dachte, weigerte sich und trank auf die Russen. Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen.

Mietzel aber war ganz übermüthig und halb wie verdreht geworden und sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit einem Male:

"Nicht mal seiner eignen Frau,
Kätzchen weiß es ganz genau.
Miau."

Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr an Uebelnehmen.

Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen.



6.

So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurückhalten; "er müsse morgen um neun in Frankfurt sein." Und damit nahm er den bereit stehenden Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in der Hand hatte, wandt' er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck: "Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee. Guten Abend, ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!"



Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daß allerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke, das grad' in dem Windstrome lag, der, von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke's Stall und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden.

"Dat's joa groad' as ob de Bös kümmt," sagte die Alte und richtete sich in die Höh, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn, ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel drüben in der neumärkischen Haide das freiwillige Hinken wegkurirt hatte.

Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck'schen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her, mal hier mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube.

"Mien Jott, supen se noch?" fragte die Jeschke vor sich hin. "Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr Schull un he künn nich anners."

Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung, 'was zu sehn. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die Hradscheck'sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war's ihr doch wieder, als ob er wolle, daß man ihn sähe. Denn wozu sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt' er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.

"Wat he man hett?" murmelte sie vor sich hin.

Aber ehe sie sich, aus ihren Muthmaßungen heraus, ihre Frage noch beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus

daran denken. Oft muß ich lachen, wenn ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d’hôte mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt, ‚ob er’s auch noch hat‘. Und dann athmet er auf und ist ganz roth geworden. Das ist immer lächerlich und schadet blos. Und auch das Einnähen hilft nichts, das ist ebenso dumm. Jst der Rock weg, ist auch das Geld weg. Aber was man auf seinem Leibe hat, das hat man. All die andern Vorsichten sind Unsinn.“

„Recht so,“ sagte Hradscheck. „So mach’ ich’s auch. Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen. Jst es denn wahr, Szulski, daß sie Diebitschen vergiftet haben?“

„Versteht sich, ist es wahr.“

„Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?“

„Alles wahr,“ wiederholte Szulski. „Daran ist kein Zweifel. Und es kam so. Constantin wollte die Polen ärgern, weil sie gesagt hatten, die Russen fräßen bloß Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen eingeladen hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht sich nahm er immer zuerst, dafür war er Großfürst und Vicekönig. Aber das eine Mal vergriff er sich doch, und da hat er’s runter würgen müssen.“

„Wird nicht sehr glatt gegangen sein.“

„Gewiß nicht … Aber, Jhr Herren, kennt Jhr denn schon das neue Polenlied, das sie jetzt singen?“

„Denkst Du daran – –“

„Nein, das ist alt. Ein neues.“

„Und heißt?“

„Die letzten Zehn vom vierten Regiment … Wollt Jhr’s hören? Soll ich es singen?“

„Freilich.“

„Aber ihr müßt einfallen …“

„Versteht sich, versteht sich.“

Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte:

Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen:
Kein Schuß im heilgen Kampfe sei gethan,
Tambour, schlag’ an, zum Blachfeld laßt uns ziehen,
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment.

„Einfallen! Chorus.“ „Weiter, Szulski, weiter.“

Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
An unsrer Seite dort wir stürzen sahn,
Wir leben noch, die Wunden stehen offen,
Und um die Heimath ewig ist’s gethan;
Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’
Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.“

Chorus:

„Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.“

Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf.

„Wenn ihn jetzt seine Frau sähe,“ rief Kunicke.

„Da hätt’ er Oberwasser.“

„Ja, ja.“

Und nun stieß man an und ließ die Polen leben. Nur Kunicke, der an anno 13 dachte, weigerte sich und trank auf die Russen. Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen.

Mietzel aber war ganz übermüthig und halb wie verdreht geworden und sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit einem Male:

„Nicht mal seiner eignen Frau,
Kätzchen weiß es ganz genau.
Miau.“

Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr an Uebelnehmen.

Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen.



6.

So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurückhalten; „er müsse morgen um neun in Frankfurt sein.“ Und damit nahm er den bereit stehenden Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in der Hand hatte, wandt’ er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck: „Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee. Guten Abend, ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!“



Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daß allerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke, das grad’ in dem Windstrome lag, der, von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke’s Stall und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden.

„Dat’s joa groad’ as ob de Bös kümmt,“ sagte die Alte und richtete sich in die Höh, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn, ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel drüben in der neumärkischen Haide das freiwillige Hinken wegkurirt hatte.

Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck’schen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her, mal hier mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube.

„Mien Jott, supen se noch?“ fragte die Jeschke vor sich hin. „Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr Schull un he künn nich anners.“

Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung, ’was zu sehn. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die Hradscheck’sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war’s ihr doch wieder, als ob er wolle, daß man ihn sähe. Denn wozu sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt’ er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.

