Finen, Eberhard: Helmstädtsche Denk- und Dank-Reden. Helmstedt, 1702.Wiedergebuhrt gebracht; Hieß es damahls nicht mit allem Recht von Ihr / was jener bey dem Adler / der sich wieder zuverjüngern in dem Meer zubaden pflegt / gesetzt: Vetustate relicta; Sie legte ja den alten Menschen ab / Sie wurde gantz ein neuer Mensch. So offt Sie durch Ihr gantzes Leben Ihre Wangen mit dem Buß-Wasser netzte / kunte Sie sagen: Vetustate relicta, hiermit ist das Alte abgethan. Ja alle Ihre Tugenden würden immer junger / ob Sie gleich an Jahren immer aelter würde. Ihre Gottseeligkeit nahm mit dem Alter zu / und da Sie zu schwach dazu worden / Gott öffentlich zu dienen / wurde Ihre Andacht daheim desto stärcker. Es fallen mir hiebey ein die Gedancken eines gelehrten Mannes / welche Er hatte über einen Bienen-Korb / aus welchen die jungen Bienen ausflogen Honig zusamlen / die Alten aber auch inwendig ihre Arbeit abwarteten; Er drückt dieselbe mit diesen Worten aus: At negotium seniorum intus. War unser Seel. Frau Pröbstinn nicht mehr vergönnet außer ihrem Hause das susse Honig des Göttl. Worts einzusamlen / so war Sie doch daheim damit beschäfftiget. Was das Ohr nicht mehr vermochte / das ersetzeten die Augen / Mund und Hertze / da Sie GOTT mit Lesen / Behten und Seufftzen dienete. Und von ihrer Geduld mag ich wol sagen / daß dieselbe mit dem Alter jünger worden. Anderer Ubungen der Geduld zu geschweigen / so forderte freylich Geduld ihr Wäysen-Stand / da Sie in einem Jahre Vatter und Mutter verlohren; Der Wittwen-Stand / darinn Sie im hohen Alter durch Verlust ihres lieben Ehe-Herrn gerahten / und das hohe Alter selbst muß ja wol eine schola patientiae genennet werden. Laß seyn / daß ein Georgius Leontinus, da er im 107den Jahre seines Al- Wiedergebuhrt gebracht; Hieß es damahls nicht mit allem Recht von Ihr / was jener bey dem Adler / der sich wieder zuverjüngern in dem Meer zubaden pflegt / gesetzt: Vetustate relicta; Sie legte ja den alten Menschen ab / Sie wurde gantz ein neuer Mensch. So offt Sie durch Ihr gantzes Leben Ihre Wangen mit dem Buß-Wasser netzte / kunte Sie sagen: Vetustate relicta, hiermit ist das Alte abgethan. Ja alle Ihre Tugenden würden im̃er junger / ob Sie gleich an Jahren im̃er aelter würde. Ihre Gottseeligkeit nahm mit dem Alter zu / und da Sie zu schwach dazu worden / Gott öffentlich zu dienen / wurde Ihre Andacht daheim desto stärcker. Es fallen mir hiebey ein die Gedancken eines gelehrten Mannes / welche Er hatte über einen Bienen-Korb / aus welchen die jungen Bienen ausflogen Honig zusamlen / die Alten aber auch inwendig ihre Arbeit abwarteten; Er drückt dieselbe mit diesen Worten aus: At negotium seniorum intus. War unser Seel. Frau Pröbstinn nicht mehr vergönnet außer ihrem Hause das susse Honig des Göttl. Worts einzusamlen / so war Sie doch daheim damit beschäfftiget. Was das Ohr nicht mehr vermochte / das ersetzeten die Augen / Mund und Hertze / da Sie GOTT mit Lesen / Behten und Seufftzen dienete. Und von ihrer Geduld mag ich wol sagen / daß dieselbe mit dem Alter jünger worden. Anderer Ubungen der Geduld zu geschweigen / so forderte freylich Geduld ihr Wäysen-Stand / da Sie in einem Jahre Vatter und Mutter verlohren; Der Wittwen-Stand / darinn Sie im hohen Alter durch Verlust ihres lieben Ehe-Herrn gerahten / und das hohe Alter selbst muß ja wol eine schola patientiae genennet werden. Laß seyn / daß ein Georgius Leontinus, da er im 107den Jahre seines Al- <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0152" n="146"/> Wiedergebuhrt gebracht; Hieß es damahls nicht mit allem Recht von Ihr / was