z. B. eine Farbenempfindung hat als solche mit ihrer sprach¬ lichen Bezeichnung nicht die geringste Verwandtschaft. Be¬ nenne ich eine Empfindung, so habe ich zweierlei in meinem Bewußtsein: die Bezeichnung als das feste, geformte Ge¬ bilde, welche sich dem Stoff des Denkens und Wissens einordnet, und die thatsächliche Empfindung selbst, welche an und für sich durch die Thatsache der Bezeichnung gar nicht berührt wird. Trotzdem die Empfindung vermittelst der sprachlichen Bezeichnung zu einem Gegenstand der Er¬ kenntniß wird, so bleibt sie doch ihrem eigentlichen Stoff nach das, was sie vor aller sprachlichen Bezeichnung war. Indem man begreift, daß es die Sprache ist, welche das Denken ermöglicht und dadurch dem Menschen zur geistigen Herrschaft über das Vorhandene verhilft, während das thierische Bewußtsein an das wechselnde Spiel flüchtiger, unklarer Empfindungen und Vorstellungen hingegeben er¬ scheint, übersieht man leicht, daß auch im geistigen Leben des Menschen trotz der theoretischen Entwickelung, die es erfährt, der Stoff aller Wirklichkeit in seinem form- und haltlosen Zustand verharrt, und in demselben trotz aller Sprache und discursiven Erkenntniß verharren würde, wenn dem Menschen nicht außer der Sprache noch andere Mittel zu Gebote stünden, um zur geistigen Herrschaft über die Welt des Seienden zu gelangen. So muß sich ein auf¬ richtiges Nachdenken bekennen, daß der menschliche Geist, um zu dem zu gelangen, was er Erkenntniß der Welt nennt, sich erst Worte, sich Begriffe schaffen muß, daß er, wenn er die Welt des Seienden vor seinem erkennenden
z. B. eine Farbenempfindung hat als ſolche mit ihrer ſprach¬ lichen Bezeichnung nicht die geringſte Verwandtſchaft. Be¬ nenne ich eine Empfindung, ſo habe ich zweierlei in meinem Bewußtſein: die Bezeichnung als das feſte, geformte Ge¬ bilde, welche ſich dem Stoff des Denkens und Wiſſens einordnet, und die thatſächliche Empfindung ſelbſt, welche an und für ſich durch die Thatſache der Bezeichnung gar nicht berührt wird. Trotzdem die Empfindung vermittelſt der ſprachlichen Bezeichnung zu einem Gegenſtand der Er¬ kenntniß wird, ſo bleibt ſie doch ihrem eigentlichen Stoff nach das, was ſie vor aller ſprachlichen Bezeichnung war. Indem man begreift, daß es die Sprache iſt, welche das Denken ermöglicht und dadurch dem Menſchen zur geiſtigen Herrſchaft über das Vorhandene verhilft, während das thieriſche Bewußtſein an das wechſelnde Spiel flüchtiger, unklarer Empfindungen und Vorſtellungen hingegeben er¬ ſcheint, überſieht man leicht, daß auch im geiſtigen Leben des Menſchen trotz der theoretiſchen Entwickelung, die es erfährt, der Stoff aller Wirklichkeit in ſeinem form- und haltloſen Zuſtand verharrt, und in demſelben trotz aller Sprache und discurſiven Erkenntniß verharren würde, wenn dem Menſchen nicht außer der Sprache noch andere Mittel zu Gebote ſtünden, um zur geiſtigen Herrſchaft über die Welt des Seienden zu gelangen. So muß ſich ein auf¬ richtiges Nachdenken bekennen, daß der menſchliche Geiſt, um zu dem zu gelangen, was er Erkenntniß der Welt nennt, ſich erſt Worte, ſich Begriffe ſchaffen muß, daß er, wenn er die Welt des Seienden vor ſeinem erkennenden
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z. B. eine Farbenempfindung hat als ſolche mit ihrer ſprach¬
lichen Bezeichnung nicht die geringſte Verwandtſchaft. Be¬
nenne ich eine Empfindung, ſo habe ich zweierlei in meinem
Bewußtſein: die Bezeichnung als das feſte, geformte Ge¬
bilde, welche ſich dem Stoff des Denkens und Wiſſens
einordnet, und die thatſächliche Empfindung ſelbſt, welche
an und für ſich durch die Thatſache der Bezeichnung gar
nicht berührt wird. Trotzdem die Empfindung vermittelſt
der ſprachlichen Bezeichnung zu einem Gegenſtand der Er¬
kenntniß wird, ſo bleibt ſie doch ihrem eigentlichen Stoff
nach das, was ſie vor aller ſprachlichen Bezeichnung war.
Indem man begreift, daß es die Sprache iſt, welche das
Denken ermöglicht und dadurch dem Menſchen zur geiſtigen
Herrſchaft über das Vorhandene verhilft, während das
thieriſche Bewußtſein an das wechſelnde Spiel flüchtiger,
unklarer Empfindungen und Vorſtellungen hingegeben er¬
ſcheint, überſieht man leicht, daß auch im geiſtigen Leben
des Menſchen trotz der theoretiſchen Entwickelung, die es
erfährt, der Stoff aller Wirklichkeit in ſeinem form- und
haltloſen Zuſtand verharrt, und in demſelben trotz aller
Sprache und discurſiven Erkenntniß verharren würde, wenn
dem Menſchen nicht außer der Sprache noch andere Mittel
zu Gebote ſtünden, um zur geiſtigen Herrſchaft über die
Welt des Seienden zu gelangen. So muß ſich ein auf¬
richtiges Nachdenken bekennen, daß der menſchliche Geiſt,
um zu dem zu gelangen, was er Erkenntniß der Welt
nennt, ſich erſt Worte, ſich Begriffe ſchaffen muß, daß er,
wenn er die Welt des Seienden vor ſeinem erkennenden
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/28>, abgerufen am 16.07.2024.
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