seinen Neigungen entspräche, und einige Monate später im April 1895 nahm er als Vorsitzender der Versammlung holländischer Naturforscher und Ärzte zu Amsterdam Gelegenheit, auch öffentlich für die Schaffung derartiger Stellen einzutreten. Noch drastischer brachte er kurz nachher seine Über- zeugung zum Ausdruck, indem er die Amsterdamer Professur plötzlich auf- gab, um zunächst der Ruhe zu pflegen. Mit der Familie zog er erst in den badischen Schwarzwald und dann, als die Tage kürzer wurden, langsam der Sonne nach bis Lugano, alles mit Ausnahme des Gotthardtunnels zu Fuß abmachend, Omnia sua secum portans, wobei der jüngste, erst sechs- jährige Sohn meist auf den Schultern des Vaters reiten durfte. Was Seume vor 100 Jahren mit dem Spaziergang nach Syrakus vollbracht, das hat van't Hoff im Zeitalter der Eisenbahnen nochmals geleistet, auch nach Kilometern, wenn man den Weg mit der Zahl der sechsköpfigen Familie multipliziert. Von der Schweiz knüpfte er die Verhandlungen mit Berlin wieder an, und nun erfolgte nach dem einmütigen Vorschlag der Fachgenossen im Winter 1895/96 seine Berufung als Mitglied der Akademie. Gleichzeitig wurde er zum Honorarprofessor an der Universität ernannt, und im Früh- jahr 1896 fand die Übersiedlung nach Berlin statt. Glücklicherweise brauchte van't Hoff kein großes Institut, das man so rasch nicht hätte herrichten können. Für die von ihm geplanten Unter- suchungen genügte ein kleines Laboratorium, für dessen Einrichtung in einem Mietshause sein Freund und Mitarbeiter Meyerhoffer Sorge trug. Und nun beginnt die lange Reihe von Experimentalarbeiten über die ozeanischen Salzablagerungen, speziell die Staßfurter Salze, welche an die bereits in Amsterdam angestellten Versuche über Umwandlungserscheinungen und Doppelsalzbildung anknüpfen. In 52 Abhandlungen, die sämtlich in unseren Sitzungsberichten erschienen, sind die Resultate niedergelegt, durch die das verwickelte Problem in den Grundzügen und für eine konstante Temperatur gelöst wurde. Drei Jahre vor seinem Tode hat er sie abgeschlossen, aber gleich- zeitig für ihre Weiterführung von anderer Hand Sorge getragen. Unter Mitwirkung von Mineralogen, Geologen und Chemikern der Staß- furter Industrie und mit materieller Unterstützung durch unsere Akademie, den Verein deutscher Ingenieure und das Kalisyndikat ist ein wissenschaft- licher Verband für die Erforschung der deutschen Kalisalzlagerstätten ins
Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus vanʼt Hof. 13
seinen Neigungen entspräche, und einige Monate später im April 1895 nahm er als Vorsitzender der Versammlung holländischer Naturforscher und Ärzte zu Amsterdam Gelegenheit, auch öffentlich für die Schaffung derartiger Stellen einzutreten. Noch drastischer brachte er kurz nachher seine Über- zeugung zum Ausdruck, indem er die Amsterdamer Professur plötzlich auf- gab, um zunächst der Ruhe zu pflegen. Mit der Familie zog er erst in den badischen Schwarzwald und dann, als die Tage kürzer wurden, langsam der Sonne nach bis Lugano, alles mit Ausnahme des Gotthardtunnels zu Fuß abmachend, Omnia sua secum portans, wobei der jüngste, erst sechs- jährige Sohn meist auf den Schultern des Vaters reiten durfte. Was Seume vor 100 Jahren mit dem Spaziergang nach Syrakus vollbracht, das hat vanʼt Hoff im Zeitalter der Eisenbahnen nochmals geleistet, auch nach Kilometern, wenn man den Weg mit der Zahl der sechsköpfigen Familie multipliziert. Von der Schweiz knüpfte er die Verhandlungen mit Berlin wieder an, und nun erfolgte nach dem einmütigen Vorschlag der Fachgenossen im Winter 1895/96 seine Berufung als Mitglied der Akademie. Gleichzeitig wurde er zum Honorarprofessor an der Universität ernannt, und im Früh- jahr 1896 fand die Übersiedlung nach Berlin statt. Glücklicherweise brauchte vanʼt Hoff