schließen, was nicht mehr dem Gebiet des Gesichtssinnes angehört. Wenn wir etwas mit dem Gesichtssinn wahr¬ nehmen und wissen, welche körperliche Form es hat, wie groß es ist, aus was es besteht, was es ist, welche Wir¬ kungen von ihm ausgehen u. s. w., kurz was man nur von einem Gegenstand wissen kann, so berechtigt uns das noch nicht zu der Meinung, daß wir wüßten, wie der Gegenstand aussieht. Ja wenn wir sein Aussehen be¬ schreiben und dadurch des Gesichtseindruckes uns so recht eigentlich bewußt zu werden meinen, unterliegen wir dennoch einer Täuschung; denn in demselben Augenblicke, in dem wir das Gesehene aussprechen, ist es nicht mehr ein Ge¬ sehenes; in dem sprachlichen Ausdruck führen wir etwas in das Bewußtsein ein, was nicht aus dem Stoff besteht, der durch die Gesichtsempfindung geliefert wird, und daher, anstatt der Entwickelung des Gesichtsbildes zu Gute zu kommen, dieselbe vielmehr unmöglich macht. Auch gleicht diese Art, sich von einem Gesichtseindruck Rechenschaft zu geben, einem Nothbehelf; sie stellt sich da ein, wo das sehende Bewußtsein unfähig ist, sich über sich selbst Rechen¬ schaft zu geben; wie wenig das Resultat dem vorgeblichen Zweck entspricht, kann Jeder erfahren, wenn er den Ver¬ such macht, von einem sprachlichen Ausdruck zu der sinn¬ lichen Wirklichkeit des Gesichtsbildes zurückzukehren.
Ist es also vergeblich, für das sichtbare Bild der Dinge eine gestaltende Macht von sinnlichen Fähigkeiten zu erwarten, auf denen die Wahrnehmung anderweitiger sinnlicher Beschaffenheit beruht, ist es ebenso vergeblich,
ſchließen, was nicht mehr dem Gebiet des Geſichtsſinnes angehört. Wenn wir etwas mit dem Geſichtsſinn wahr¬ nehmen und wiſſen, welche körperliche Form es hat, wie groß es iſt, aus was es beſteht, was es iſt, welche Wir¬ kungen von ihm ausgehen u. ſ. w., kurz was man nur von einem Gegenſtand wiſſen kann, ſo berechtigt uns das noch nicht zu der Meinung, daß wir wüßten, wie der Gegenſtand ausſieht. Ja wenn wir ſein Ausſehen be¬ ſchreiben und dadurch des Geſichtseindruckes uns ſo recht eigentlich bewußt zu werden meinen, unterliegen wir dennoch einer Täuſchung; denn in demſelben Augenblicke, in dem wir das Geſehene ausſprechen, iſt es nicht mehr ein Ge¬ ſehenes; in dem ſprachlichen Ausdruck führen wir etwas in das Bewußtſein ein, was nicht aus dem Stoff beſteht, der durch die Geſichtsempfindung geliefert wird, und daher, anſtatt der Entwickelung des Geſichtsbildes zu Gute zu kommen, dieſelbe vielmehr unmöglich macht. Auch gleicht dieſe Art, ſich von einem Geſichtseindruck Rechenſchaft zu geben, einem Nothbehelf; ſie ſtellt ſich da ein, wo das ſehende Bewußtſein unfähig iſt, ſich über ſich ſelbſt Rechen¬ ſchaft zu geben; wie wenig das Reſultat dem vorgeblichen Zweck entſpricht, kann Jeder erfahren, wenn er den Ver¬ ſuch macht, von einem ſprachlichen Ausdruck zu der ſinn¬ lichen Wirklichkeit des Geſichtsbildes zurückzukehren.
Iſt es alſo vergeblich, für das ſichtbare Bild der Dinge eine geſtaltende Macht von ſinnlichen Fähigkeiten zu erwarten, auf denen die Wahrnehmung anderweitiger ſinnlicher Beſchaffenheit beruht, iſt es ebenſo vergeblich,
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ſchließen, was nicht mehr dem Gebiet des Geſichtsſinnes
angehört. Wenn wir etwas mit dem Geſichtsſinn wahr¬
nehmen und wiſſen, welche körperliche Form es hat, wie
groß es iſt, aus was es beſteht, was es iſt, welche Wir¬
kungen von ihm ausgehen u. ſ. w., kurz was man nur
von einem Gegenſtand wiſſen kann, ſo berechtigt uns das
noch nicht zu der Meinung, daß wir wüßten, wie der
Gegenſtand ausſieht. Ja wenn wir ſein Ausſehen be¬
ſchreiben und dadurch des Geſichtseindruckes uns ſo recht
eigentlich bewußt zu werden meinen, unterliegen wir dennoch
einer Täuſchung; denn in demſelben Augenblicke, in dem
wir das Geſehene ausſprechen, iſt es nicht mehr ein Ge¬
ſehenes; in dem ſprachlichen Ausdruck führen wir etwas
in das Bewußtſein ein, was nicht aus dem Stoff beſteht,
der durch die Geſichtsempfindung geliefert wird, und daher,
anſtatt der Entwickelung des Geſichtsbildes zu Gute zu
kommen, dieſelbe vielmehr unmöglich macht. Auch gleicht
dieſe Art, ſich von einem Geſichtseindruck Rechenſchaft zu
geben, einem Nothbehelf; ſie ſtellt ſich da ein, wo das
ſehende Bewußtſein unfähig iſt, ſich über ſich ſelbſt Rechen¬
ſchaft zu geben; wie wenig das Reſultat dem vorgeblichen
Zweck entſpricht, kann Jeder erfahren, wenn er den Ver¬
ſuch macht, von einem ſprachlichen Ausdruck zu der ſinn¬
lichen Wirklichkeit des Geſichtsbildes zurückzukehren.
Iſt es alſo vergeblich, für das ſichtbare Bild der
Dinge eine geſtaltende Macht von ſinnlichen Fähigkeiten
zu erwarten, auf denen die Wahrnehmung anderweitiger
ſinnlicher Beſchaffenheit beruht, iſt es ebenſo vergeblich,
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/81>, abgerufen am 16.07.2024.
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