Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruhe sehr gefährlich zu werden drohte.
Keine ihrer Lieblingsbeschäftigungen befrie-
digte sie mehr, ihre Vögel, und ihre Blu-
men wurden vergessen, und nun schien sie
wirklich von einem süßen Wahnsinn ergriffen.

"O Himmel! Geisterodem der jetzt an
ihrer Wange vorüber streifte und ihren
Mund -- ach so wunderbar -- berührte!
-- Und des Nachts! -- Nein! jetzt täuschte
sie sich nicht mehr! -- gewiß es waren
Seufzer, die sie so oft aus dem Schlafe er-
weckten! --

Seufzer? -- kann ein Geist auch seuf-
zen?" -- Nun verlor sie sich in schmerzhaft
süße Träumereyn, und alles Sichtbare ver-
schwand vor ihren Augen.

Aber desto mehr Bilder traten aus ih-
rem Jnnern hervor. Ein Geist? -- Ach
einen Geist kann man nicht denken! -- We-
nigstens einen äußerst feinen, ätherischen

Ruhe ſehr gefaͤhrlich zu werden drohte.
Keine ihrer Lieblingsbeſchaͤftigungen befrie-
digte ſie mehr, ihre Voͤgel, und ihre Blu-
men wurden vergeſſen, und nun ſchien ſie
wirklich von einem ſuͤßen Wahnſinn ergriffen.

»O Himmel! Geiſterodem der jetzt an
ihrer Wange voruͤber ſtreifte und ihren
Mund — ach ſo wunderbar — beruͤhrte!
— Und des Nachts! — Nein! jetzt taͤuſchte
ſie ſich nicht mehr! — gewiß es waren
Seufzer, die ſie ſo oft aus dem Schlafe er-
weckten! —

Seufzer? — kann ein Geiſt auch ſeuf-
zen?« — Nun verlor ſie ſich in ſchmerzhaft
ſuͤße Traͤumereyn, und alles Sichtbare ver-
ſchwand vor ihren Augen.

Aber deſto mehr Bilder traten aus ih-
rem Jnnern hervor. Ein Geiſt? — Ach
einen Geiſt kann man nicht denken! — We-
nigſtens einen aͤußerſt feinen, aͤtheriſchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0025" n="21"/>
Ruhe &#x017F;ehr gefa&#x0364;hrlich zu werden drohte.<lb/>
Keine ihrer Lieblingsbe&#x017F;cha&#x0364;ftigungen befrie-<lb/>
digte &#x017F;ie mehr, ihre Vo&#x0364;gel, und ihre Blu-<lb/>
men wurden verge&#x017F;&#x017F;en, und nun &#x017F;chien &#x017F;ie<lb/>
wirklich von einem &#x017F;u&#x0364;ßen Wahn&#x017F;inn ergriffen.</p><lb/>
        <p>»O Himmel! Gei&#x017F;terodem der jetzt an<lb/>
ihrer Wange voru&#x0364;ber &#x017F;treifte und ihren<lb/>
Mund &#x2014; ach &#x017F;o wunderbar &#x2014; beru&#x0364;hrte!<lb/>
&#x2014; Und des Nachts! &#x2014; Nein! jetzt ta&#x0364;u&#x017F;chte<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich nicht mehr! &#x2014; gewiß es waren<lb/>
Seufzer, die &#x017F;ie &#x017F;o oft aus dem Schlafe er-<lb/>
weckten! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Seufzer? &#x2014; kann ein Gei&#x017F;t auch &#x017F;euf-<lb/>
zen?« &#x2014; Nun verlor &#x017F;ie &#x017F;ich in &#x017F;chmerzhaft<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ße Tra&#x0364;umereyn, und alles Sichtbare ver-<lb/>
&#x017F;chwand vor ihren Augen.</p><lb/>
        <p>Aber de&#x017F;to mehr Bilder traten aus ih-<lb/>
rem Jnnern hervor. Ein Gei&#x017F;t? &#x2014; Ach<lb/>
einen Gei&#x017F;t kann man nicht denken! &#x2014; We-<lb/>
nig&#x017F;tens einen a&#x0364;ußer&#x017F;t feinen, a&#x0364;theri&#x017F;chen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0025] Ruhe ſehr gefaͤhrlich zu werden drohte. Keine ihrer Lieblingsbeſchaͤftigungen befrie- digte ſie mehr, ihre Voͤgel, und ihre Blu- men wurden vergeſſen, und nun ſchien ſie wirklich von einem ſuͤßen Wahnſinn ergriffen. »O Himmel! Geiſterodem der jetzt an ihrer Wange voruͤber ſtreifte und ihren Mund — ach ſo wunderbar — beruͤhrte! — Und des Nachts! — Nein! jetzt taͤuſchte ſie ſich nicht mehr! — gewiß es waren Seufzer, die ſie ſo oft aus dem Schlafe er- weckten! — Seufzer? — kann ein Geiſt auch ſeuf- zen?« — Nun verlor ſie ſich in ſchmerzhaft ſuͤße Traͤumereyn, und alles Sichtbare ver- ſchwand vor ihren Augen. Aber deſto mehr Bilder traten aus ih- rem Jnnern hervor. Ein Geiſt? — Ach einen Geiſt kann man nicht denken! — We- nigſtens einen aͤußerſt feinen, aͤtheriſchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/25
Zitationshilfe: [Fischer, Caroline Auguste]: Mährchen, In: Journal der Romane. St. 10. Berlin, 1802, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_maehrchen_1802/25>, abgerufen am 18.12.2024.