Ruthen erlöset. Schnell über Thürme und Berge, flog sie mit den lieblichen Kindern, und senkte sich mitten in dem glücklichen Eilande nieder.
Welch ein Schauplatz für die armen un- terdrückten Kleinen! Duftende Sträuche, und rieselnde Bäche. Die köstlichsten Früchte, über paradiesischen Lauben. Frohes Ge- tümmel, Spiel und Gesang auf allen Seiten.
Sie glaubten, es sey ein Traum -- sie betasteten die Sträuche und die Blumen, liefen allenthalben umher, riefen sich zu, stürzten dann einander in die Arme, wein- ten und lachten, fragten und hörten keine einzige Antwort. Ach sie waren glücklich! und Soline vergaß über den köstlichen An- blick alle Wunden ihres eigenen Herzens.
Aber dieses Herz vermochte dennoch nicht sich zur Gerechtigkeit, die keine Lieblinge duldet, zu erheben. Jn der That dies wur-
Ruthen erloͤſet. Schnell uͤber Thuͤrme und Berge, flog ſie mit den lieblichen Kindern, und ſenkte ſich mitten in dem gluͤcklichen Eilande nieder.
Welch ein Schauplatz fuͤr die armen un- terdruͤckten Kleinen! Duftende Straͤuche, und rieſelnde Baͤche. Die koͤſtlichſten Fruͤchte, uͤber paradieſiſchen Lauben. Frohes Ge- tuͤmmel, Spiel und Geſang auf allen Seiten.
Sie glaubten, es ſey ein Traum — ſie betaſteten die Straͤuche und die Blumen, liefen allenthalben umher, riefen ſich zu, ſtuͤrzten dann einander in die Arme, wein- ten und lachten, fragten und hoͤrten keine einzige Antwort. Ach ſie waren gluͤcklich! und Soline vergaß uͤber den koͤſtlichen An- blick alle Wunden ihres eigenen Herzens.
Aber dieſes Herz vermochte dennoch nicht ſich zur Gerechtigkeit, die keine Lieblinge duldet, zu erheben. Jn der That dies wur-
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Ruthen erloͤſet. Schnell uͤber Thuͤrme und
Berge, flog ſie mit den lieblichen Kindern,
und ſenkte ſich mitten in dem gluͤcklichen
Eilande nieder.
Welch ein Schauplatz fuͤr die armen un-
terdruͤckten Kleinen! Duftende Straͤuche,
und rieſelnde Baͤche. Die koͤſtlichſten Fruͤchte,
uͤber paradieſiſchen Lauben. Frohes Ge-
tuͤmmel, Spiel und Geſang auf allen Seiten.
Sie glaubten, es ſey ein Traum — ſie
betaſteten die Straͤuche und die Blumen,
liefen allenthalben umher, riefen ſich zu,
ſtuͤrzten dann einander in die Arme, wein-
ten und lachten, fragten und hoͤrten keine
einzige Antwort. Ach ſie waren gluͤcklich!
und Soline vergaß uͤber den koͤſtlichen An-
blick alle Wunden ihres eigenen Herzens.
Aber dieſes Herz vermochte dennoch nicht
ſich zur Gerechtigkeit, die keine Lieblinge
duldet, zu erheben. Jn der That dies wur-
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[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/66>, abgerufen am 25.07.2024.
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