Die Voraussetzung für diese Anschauung liegt darin, daß an Stelle des Glaubens an eine von aller Vorstellung unabhängige Außenwelt der andere Glaube an eine gegebene Vorstellungswelt getreten ist. Dieser Glaube beherrscht in der That die allgemeine Denkweise. Bei ihm bleibt der¬ jenige stehen, der sich aus dem Bann naiv-realistischer An¬ schauungsweise freigemacht hat. Zweifellos kann der ge¬ sammte geistige Zustand -- und dieses Wunder vollzieht sich tagtäglich, heute wie immer -- keine größere Um¬ wandlung erfahren, als diejenige, welche sich durch die Zerstörung der realen Gewißheit der gegebenen Wirklich¬ keit vollzieht. Die Stellung des Menschen innerhalb der Welt erscheint damit gänzlich verändert. Seine anscheinend passive Rolle hat sich in Wahrheit als eine active enthüllt; wenn er sich sonst beruhigt dem Bewußtsein überlassen konnte, daß er mit seinem Geiste außerhalb der realen Welt, ihr gegenüber stehe, so muß er sich nunmehr einge¬ stehen, daß er selbst als ein empfindendes, denkendes Wesen zum Mindesten eine Mitbedingung alles dessen ist, was ihm als Wirklichkeit erscheint. Einestheils steigt er da¬ durch von seinem erhabenen, außerweltlichen Standpunkte herab, anderentheils erscheint er in einer neuen, höheren Bedeutung. Es kann ihn mit Stolz erfüllen, daß ohne ihn diese ganze ungeheure Wirklichkeitserscheinung nicht als vorhanden gedacht werden kann, und zugleich kann ihn eine Art Grauen überkommen, wenn er sich lebhaft ver¬ gegenwärtigt, daß es sein eigenes kleines Dasein ist, auf welches das Dasein eines so Unermeßlichen gestellt ist.
Die Vorausſetzung für dieſe Anſchauung liegt darin, daß an Stelle des Glaubens an eine von aller Vorſtellung unabhängige Außenwelt der andere Glaube an eine gegebene Vorſtellungswelt getreten iſt. Dieſer Glaube beherrſcht in der That die allgemeine Denkweiſe. Bei ihm bleibt der¬ jenige ſtehen, der ſich aus dem Bann naiv-realiſtiſcher An¬ ſchauungsweiſe freigemacht hat. Zweifellos kann der ge¬ ſammte geiſtige Zuſtand — und dieſes Wunder vollzieht ſich tagtäglich, heute wie immer — keine größere Um¬ wandlung erfahren, als diejenige, welche ſich durch die Zerſtörung der realen Gewißheit der gegebenen Wirklich¬ keit vollzieht. Die Stellung des Menſchen innerhalb der Welt erſcheint damit gänzlich verändert. Seine anſcheinend paſſive Rolle hat ſich in Wahrheit als eine active enthüllt; wenn er ſich ſonſt beruhigt dem Bewußtſein überlaſſen konnte, daß er mit ſeinem Geiſte außerhalb der realen Welt, ihr gegenüber ſtehe, ſo muß er ſich nunmehr einge¬ ſtehen, daß er ſelbſt als ein empfindendes, denkendes Weſen zum Mindeſten eine Mitbedingung alles deſſen iſt, was ihm als Wirklichkeit erſcheint. Einestheils ſteigt er da¬ durch von ſeinem erhabenen, außerweltlichen Standpunkte herab, anderentheils erſcheint er in einer neuen, höheren Bedeutung. Es kann ihn mit Stolz erfüllen, daß ohne ihn dieſe ganze ungeheure Wirklichkeitserſcheinung nicht als vorhanden gedacht werden kann, und zugleich kann ihn eine Art Grauen überkommen, wenn er ſich lebhaft ver¬ gegenwärtigt, daß es ſein eigenes kleines Daſein iſt, auf welches das Daſein eines ſo Unermeßlichen geſtellt iſt.
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Die Vorausſetzung für dieſe Anſchauung liegt darin,
daß an Stelle des Glaubens an eine von aller Vorſtellung
unabhängige Außenwelt der andere Glaube an eine gegebene
Vorſtellungswelt getreten iſt. Dieſer Glaube beherrſcht in
der That die allgemeine Denkweiſe. Bei ihm bleibt der¬
jenige ſtehen, der ſich aus dem Bann naiv-realiſtiſcher An¬
ſchauungsweiſe freigemacht hat. Zweifellos kann der ge¬
ſammte geiſtige Zuſtand — und dieſes Wunder vollzieht
ſich tagtäglich, heute wie immer — keine größere Um¬
wandlung erfahren, als diejenige, welche ſich durch die
Zerſtörung der realen Gewißheit der gegebenen Wirklich¬
keit vollzieht. Die Stellung des Menſchen innerhalb der
Welt erſcheint damit gänzlich verändert. Seine anſcheinend
paſſive Rolle hat ſich in Wahrheit als eine active enthüllt;
wenn er ſich ſonſt beruhigt dem Bewußtſein überlaſſen
konnte, daß er mit ſeinem Geiſte außerhalb der realen
Welt, ihr gegenüber ſtehe, ſo muß er ſich nunmehr einge¬
ſtehen, daß er ſelbſt als ein empfindendes, denkendes Weſen
zum Mindeſten eine Mitbedingung alles deſſen iſt, was
ihm als Wirklichkeit erſcheint. Einestheils ſteigt er da¬
durch von ſeinem erhabenen, außerweltlichen Standpunkte
herab, anderentheils erſcheint er in einer neuen, höheren
Bedeutung. Es kann ihn mit Stolz erfüllen, daß ohne
ihn dieſe ganze ungeheure Wirklichkeitserſcheinung nicht
als vorhanden gedacht werden kann, und zugleich kann ihn
eine Art Grauen überkommen, wenn er ſich lebhaft ver¬
gegenwärtigt, daß es ſein eigenes kleines Daſein iſt, auf
welches das Daſein eines ſo Unermeßlichen geſtellt iſt.
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/38>, abgerufen am 16.07.2024.
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