Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911.

Bild:
<< vorherige Seite


4 FISCHER:


durch Sammeln von Pflanzen und Insekten. Dazu gesellte sich bald die
Vorliebe für chemische Experimente, die sogar zu Schaustellungen für
Eltern und Kameraden ausgestaltet und durch Erhebung von Eintritts-
geldern auch zu einer Einnahmequelle gemacht wurden. Der in der letzten
Maßregel hervortretende Erwerbssinn scheint sich aber nicht entwickelt
zu haben, denn alle späteren Berichte bekunden die Neigung, materielle
Vorteile der unbedingten Hingabe an Wissenschaft und freie Forschung
zu opfern.
Zufolge eines Kompromisses mit dem Vater, der den Sohn am liebsten
für die juristische Laufbahn bestimmt hätte, entschloß er sich zwar, Tech-
nologe zu werden, und absolvierte zu diesem Zweck erst die höhere Bürger-
schule und dann die Polytechnische Schule zu Delft.
Aber ein kurzer Aufenthalt in einer Zuckerfabrik genügte zu der Er-
kenntnis, daß die manchmal monotone Tätigkeit des Praktikers auf die Dauer
seinem spekulativ veranlagten Geiste keine Befriedigung gewähren werde.
In der Antrittsrede, die er vor 15 Jahren am Leibniztage hier hielt,
skizzierte er seinen Studiengang mit folgenden Worten: "Für die chemi-
sche Technik bestimmt, führte mich mein mathematisches Bedürfnis als-
bald nach der Universität Leiden, und ich widmete mich der Mathematik,
bis die alte Liebe zur Chemie wieder in den Vordergrund trat und mich
ein paar großen Zentren der Strukturchemie zuführte, bei Kekule in Bonn
und bei Wurtz in Paris. Dieser doppelte Drang zur Mathematik einer-
seits und zur Chemie anderseits hat sich dann meinen sämtlichen wissen-
schaftlichen Bestrebungen aufgeprägt. "
Bei der Wahl von Bonn als Studienort war für den jungen Kandi-
daten der Wunsch ausschlaggebend, von Kekule, dem berühmten Begründer
der Strukturchemie, der seit 1867 eine überaus fruchtbare Lehrtätigkeit an
der rheinischen Hochschule ausübte, Aufklärung über gewisse Schwierig-
keiten seiner Lehre zu erhalten.
Unter Kekules Anleitung ist dann eine kleine Experimentalarbeit
entstanden, die den Inhalt von van't Hoffs erster Publikation "Über
eine neue Synthese der Propionsäure" bildete, aber keineswegs aus dem
üblichen Rahmen solcher Erstlingsversuche hervortrat. Ungleich größere
Wirkung haben sicherlich Kekules Vorlesungen und der Ideenkreis, der
im Bonner Institut gepflegt wurde, auf die Entwicklung des jungen Theo-
retikers gehabt. Er lernte hier die von dem Meister ersonnenen und noch


