daß der Mensch zeichnend, malend, bildend in mehr oder minder vollkommener Weise etwas hervorbringt, was aus¬ schließlich für die Wahrnehmung durch den Gesichtssinn bestimmt ist -- wie sollen wir diese sonderbare Thatsache deuten? Wohl pflegt man sich damit abzufinden, daß man diese Thätigkeit auf gewisse dem Menschen angeborene Triebe, wie Nachahmungstrieb oder Spieltrieb zurückführt; man übersieht aber dabei, daß man damit wohl eine Meinung darüber ausspricht, aus welchen Gründen und zu welchen Zwecken eine vorhandene Fähigkeit zur An¬ wendung kommen könne, daß man aber keineswegs damit erklärt, wieso es dem Menschen möglich sei, eine solche Thätigkeit überhaupt aus sich heraus zu entwickeln. Es handelt sich in der That nicht darum, wozu der Mensch die Fähigkeit anwendet, durch Geberden, durch die Mani¬ pulationen des Zeichnens und Bildens etwas nur um seiner Sichtbarkeit willen darzustellen. Das eigentliche Wunder, um das es sich handelt, besteht darin, daß der Mensch auf einem bestimmten Gebiet seiner sinnlichen Natur die Fähig¬ keit erlangt, in einem sinnlichen Material selbst zu einem Ausdruck zu gelangen.
Wie wenig man den eigentlich wichtigen Punkt trifft, indem man jene darstellenden Thätigkeiten auf das Bedürf¬ niß zurückführt, einen Trieb zu befriedigen, erhellt, wenn man sich fragt, warum denn derselbe Trieb nicht auch auf anderen Sinnesgebieten sich geltend macht. Man erkennt dann sofort, daß das, was auf dem Gebiete des Gesichts¬ sinnes möglich wird, auf einem Sinnesgebiete wie dem
daß der Menſch zeichnend, malend, bildend in mehr oder minder vollkommener Weiſe etwas hervorbringt, was aus¬ ſchließlich für die Wahrnehmung durch den Geſichtsſinn beſtimmt iſt — wie ſollen wir dieſe ſonderbare Thatſache deuten? Wohl pflegt man ſich damit abzufinden, daß man dieſe Thätigkeit auf gewiſſe dem Menſchen angeborene Triebe, wie Nachahmungstrieb oder Spieltrieb zurückführt; man überſieht aber dabei, daß man damit wohl eine Meinung darüber ausſpricht, aus welchen Gründen und zu welchen Zwecken eine vorhandene Fähigkeit zur An¬ wendung kommen könne, daß man aber keineswegs damit erklärt, wieſo es dem Menſchen möglich ſei, eine ſolche Thätigkeit überhaupt aus ſich heraus zu entwickeln. Es handelt ſich in der That nicht darum, wozu der Menſch die Fähigkeit anwendet, durch Geberden, durch die Mani¬ pulationen des Zeichnens und Bildens etwas nur um ſeiner Sichtbarkeit willen darzuſtellen. Das eigentliche Wunder, um das es ſich handelt, beſteht darin, daß der Menſch auf einem beſtimmten Gebiet ſeiner ſinnlichen Natur die Fähig¬ keit erlangt, in einem ſinnlichen Material ſelbſt zu einem Ausdruck zu gelangen.
Wie wenig man den eigentlich wichtigen Punkt trifft, indem man jene darſtellenden Thätigkeiten auf das Bedürf¬ niß zurückführt, einen Trieb zu befriedigen, erhellt, wenn man ſich fragt, warum denn derſelbe Trieb nicht auch auf anderen Sinnesgebieten ſich geltend macht. Man erkennt dann ſofort, daß das, was auf dem Gebiete des Geſichts¬ ſinnes möglich wird, auf einem Sinnesgebiete wie dem
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daß der Menſch zeichnend, malend, bildend in mehr oder
minder vollkommener Weiſe etwas hervorbringt, was aus¬
ſchließlich für die Wahrnehmung durch den Geſichtsſinn
beſtimmt iſt — wie ſollen wir dieſe ſonderbare Thatſache
deuten? Wohl pflegt man ſich damit abzufinden, daß man
dieſe Thätigkeit auf gewiſſe dem Menſchen angeborene
Triebe, wie Nachahmungstrieb oder Spieltrieb zurückführt;
man überſieht aber dabei, daß man damit wohl eine
Meinung darüber ausſpricht, aus welchen Gründen und
zu welchen Zwecken eine vorhandene Fähigkeit zur An¬
wendung kommen könne, daß man aber keineswegs damit
erklärt, wieſo es dem Menſchen möglich ſei, eine ſolche
Thätigkeit überhaupt aus ſich heraus zu entwickeln. Es
handelt ſich in der That nicht darum, wozu der Menſch
die Fähigkeit anwendet, durch Geberden, durch die Mani¬
pulationen des Zeichnens und Bildens etwas nur um ſeiner
Sichtbarkeit willen darzuſtellen. Das eigentliche Wunder,
um das es ſich handelt, beſteht darin, daß der Menſch auf
einem beſtimmten Gebiet ſeiner ſinnlichen Natur die Fähig¬
keit erlangt, in einem ſinnlichen Material ſelbſt zu einem
Ausdruck zu gelangen.
Wie wenig man den eigentlich wichtigen Punkt trifft,
indem man jene darſtellenden Thätigkeiten auf das Bedürf¬
niß zurückführt, einen Trieb zu befriedigen, erhellt, wenn
man ſich fragt, warum denn derſelbe Trieb nicht auch auf
anderen Sinnesgebieten ſich geltend macht. Man erkennt
dann ſofort, daß das, was auf dem Gebiete des Geſichts¬
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/92>, abgerufen am 16.07.2024.
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