jener bey dem Adler / der sich wieder zuverjüngern in dem Meer zubaden pflegt / gesetzt: Vetustate relicta; Sie legte ja den alten Menschen ab / Sie wurde gantz ein neuer Mensch. So offt Sie durch Ihr gantzes Leben Ihre Wangen mit dem Buß-Wasser netzte / kunte Sie sagen: Vetustate relicta, hiermit ist das Alte abgethan. Ja alle Ihre Tugenden würden im̃er junger / ob Sie gleich an Jahren im̃er aelter würde. Ihre Gottseeligkeit nahm mit dem Alter zu / und da Sie zu schwach dazu worden / Gott öffentlich zu dienen / wurde Ihre Andacht daheim desto stärcker. Es fallen mir hiebey ein die Gedancken eines gelehrten Mannes / welche Er hatte über einen Bienen-Korb / aus welchen die jungen Bienen ausflogen Honig zusamlen / die Alten aber auch inwendig ihre Arbeit abwarteten; Er drückt dieselbe mit diesen Worten aus: At negotium seniorum intus. War unser Seel. Frau Pröbstinn nicht mehr vergönnet außer ihrem Hause das susse Honig des Göttl. Worts einzusamlen / so war Sie doch daheim damit beschäfftiget. Was das Ohr nicht mehr vermochte / das ersetzeten die Augen / Mund und Hertze / da Sie GOTT mit Lesen / Behten und Seufftzen dienete. Und von ihrer Geduld mag ich wol sagen / daß dieselbe mit dem Alter jünger worden. Anderer Ubungen der Geduld zu geschweigen / so forderte freylich Geduld ihr Wäysen-Stand / da Sie in einem Jahre Vatter und Mutter verlohren; Der Wittwen-Stand / darinn Sie im hohen Alter durch Verlust ihres lieben Ehe-Herrn gerahten / und das hohe Alter selbst muß ja wol eine schola patientiae genennet werden. Laß seyn / daß ein Georgius Leontinus, da er im 107den Jahre seines Al- </p> </div> </body> </text> </TEI> [146/0152]
Wiedergebuhrt gebracht; Hieß es damahls nicht mit allem Recht von Ihr / was jener bey dem Adler / der sich wieder zuverjüngern in dem Meer zubaden pflegt / gesetzt: Vetustate relicta; Sie legte ja den alten Menschen ab / Sie wurde gantz ein neuer Mensch. So offt Sie durch Ihr gantzes Leben Ihre Wangen mit dem Buß-Wasser netzte / kunte Sie sagen: Vetustate relicta, hiermit ist das Alte abgethan. Ja alle Ihre Tugenden würden im̃er junger / ob Sie gleich an Jahren im̃er aelter würde. Ihre Gottseeligkeit nahm mit dem Alter zu / und da Sie zu schwach dazu worden / Gott öffentlich zu dienen / wurde Ihre Andacht daheim desto stärcker. Es fallen mir hiebey ein die Gedancken eines gelehrten Mannes / welche Er hatte über einen Bienen-Korb / aus welchen die jungen Bienen ausflogen Honig zusamlen / die Alten aber auch inwendig ihre Arbeit abwarteten; Er drückt dieselbe mit diesen Worten aus: At negotium seniorum intus. War unser Seel. Frau Pröbstinn nicht mehr vergönnet außer ihrem Hause das susse Honig des Göttl. Worts einzusamlen / so war Sie doch daheim damit beschäfftiget. Was das Ohr nicht mehr vermochte / das ersetzeten die Augen / Mund und Hertze / da Sie GOTT mit Lesen / Behten und Seufftzen dienete. Und von ihrer Geduld mag ich wol sagen / daß dieselbe mit dem Alter jünger worden. Anderer Ubungen der Geduld zu geschweigen / so forderte freylich Geduld ihr Wäysen-Stand / da Sie in einem Jahre Vatter und Mutter verlohren; Der Wittwen-Stand / darinn Sie im hohen Alter durch Verlust ihres lieben Ehe-Herrn gerahten / und das hohe Alter selbst muß ja wol eine schola patientiae genennet werden. Laß seyn / daß ein Georgius Leontinus, da er im 107den Jahre seines Al-
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Zitationshilfe: | Finen, Eberhard: Helmstädtsche Denk- und Dank-Reden. Helmstedt, 1702, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/finen_dankreden_1702/152>, abgerufen am 16.07.2024. |