4 FISCHER:


durch Sammeln von Pflanzen und Insekten. Dazu gesellte sich bald die
Vorliebe für chemische Experimente, die sogar zu Schaustellungen für
Eltern und Kameraden ausgestaltet und durch Erhebung von Eintritts-
geldern auch zu einer Einnahmequelle gemacht wurden. Der in der letzten
Maßregel hervortretende Erwerbssinn scheint sich aber nicht entwickelt
zu haben, denn alle späteren Berichte bekunden die Neigung, materielle
Vorteile der unbedingten Hingabe an Wissenschaft und freie Forschung
zu opfern.
Zufolge eines Kompromisses mit dem Vater, der den Sohn am liebsten
für die juristische Laufbahn bestimmt hätte, entschloß er sich zwar, Tech-
nologe zu werden, und absolvierte zu diesem Zweck erst die höhere Bürger-
schule und dann die Polytechnische Schule zu Delft.
Aber ein kurzer Aufenthalt in einer Zuckerfabrik genügte zu der Er-
kenntnis, daß die manchmal monotone Tätigkeit des Praktikers auf die Dauer
seinem spekulativ veranlagten Geiste keine Befriedigung gewähren werde.
In der Antrittsrede, die er vor 15 Jahren am Leibniztage hier hielt,
skizzierte er seinen Studiengang mit folgenden Worten: »Für die chemi-
sche Technik bestimmt, führte mich mein mathematisches Bedürfnis als-
bald nach der Universität Leiden, und ich widmete mich der Mathematik,
bis die alte Liebe zur Chemie wieder in den Vordergrund trat und mich
ein paar großen Zentren der Strukturchemie zuführte, bei Kekule in Bonn
und bei Wurtz in Paris. Dieser doppelte Drang zur Mathematik einer-
seits und zur Chemie anderseits hat sich dann meinen sämtlichen wissen-
schaftlichen Bestrebungen aufgeprägt. «
Bei der Wahl von Bonn als Studienort war für den jungen Kandi-
daten der Wunsch ausschlaggebend, von Kekule, dem berühmten Begründer
der Strukturchemie, der seit 1867 eine überaus fruchtbare Lehrtätigkeit an
der rheinischen Hochschule ausübte, Aufklärung über gewisse Schwierig-
keiten seiner Lehre zu erhalten.
Unter Kekules Anleitung ist dann eine kleine Experimentalarbeit
entstanden, die den Inhalt von van’t Hoffs erster Publikation »Über
eine neue Synthese der Propionsäure« bildete, aber keineswegs aus dem
üblichen Rahmen solcher Erstlingsversuche hervortrat. Ungleich größere
Wirkung haben sicherlich Kekules Vorlesungen und der Ideenkreis, der
im Bonner Institut gepflegt wurde, auf die Entwicklung des jungen Theo-
retikers gehabt. Er lernte hier die von dem Meister ersonnenen und noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0006" n="6"/>
        <p><lb/>
4 FISCHER:</p>
        <p><lb/>
durch Sammeln von Pflanzen und Insekten. Dazu gesellte sich bald die<lb/>
Vorliebe für chemische Experimente, die sogar zu Schaustellungen für<lb/>
Eltern und Kameraden ausgestaltet und durch Erhebung von Eintritts-<lb/>
geldern auch zu einer Einnahmequelle gemacht wurden. Der in der letzten<lb/>
Maßregel hervortretende Erwerbssinn scheint sich aber nicht entwickelt<lb/>
zu haben, denn alle späteren Berichte bekunden die Neigung, materielle<lb/>
Vorteile der unbedingten Hingabe an Wissenschaft und freie Forschung<lb/>
zu opfern.<lb/>
Zufolge eines Kompromisses mit dem Vater, der den Sohn am liebsten<lb/>
für die juristische Laufbahn bestimmt hätte, entschloß er sich zwar, Tech-<lb/>
nologe zu werden, und absolvierte zu diesem Zweck erst die höhere Bürger-<lb/>
schule und dann die Polytechnische Schule zu Delft.<lb/>
Aber ein kurzer Aufenthalt in einer Zuckerfabrik genügte zu der Er-<lb/>
kenntnis, daß die manchmal monotone Tätigkeit des Praktikers auf die Dauer<lb/>
seinem spekulativ veranlagten Geiste keine Befriedigung gewähren werde.<lb/>
In der Antrittsrede, die er vor 15 Jahren am Leibniztage hier hielt,<lb/>
skizzierte er seinen Studiengang mit folgenden Worten: »Für die chemi-<lb/>
sche Technik bestimmt, führte mich mein mathematisches Bedürfnis als-<lb/>
bald nach der Universität Leiden, und ich widmete mich der Mathematik,<lb/>
bis die alte Liebe zur Chemie wieder in den Vordergrund trat und mich<lb/>
ein paar großen Zentren der Strukturchemie zuführte, bei Kekule in Bonn<lb/>
und bei Wurtz in Paris. Dieser doppelte Drang zur Mathematik einer-<lb/>
