Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

nachweisen können, in der sich jenes vorausgesetzte, aller
sinnlichen Specialisirung zu Grunde liegende, selbst noch
nicht specialisirte Sein darstellte. Wir mögen noch so tief
in die Gründe hinabzudringen suchen, aus denen sich die
Mannichfaltigkeit unseres Wirklichkeitsbewußtseins wie aus
einem gemeinsamen Ursprung entwickelt -- was wir über¬
haupt noch wahrnehmen können, sind schon specialisirte
Formen und jenseits derselben liegt überhaupt nichts Wahr¬
nehmbares mehr, sondern mit einer Verdunkelung des Be¬
wußtseins das Ende aller Wahrnehmung. Von dem Sein
eines Gegenstandes in dem Sinne einer sinnlichen Einheit¬
lichkeit und Gesammtheit könnte also offenbar nur für
Organismen die Rede sein, die auf einer sehr tiefen Ent¬
wickelungsstufe verharren: wo sich die ersten Anfänge sinn¬
licher Empfindung nachweisen lassen, da mag man voraus¬
setzen, daß das gesammte Sein eines Gegenstandes an ein
einziges Bewußtseinsmaterial gebunden ist. Schon wo zu
der Empfindung des Widerstandes die ersten Spuren der
Lichtempfindung treten, fällt die Möglichkeit eines einheit¬
lichen Seins weg und es tritt eine Vervielfachung ein,
die niemals wieder zu einer Einheit werden kann. Zu
je höheren Formen sich die Organismen entwickeln, desto
mehr differenzirt sich die sinnliche Empfindung und mit
ihr das Bewußtseinsmaterial, in welchem sich das Sein
darstellt. Wir könnten meinen, eine einheitliche Zusammen¬
fassung des Seins müsse wenigstens dem Menschen, als
dem höchst organisirten Wesen möglich sein, da er sonst
Begriffe wie Wirklichkeit, Sein gar nicht würde bilden

nachweiſen können, in der ſich jenes vorausgeſetzte, aller
ſinnlichen Specialiſirung zu Grunde liegende, ſelbſt noch
nicht ſpecialiſirte Sein darſtellte. Wir mögen noch ſo tief
in die Gründe hinabzudringen ſuchen, aus denen ſich die
Mannichfaltigkeit unſeres Wirklichkeitsbewußtſeins wie aus
einem gemeinſamen Urſprung entwickelt — was wir über¬
haupt noch wahrnehmen können, ſind ſchon ſpecialiſirte
Formen und jenſeits derſelben liegt überhaupt nichts Wahr¬
nehmbares mehr, ſondern mit einer Verdunkelung des Be¬
wußtſeins das Ende aller Wahrnehmung. Von dem Sein
eines Gegenſtandes in dem Sinne einer ſinnlichen Einheit¬
lichkeit und Geſammtheit könnte alſo offenbar nur für
Organismen die Rede ſein, die auf einer ſehr tiefen Ent¬
wickelungsſtufe verharren: wo ſich die erſten Anfänge ſinn¬
licher Empfindung nachweiſen laſſen, da mag man voraus¬
ſetzen, daß das geſammte Sein eines Gegenſtandes an ein
einziges Bewußtſeinsmaterial gebunden iſt. Schon wo zu
der Empfindung des Widerſtandes die erſten Spuren der
Lichtempfindung treten, fällt die Möglichkeit eines einheit¬
lichen Seins weg und es tritt eine Vervielfachung ein,
die niemals wieder zu einer Einheit werden kann. Zu
je höheren Formen ſich die Organismen entwickeln, deſto
mehr differenzirt ſich die ſinnliche Empfindung und mit
ihr das Bewußtſeinsmaterial, in welchem ſich das Sein
darſtellt. Wir könnten meinen, eine einheitliche Zuſammen¬
faſſung des Seins müſſe wenigſtens dem Menſchen, als
dem höchſt organiſirten Weſen möglich ſein, da er ſonſt
Begriffe wie Wirklichkeit, Sein gar nicht würde bilden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0060" n="48"/>
nachwei&#x017F;en können, in der &#x017F;ich jenes vorausge&#x017F;etzte, aller<lb/>
&#x017F;innlichen Speciali&#x017F;irung zu Grunde liegende, &#x017F;elb&#x017F;t noch<lb/>
nicht &#x017F;peciali&#x017F;irte Sein dar&#x017F;tellte. Wir mögen noch &#x017F;o tief<lb/>
in die Gründe hinabzudringen &#x017F;uchen, aus denen &#x017F;ich die<lb/>
