chwächt und in unserem Bewußtsein zurückgedrängt er¬ scheint.
Es ist schon erwähnt, daß es sich in der Regel mit dem Wirklichkeitsmaterial, welches der Gesichtssinn liefert, nicht anders verhält. Auch hier erscheint uns ein Gegen¬ stand, der in seiner sprachlichen Form unserem Bewußtsein angehört, seiner sinnlichen Natur nach nicht als das vor¬ handene feste Vorstellungsgebilde, welches durch den sprach¬ lichen Ausdruck seine Bezeichnung fände, sondern in mehr oder minder unbestimmten und flüchtigen Empfindungs- und Wahrnehmungsvorgängen, die sich neben mancherlei anderen in der Associationssphäre der sprachlichen Wirk¬ lichkeit vorfinden. Der gewaltige Unterschied aber, der zwischen dem Tastsinn und dem Gesichtssinn besteht, der ungeheure Fortschritt, den das sinnliche Vermögen macht, indem es sich von dem Tastsinn zum Gesichtssinn ent¬ wickelt, liegt darin, daß hier die Möglichkeit erscheint, den sinnlichen Wirklichkeitsstoff zu einem Ausdruck seiner selbst zu entwickeln. Es ist, als ob das sinnliche Vermögen, welches als Tastsinn gleichsam noch in den Banden der Sprachlosigkeit befangen erscheint, da, wo es in der höheren Entwickelungsform des Gesichtssinns auftritt, die Fähigkeit erhalten habe, sich selbst auszusprechen.
Wie aber ist das möglich?
Wenn ein neuerer Sprachforscher sagt: "Es ist möglich, ohne Sprache zu sehen, wahrzunehmen, die Dinge anzustarren, über sie zu träumen; aber ohne Worte können selbst so einfache Vorstellungen wie weiß
chwächt und in unſerem Bewußtſein zurückgedrängt er¬ ſcheint.
Es iſt ſchon erwähnt, daß es ſich in der Regel mit dem Wirklichkeitsmaterial, welches der Geſichtsſinn liefert, nicht anders verhält. Auch hier erſcheint uns ein Gegen¬ ſtand, der in ſeiner ſprachlichen Form unſerem Bewußtſein angehört, ſeiner ſinnlichen Natur nach nicht als das vor¬ handene feſte Vorſtellungsgebilde, welches durch den ſprach¬ lichen Ausdruck ſeine Bezeichnung fände, ſondern in mehr oder minder unbeſtimmten und flüchtigen Empfindungs- und Wahrnehmungsvorgängen, die ſich neben mancherlei anderen in der Aſſociationsſphäre der ſprachlichen Wirk¬ lichkeit vorfinden. Der gewaltige Unterſchied aber, der zwiſchen dem Taſtſinn und dem Geſichtsſinn beſteht, der ungeheure Fortſchritt, den das ſinnliche Vermögen macht, indem es ſich von dem Taſtſinn zum Geſichtsſinn ent¬ wickelt, liegt darin, daß hier die Möglichkeit erſcheint, den ſinnlichen Wirklichkeitsſtoff zu einem Ausdruck ſeiner ſelbſt zu entwickeln. Es iſt, als ob das ſinnliche Vermögen, welches als Taſtſinn gleichſam noch in den Banden der Sprachloſigkeit befangen erſcheint, da, wo es in der höheren Entwickelungsform des Geſichtsſinns auftritt, die Fähigkeit erhalten habe, ſich ſelbſt auszuſprechen.
Wie aber iſt das möglich?
Wenn ein neuerer Sprachforſcher ſagt: „Es iſt möglich, ohne Sprache zu ſehen, wahrzunehmen, die Dinge anzuſtarren, über ſie zu träumen; aber ohne Worte können ſelbſt ſo einfache Vorſtellungen wie weiß
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chwächt und in unſerem Bewußtſein zurückgedrängt er¬
ſcheint.
Es iſt ſchon erwähnt, daß es ſich in der Regel mit
dem Wirklichkeitsmaterial, welches der Geſichtsſinn liefert,
nicht anders verhält. Auch hier erſcheint uns ein Gegen¬
ſtand, der in ſeiner ſprachlichen Form unſerem Bewußtſein
angehört, ſeiner ſinnlichen Natur nach nicht als das vor¬
handene feſte Vorſtellungsgebilde, welches durch den ſprach¬
lichen Ausdruck ſeine Bezeichnung fände, ſondern in mehr
oder minder unbeſtimmten und flüchtigen Empfindungs-
und Wahrnehmungsvorgängen, die ſich neben mancherlei
anderen in der Aſſociationsſphäre der ſprachlichen Wirk¬
lichkeit vorfinden. Der gewaltige Unterſchied aber, der
zwiſchen dem Taſtſinn und dem Geſichtsſinn beſteht, der
ungeheure Fortſchritt, den das ſinnliche Vermögen macht,
indem es ſich von dem Taſtſinn zum Geſichtsſinn ent¬
wickelt, liegt darin, daß hier die Möglichkeit erſcheint, den
ſinnlichen Wirklichkeitsſtoff zu einem Ausdruck ſeiner ſelbſt
zu entwickeln. Es iſt, als ob das ſinnliche Vermögen,
welches als Taſtſinn gleichſam noch in den Banden der
Sprachloſigkeit befangen erſcheint, da, wo es in der höheren
Entwickelungsform des Geſichtsſinns auftritt, die Fähigkeit
erhalten habe, ſich ſelbſt auszuſprechen.
Wie aber iſt das möglich?
Wenn ein neuerer Sprachforſcher ſagt: „Es iſt
möglich, ohne Sprache zu ſehen, wahrzunehmen, die
Dinge anzuſtarren, über ſie zu träumen; aber ohne
Worte können ſelbſt ſo einfache Vorſtellungen wie weiß
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/90>, abgerufen am 16.07.2024.
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