Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

die physiologische Psychologie diese Probleme; die Einblicke,
die man ihr in die Vorgänge verdankt, in denen das
Wahrnehmungs- und Vorstellungsleben auf den verschiedenen
Sinnesgebieten besteht, sind nicht hoch genug anzuschlagen.
Die Voraussetzung aber ist für die neue Methode keine
andere, als sie für die alte war. Die Vorstellungen von
den Dingen der Außenwelt sind gegebene Größen; indem
man ihre Entstehung und Entwickelung auf dem Boden
der sinnlich-geistigen Natur des Menschen zu verfolgen und
aufzuhellen bemüht ist, zweifelt man nicht daran, daß man
in ihnen ein bestimmtes in sich abgeschlossenes Gebiet des
inneren Lebens vor sich habe. Man belehrt denjenigen,
der in den Vorstellungen gleichsam nur das geistige Spiegel¬
bild eines sinnlich Vorhandenen sieht, über die unendliche
Complication psychophysischer Vorgänge, auf denen die
Gestaltung einer Vorstellung beruht, aber man unterscheidet
sich insofern nicht von ihm, als man so gut wie er in der
vorhandenen Vorstellungswelt diejenige Form des Wirk¬
lichkeitsbewußtseins sieht, welche das gegebene unveränder¬
liche Material für die höheren geistigen Operationen bildet.

Es liegt hier ein Mißverständniß des wirklichen Sach¬
verhalts vor, welches nicht weniger verhängnißvoll ist, als
das Mißverständniß, welches der naiv-realistischen Meinung
zu Grunde liegt. Und zudem ist es schwerer, dieses zweite
Mißverständniß zu zerstören, als jenes erste. Es erscheint
so consequent, an die Stelle der Dinge, die uns nur in
unseren Vorstellungen bekannt werden können, eben die
Vorstellungen von den Dingen zu setzen, und das Object

die phyſiologiſche Pſychologie dieſe Probleme; die Einblicke,
die man ihr in die Vorgänge verdankt, in denen das
Wahrnehmungs- und Vorſtellungsleben auf den verſchiedenen
Sinnesgebieten beſteht, ſind nicht hoch genug anzuſchlagen.
Die Vorausſetzung aber iſt für die neue Methode keine
andere, als ſie für die alte war. Die Vorſtellungen von
den Dingen der Außenwelt ſind gegebene Größen; indem
man ihre Entſtehung und Entwickelung auf dem Boden
der ſinnlich-geiſtigen Natur des Menſchen zu verfolgen und
aufzuhellen bemüht iſt, zweifelt man nicht daran, daß man
in ihnen ein beſtimmtes in ſich abgeſchloſſenes Gebiet des
inneren Lebens vor ſich habe. Man belehrt denjenigen,
der in den Vorſtellungen gleichſam nur das geiſtige Spiegel¬
bild eines ſinnlich Vorhandenen ſieht, über die unendliche
Complication pſychophyſiſcher Vorgänge, auf denen die
Geſtaltung einer Vorſtellung beruht, aber man unterſcheidet
ſich inſofern nicht von ihm, als man ſo gut wie er in der
vorhandenen Vorſtellungswelt diejenige Form des Wirk¬
lichkeitsbewußtſeins ſieht, welche das gegebene unveränder¬
liche Material für die höheren geiſtigen Operationen bildet.

Es liegt hier ein Mißverſtändniß des wirklichen Sach¬
verhalts vor, welches nicht weniger verhängnißvoll iſt, als
das Mißverſtändniß, welches der naiv-realiſtiſchen Meinung
zu Grunde liegt. Und zudem iſt es ſchwerer, dieſes zweite
Mißverſtändniß zu zerſtören, als jenes erſte. Es erſcheint
ſo conſequent, an die Stelle der Dinge, die uns nur in
unſeren Vorſtellungen bekannt werden können, eben die
Vorſtellungen von den Dingen zu ſetzen, und das Object