Mannichfaltigkeit un&#x017F;eres Wirklichkeitsbewußt&#x017F;eins wie aus<lb/>
einem gemein&#x017F;amen Ur&#x017F;prung entwickelt &#x2014; was wir über¬<lb/>
haupt noch wahrnehmen können, &#x017F;ind &#x017F;chon &#x017F;peciali&#x017F;irte<lb/>
Formen und jen&#x017F;eits der&#x017F;elben liegt überhaupt nichts Wahr¬<lb/>
nehmbares mehr, &#x017F;ondern mit einer Verdunkelung des Be¬<lb/>
wußt&#x017F;eins das Ende aller Wahrnehmung. Von dem Sein<lb/>
eines Gegen&#x017F;tandes in dem Sinne einer &#x017F;innlichen Einheit¬<lb/>
lichkeit und Ge&#x017F;ammtheit könnte al&#x017F;o offenbar nur für<lb/>
Organismen die Rede &#x017F;ein, die auf einer &#x017F;ehr tiefen Ent¬<lb/>
wickelungs&#x017F;tufe verharren: wo &#x017F;ich die er&#x017F;ten Anfänge &#x017F;inn¬<lb/>
licher Empfindung nachwei&#x017F;en la&#x017F;&#x017F;en, da mag man voraus¬<lb/>
&#x017F;etzen, daß das ge&#x017F;ammte Sein eines Gegen&#x017F;tandes an ein<lb/>
einziges Bewußt&#x017F;einsmaterial gebunden i&#x017F;t. Schon wo zu<lb/>
der Empfindung des Wider&#x017F;tandes die er&#x017F;ten Spuren der<lb/>
Lichtempfindung treten, fällt die Möglichkeit eines einheit¬<lb/>
lichen Seins weg und es tritt eine Vervielfachung ein,<lb/>
die niemals wieder zu einer Einheit werden kann. Zu<lb/>
je höheren Formen &#x017F;ich die Organismen entwickeln, de&#x017F;to<lb/>
mehr differenzirt &#x017F;ich die &#x017F;innliche Empfindung und mit<lb/>
ihr das Bewußt&#x017F;einsmaterial, in welchem &#x017F;ich das Sein<lb/>
dar&#x017F;tellt. Wir könnten meinen, eine einheitliche Zu&#x017F;ammen¬<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung des Seins mü&#x017F;&#x017F;e wenig&#x017F;tens dem Men&#x017F;chen, als<lb/>
dem höch&#x017F;t organi&#x017F;irten We&#x017F;en möglich &#x017F;ein, da er &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Begriffe wie Wirklichkeit, Sein gar nicht würde bilden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0060] nachweiſen können, in der ſich jenes vorausgeſetzte, aller ſinnlichen Specialiſirung zu Grunde liegende, ſelbſt noch nicht ſpecialiſirte Sein darſtellte. Wir mögen noch ſo tief in die Gründe hinabzudringen ſuchen, aus denen ſich die Mannichfaltigkeit unſeres Wirklichkeitsbewußtſeins wie aus einem gemeinſamen Urſprung entwickelt — was wir über¬ haupt noch wahrnehmen können, ſind ſchon ſpecialiſirte Formen und jenſeits derſelben liegt überhaupt nichts Wahr¬ nehmbares mehr, ſondern mit einer Verdunkelung des Be¬ wußtſeins das Ende aller Wahrnehmung. Von dem Sein eines Gegenſtandes in dem Sinne einer ſinnlichen Einheit¬ lichkeit und Geſammtheit könnte alſo offenbar nur für Organismen die Rede ſein, die auf einer ſehr tiefen Ent¬ wickelungsſtufe verharren: wo ſich die erſten Anfänge ſinn¬ licher Empfindung nachweiſen laſſen, da mag man voraus¬ ſetzen, daß das geſammte Sein eines Gegenſtandes an ein einziges Bewußtſeinsmaterial gebunden iſt. Schon wo zu der Empfindung des Widerſtandes die erſten Spuren der Lichtempfindung treten, fällt die Möglichkeit eines einheit¬ lichen Seins weg und es tritt eine Vervielfachung ein, die niemals wieder zu einer Einheit werden kann. Zu je höheren Formen ſich die Organismen entwickeln, deſto mehr differenzirt ſich die ſinnliche Empfindung und mit ihr das Bewußtſeinsmaterial, in welchem ſich das Sein darſtellt. Wir könnten meinen, eine einheitliche Zuſammen¬ faſſung des Seins müſſe wenigſtens dem Menſchen, als dem höchſt organiſirten Weſen möglich ſein, da er ſonſt Begriffe wie Wirklichkeit, Sein gar nicht würde bilden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/60
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/60>, abgerufen am 22.11.2024.