„Wat he man hett?“ murmelte sie vor sich hin.

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[567/0013] daran denken. Oft muß ich lachen, wenn ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d’hôte mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt, ‚ob er’s auch noch hat‘. Und dann athmet er auf und ist ganz roth geworden. Das ist immer lächerlich und schadet blos. Und auch das Einnähen hilft nichts, das ist ebenso dumm. Jst der Rock weg, ist auch das Geld weg. Aber was man auf seinem Leibe hat, das hat man. All die andern Vorsichten sind Unsinn.“ „Recht so,“ sagte Hradscheck. „So mach’ ich’s auch. Aber wir sind bei dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen. Jst es denn wahr, Szulski, daß sie Diebitschen vergiftet haben?“ „Versteht sich, ist es wahr.“ „Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?“ „Alles wahr,“ wiederholte Szulski. „Daran ist kein Zweifel. Und es kam so. Constantin wollte die Polen ärgern, weil sie gesagt hatten, die Russen fräßen bloß Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen eingeladen hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht sich nahm er immer zuerst, dafür war er Großfürst und Vicekönig. Aber das eine Mal vergriff er sich doch, und da hat er’s runter würgen müssen.“ „Wird nicht sehr glatt gegangen sein.“ „Gewiß nicht … Aber, Jhr Herren, kennt Jhr denn schon das neue Polenlied, das sie jetzt singen?“ „Denkst Du daran – –“ „Nein, das ist alt. Ein neues.“ „Und heißt?“ „Die letzten Zehn vom vierten Regiment … Wollt Jhr’s hören? Soll ich es singen?“ „Freilich.“ „Aber ihr müßt einfallen …“ „Versteht sich, versteht sich.“ Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte: Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen: Kein Schuß im heilgen Kampfe sei gethan, Tambour, schlag’ an, zum Blachfeld laßt uns ziehen, Wir greifen nur mit Bajonetten an! Und ewig kennt das Vaterland und nennt Mit stillem Schmerz sein viertes Regiment. „Einfallen! Chorus.“ „Weiter, Szulski, weiter.“ Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen An unsrer Seite dort wir stürzen sahn, Wir leben noch, die Wunden stehen offen, Und um die Heimath ewig ist’s gethan; Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’ Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.“ Chorus: „Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.“ Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf. „Wenn ihn jetzt seine Frau sähe,“ rief Kunicke. „Da hätt’ er Oberwasser.“ „Ja, ja.“ Und nun stieß man an und ließ die Polen leben. Nur Kunicke, der an anno 13 dachte, weigerte sich und trank auf die Russen. Und zuletzt auch auf Quaas und Kätzchen. Mietzel aber war ganz übermüthig und halb wie verdreht geworden und sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit einem Male: „Nicht mal seiner eignen Frau, Kätzchen weiß es ganz genau. Miau.“ Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr an Uebelnehmen. Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen. 6. So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurückhalten; „er müsse morgen um neun in Frankfurt sein.“ Und damit nahm er den bereit stehenden Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in der Hand hatte, wandt’ er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck: „Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee. Guten Abend, ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!“ Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daß allerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke, das grad’ in dem Windstrome lag, der, von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke’s Stall und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden. „Dat’s joa groad’ as ob de Bös kümmt,“ sagte die Alte und richtete sich in die Höh, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn, ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel drüben in der neumärkischen Haide das freiwillige Hinken wegkurirt hatte. Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck’schen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her, mal hier mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube. „Mien Jott, supen se noch?“ fragte die Jeschke vor sich hin. „Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr Schull un he künn nich anners.“ Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung, ’was zu sehn. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die Hradscheck’sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war’s ihr doch wieder, als ob er wolle, daß man ihn sähe. Denn wozu sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt’ er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht. „Wat he man hett?“ murmelte sie vor sich hin. Aber ehe sie sich, aus ihren Muthmaßungen heraus, ihre Frage noch beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus

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Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-12T12:36:22Z)

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Die Transkription erfolgte nach den unter https://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube#Editionsrichtlinien formulierten Richtlinien.

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Fontanes Novelle „Unterm Birnbaum“ erschien 1885 in mehreren Fortsetzungen in der Zeitschrift „Die Gartenlaube“; die einzelnen Textteile wurden im vorliegenden Text zusammengeführt. Die Abbildungen jeweils zu Beginn der einzelnen Hefte bzw. innerhalb der Textteile gehören nicht zur Novelle und wurden daher im vorliegenden DTA-Text nicht ausgewiesen.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Unterm Birnbaum. In: Die Gartenlaube 32 (1885), H. 33–41, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_birnbaum_1885/13>, abgerufen am 22.12.2024.