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="31"/>
die phy&#x017F;iologi&#x017F;che P&#x017F;ychologie die&#x017F;e Probleme; die Einblicke,<lb/>
die man ihr in die Vorgänge verdankt, in denen das<lb/>
Wahrnehmungs- und Vor&#x017F;tellungsleben auf den ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Sinnesgebieten be&#x017F;teht, &#x017F;ind nicht hoch genug anzu&#x017F;chlagen.<lb/>
Die Voraus&#x017F;etzung aber i&#x017F;t für die neue Methode keine<lb/>
andere, als &#x017F;ie für die alte war. Die Vor&#x017F;tellungen von<lb/>
den Dingen der Außenwelt &#x017F;ind gegebene Größen; indem<lb/>
man ihre Ent&#x017F;tehung und Entwickelung auf dem Boden<lb/>
der &#x017F;innlich-gei&#x017F;tigen Natur des Men&#x017F;chen zu verfolgen und<lb/>
aufzuhellen bemüht i&#x017F;t, zweifelt man nicht daran, daß man<lb/>
in ihnen ein be&#x017F;timmtes in &#x017F;ich abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enes Gebiet des<lb/>
inneren Lebens vor &#x017F;ich habe. Man belehrt denjenigen,<lb/>
der in den Vor&#x017F;tellungen gleich&#x017F;am nur das gei&#x017F;tige Spiegel¬<lb/>
bild eines &#x017F;innlich Vorhandenen &#x017F;ieht, über die unendliche<lb/>
Complication p&#x017F;ychophy&#x017F;i&#x017F;cher Vorgänge, auf denen die<lb/>
Ge&#x017F;taltung einer Vor&#x017F;tellung beruht, aber man unter&#x017F;cheidet<lb/>
&#x017F;ich in&#x017F;ofern nicht von ihm, als man &#x017F;o gut wie er in der<lb/>
vorhandenen Vor&#x017F;tellungswelt diejenige Form des Wirk¬<lb/>
lichkeitsbewußt&#x017F;eins &#x017F;ieht, welche das gegebene unveränder¬<lb/>
liche Material für die höheren gei&#x017F;tigen Operationen bildet.</p><lb/>
        <p>Es liegt hier ein Mißver&#x017F;tändniß des wirklichen Sach¬<lb/>
verhalts vor, welches nicht weniger verhängnißvoll i&#x017F;t, als<lb/>
das Mißver&#x017F;tändniß, welches der naiv-reali&#x017F;ti&#x017F;chen Meinung<lb/>
zu Grunde liegt. Und zudem i&#x017F;t es &#x017F;chwerer, die&#x017F;es zweite<lb/>
Mißver&#x017F;tändniß zu zer&#x017F;tören, als jenes er&#x017F;te. Es er&#x017F;cheint<lb/>
&#x017F;o con&#x017F;equent, an die Stelle der Dinge, die uns nur in<lb/>
un&#x017F;eren Vor&#x017F;tellungen bekannt werden können, eben die<lb/>
Vor&#x017F;tellungen von den Dingen zu &#x017F;etzen, und das Object<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0043] die phyſiologiſche Pſychologie dieſe Probleme; die Einblicke, die man ihr in die Vorgänge verdankt, in denen das Wahrnehmungs- und Vorſtellungsleben auf den verſchiedenen Sinnesgebieten beſteht, ſind nicht hoch genug anzuſchlagen. Die Vorausſetzung aber iſt für die neue Methode keine andere, als ſie für die alte war. Die Vorſtellungen von den Dingen der Außenwelt ſind gegebene Größen; indem man ihre Entſtehung und Entwickelung auf dem Boden der ſinnlich-geiſtigen Natur des Menſchen zu verfolgen und aufzuhellen bemüht iſt, zweifelt man nicht daran, daß man in ihnen ein beſtimmtes in ſich abgeſchloſſenes Gebiet des inneren Lebens vor ſich habe. Man belehrt denjenigen, der in den Vorſtellungen gleichſam nur das geiſtige Spiegel¬ bild eines ſinnlich Vorhandenen ſieht, über die unendliche Complication pſychophyſiſcher Vorgänge, auf denen die Geſtaltung einer Vorſtellung beruht, aber man unterſcheidet ſich inſofern nicht von ihm, als man ſo gut wie er in der vorhandenen Vorſtellungswelt diejenige Form des Wirk¬ lichkeitsbewußtſeins ſieht, welche das gegebene unveränder¬ liche Material für die höheren geiſtigen Operationen bildet. Es liegt hier ein Mißverſtändniß des wirklichen Sach¬ verhalts vor, welches nicht weniger verhängnißvoll iſt, als das Mißverſtändniß, welches der naiv-realiſtiſchen Meinung zu Grunde liegt. Und zudem iſt es ſchwerer, dieſes zweite Mißverſtändniß zu zerſtören, als jenes erſte. Es erſcheint ſo conſequent, an die Stelle der Dinge, die uns nur in unſeren Vorſtellungen bekannt werden können, eben die Vorſtellungen von den Dingen zu ſetzen, und das Object

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/43
Zitationshilfe: Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/43>, abgerufen am 18.12.2024.