seits und zur Chemie anderseits hat sich dann meinen sämtlichen wissen-<lb/>
schaftlichen Bestrebungen aufgeprägt. «<lb/>
Bei der Wahl von Bonn als Studienort war für den jungen Kandi-<lb/>
daten der Wunsch ausschlaggebend, von Kekule, dem berühmten Begründer<lb/>
der Strukturchemie, der seit 1867 eine überaus fruchtbare Lehrtätigkeit an<lb/>
der rheinischen Hochschule ausübte, Aufklärung über gewisse Schwierig-<lb/>
keiten seiner Lehre zu erhalten.<lb/>
Unter Kekules Anleitung ist dann eine kleine Experimentalarbeit<lb/>
entstanden, die den Inhalt von van&#x2019;t Hoffs erster Publikation Ȇber<lb/>
eine neue Synthese der Propionsäure« bildete, aber keineswegs aus dem<lb/>
üblichen Rahmen solcher Erstlingsversuche hervortrat. Ungleich größere<lb/>
Wirkung haben sicherlich Kekules Vorlesungen und der Ideenkreis, der<lb/>
im Bonner Institut gepflegt wurde, auf die Entwicklung des jungen Theo-<lb/>
retikers gehabt. Er lernte hier die von dem Meister ersonnenen und noch</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[6/0006] 4 FISCHER: durch Sammeln von Pflanzen und Insekten. Dazu gesellte sich bald die Vorliebe für chemische Experimente, die sogar zu Schaustellungen für Eltern und Kameraden ausgestaltet und durch Erhebung von Eintritts- geldern auch zu einer Einnahmequelle gemacht wurden. Der in der letzten Maßregel hervortretende Erwerbssinn scheint sich aber nicht entwickelt zu haben, denn alle späteren Berichte bekunden die Neigung, materielle Vorteile der unbedingten Hingabe an Wissenschaft und freie Forschung zu opfern. Zufolge eines Kompromisses mit dem Vater, der den Sohn am liebsten für die juristische Laufbahn bestimmt hätte, entschloß er sich zwar, Tech- nologe zu werden, und absolvierte zu diesem Zweck erst die höhere Bürger- schule und dann die Polytechnische Schule zu Delft. Aber ein kurzer Aufenthalt in einer Zuckerfabrik genügte zu der Er- kenntnis, daß die manchmal monotone Tätigkeit des Praktikers auf die Dauer seinem spekulativ veranlagten Geiste keine Befriedigung gewähren werde. In der Antrittsrede, die er vor 15 Jahren am Leibniztage hier hielt, skizzierte er seinen Studiengang mit folgenden Worten: »Für die chemi- sche Technik bestimmt, führte mich mein mathematisches Bedürfnis als- bald nach der Universität Leiden, und ich widmete mich der Mathematik, bis die alte Liebe zur Chemie wieder in den Vordergrund trat und mich ein paar großen Zentren der Strukturchemie zuführte, bei Kekule in Bonn und bei Wurtz in Paris. Dieser doppelte Drang zur Mathematik einer- seits und zur Chemie anderseits hat sich dann meinen sämtlichen wissen- schaftlichen Bestrebungen aufgeprägt. « Bei der Wahl von Bonn als Studienort war für den jungen Kandi- daten der Wunsch ausschlaggebend, von Kekule, dem berühmten Begründer der Strukturchemie, der seit 1867 eine überaus fruchtbare Lehrtätigkeit an der rheinischen Hochschule ausübte, Aufklärung über gewisse Schwierig- keiten seiner Lehre zu erhalten. Unter Kekules Anleitung ist dann eine kleine Experimentalarbeit entstanden, die den Inhalt von van’t Hoffs erster Publikation »Über eine neue Synthese der Propionsäure« bildete, aber keineswegs aus dem üblichen Rahmen solcher Erstlingsversuche hervortrat. Ungleich größere Wirkung haben sicherlich Kekules Vorlesungen und der Ideenkreis, der im Bonner Institut gepflegt wurde, auf die Entwicklung des jungen Theo- retikers gehabt. Er lernte hier die von dem Meister ersonnenen und noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR. (2020-03-03T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-03-04T12:13:05Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: ignoriert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • i/j in Fraktur: wie Vorlage;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: nicht übernommen;
  • langes s (ſ): wie Vorlage;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: wie Vorlage;
  • u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
  • Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: ja;



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/6
Zitationshilfe: Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/6>, abgerufen am 23.11.2024.