kein großes Institut, das man so rasch nicht hätte herrichten können. Für die von ihm geplanten Unter- suchungen genügte ein kleines Laboratorium, für dessen Einrichtung in einem Mietshause sein Freund und Mitarbeiter Meyerhoffer Sorge trug. Und nun beginnt die lange Reihe von Experimentalarbeiten über die ozeanischen Salzablagerungen, speziell die Staßfurter Salze, welche an die bereits in Amsterdam angestellten Versuche über Umwandlungserscheinungen und Doppelsalzbildung anknüpfen. In 52 Abhandlungen, die sämtlich in unseren Sitzungsberichten erschienen, sind die Resultate niedergelegt, durch die das verwickelte Problem in den Grundzügen und für eine konstante Temperatur gelöst wurde. Drei Jahre vor seinem Tode hat er sie abgeschlossen, aber gleich- zeitig für ihre Weiterführung von anderer Hand Sorge getragen. Unter Mitwirkung von Mineralogen, Geologen und Chemikern der Staß- furter Industrie und mit materieller Unterstützung durch unsere Akademie, den Verein deutscher Ingenieure und das Kalisyndikat ist ein wissenschaft- licher Verband für die Erforschung der deutschen Kalisalzlagerstätten ins
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Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus vanʼt Hof. 13
seinen Neigungen entspräche, und einige Monate später im April 1895 nahm
er als Vorsitzender der Versammlung holländischer Naturforscher und Ärzte
zu Amsterdam Gelegenheit, auch öffentlich für die Schaffung derartiger
Stellen einzutreten. Noch drastischer brachte er kurz nachher seine Über-
zeugung zum Ausdruck, indem er die Amsterdamer Professur plötzlich auf-
gab, um zunächst der Ruhe zu pflegen. Mit der Familie zog er erst in
den badischen Schwarzwald und dann, als die Tage kürzer wurden, langsam
der Sonne nach bis Lugano, alles mit Ausnahme des Gotthardtunnels zu
Fuß abmachend, Omnia sua secum portans, wobei der jüngste, erst sechs-
jährige Sohn meist auf den Schultern des Vaters reiten durfte. Was Seume
vor 100 Jahren mit dem Spaziergang nach Syrakus vollbracht, das hat
vanʼt Hoff im Zeitalter der Eisenbahnen nochmals geleistet, auch nach
Kilometern, wenn man den Weg mit der Zahl der sechsköpfigen Familie
multipliziert.
Von der Schweiz knüpfte er die Verhandlungen mit Berlin wieder
an, und nun erfolgte nach dem einmütigen Vorschlag der Fachgenossen im
Winter 1895/96 seine Berufung als Mitglied der Akademie. Gleichzeitig
wurde er zum Honorarprofessor an der Universität ernannt, und im Früh-
jahr 1896 fand die Übersiedlung nach Berlin statt.
Glücklicherweise brauchte vanʼt Hoff kein großes Institut, das man
so rasch nicht hätte herrichten können. Für die von ihm geplanten Unter-
suchungen genügte ein kleines Laboratorium, für dessen Einrichtung in
einem Mietshause sein Freund und Mitarbeiter Meyerhoffer Sorge trug.
Und nun beginnt die lange Reihe von Experimentalarbeiten über die
ozeanischen Salzablagerungen, speziell die Staßfurter Salze, welche an die
bereits in Amsterdam angestellten Versuche über Umwandlungserscheinungen
und Doppelsalzbildung anknüpfen. In 52 Abhandlungen, die sämtlich in
unseren Sitzungsberichten erschienen, sind die Resultate niedergelegt, durch
die das verwickelte Problem in den Grundzügen und für eine konstante
Temperatur gelöst wurde.
Drei Jahre vor seinem Tode hat er sie abgeschlossen, aber gleich-
zeitig für ihre Weiterführung von anderer Hand Sorge getragen.
Unter Mitwirkung von Mineralogen, Geologen und Chemikern der Staß-
furter Industrie und mit materieller Unterstützung durch unsere Akademie,
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Fischer, Emil: Gedächtnisrede auf Jacobus Henricus van’t Hoff. Berlin, 1911, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fischer_hoff_1911/15>, abgerufen am 27.06.2024.
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