in ihm vorgeht, seinen Ursprung in der Betrachtung des Werkes hat. Aus dem dauernden Anblick desselben ent¬ wickelt sich eine ganze Welt in ihm; alle Forderungen, die die Fähigkeiten seiner Natur stellen, finden hier ihre zeit¬ weilige Befriedigung. Von dem Werke geht, sich immer er¬ neuernd, das Wohlbehagen aus, welches aus dem Reiz des unmittelbaren Anblicks entspringt; aus der nächsten Deutung, die der denkende Geist dem Dargestellten giebt, entfalten sich Beziehungen auf Beziehungen, und die ursprünglich begrenzte Bedeutung erscheint ins Unendliche erweitert. Das Be¬ dürfniß, die Tiefe des Gefühls, die Kraft der Leidenschaft dem zu leihen, was vor das Bewußtsein tritt, vereinigt wie in einem homogenen Elemente alle die Anregungen, die von dem Kunstwerke ausgehen, und indem die Wirkung des Gesehenen auf das Gemüthsleben sich steigert, scheint erst der ganze unbegrenzte Gehalt, der aus dem Werke dem menschlichen Bewußtsein zufließt, seine wahre Bedeu¬ tung und seinen maßgebenden Werth für den Menschen zu erhalten. Es ist ein extensives und intensives Sich¬ aneignen, welches einer unbegrenzten Steigerung fähig er¬ scheint, und wodurch allein es möglich wird, daß ein in so engen Grenzen eingeschlossenes Ding, wie das Kunst¬ werk thatsächlich ist, seine Macht über die ganze innere Welt des Menschen ausdehnen kann. Die höchsten Bei¬ spiele solcher Wirkungen wird man immer auf dem Gebiete der religiösen Kunst finden. Hier vereinigt sich mit der sinnlichen Macht, die das sichtbar uns Entgegentretende ausübt, diejenige geistige Macht, der keine andere an Tiefe
in ihm vorgeht, ſeinen Urſprung in der Betrachtung des Werkes hat. Aus dem dauernden Anblick desſelben ent¬ wickelt ſich eine ganze Welt in ihm; alle Forderungen, die die Fähigkeiten ſeiner Natur ſtellen, finden hier ihre zeit¬ weilige Befriedigung. Von dem Werke geht, ſich immer er¬ neuernd, das Wohlbehagen aus, welches aus dem Reiz des unmittelbaren Anblicks entſpringt; aus der nächſten Deutung, die der denkende Geiſt dem Dargeſtellten giebt, entfalten ſich Beziehungen auf Beziehungen, und die urſprünglich begrenzte Bedeutung erſcheint ins Unendliche erweitert. Das Be¬ dürfniß, die Tiefe des Gefühls, die Kraft der Leidenſchaft dem zu leihen, was vor das Bewußtſein tritt, vereinigt wie in einem homogenen Elemente alle die Anregungen, die von dem Kunſtwerke ausgehen, und indem die Wirkung des Geſehenen auf das Gemüthsleben ſich ſteigert, ſcheint erſt der ganze unbegrenzte Gehalt, der aus dem Werke dem menſchlichen Bewußtſein zufließt, ſeine wahre Bedeu¬ tung und ſeinen maßgebenden Werth für den Menſchen zu erhalten. Es iſt ein extenſives und intenſives Sich¬ aneignen, welches einer unbegrenzten Steigerung fähig er¬ ſcheint, und wodurch allein es möglich wird, daß ein in ſo engen Grenzen eingeſchloſſenes Ding, wie das Kunſt¬ werk thatſächlich iſt, ſeine Macht über die ganze innere Welt des Menſchen ausdehnen kann. Die höchſten Bei¬ ſpiele ſolcher Wirkungen wird man immer auf dem Gebiete der religiöſen Kunſt finden. Hier vereinigt ſich mit der ſinnlichen Macht, die das ſichtbar uns Entgegentretende ausübt, diejenige geiſtige Macht, der keine andere an Tiefe
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="166"/>
in ihm vorgeht, ſeinen Urſprung in der Betrachtung des<lb/>
Werkes hat. Aus dem dauernden Anblick desſelben ent¬<lb/>
wickelt ſich eine ganze Welt in ihm; alle Forderungen, die<lb/>
die Fähigkeiten ſeiner Natur ſtellen, finden hier ihre zeit¬<lb/>
weilige Befriedigung. Von dem Werke geht, ſich immer er¬<lb/>
neuernd, das Wohlbehagen aus, welches aus dem Reiz des<lb/>
unmittelbaren Anblicks entſpringt; aus der nächſten Deutung,<lb/>
die der denkende Geiſt dem Dargeſtellten giebt, entfalten ſich<lb/>
Beziehungen auf Beziehungen, und die urſprünglich begrenzte<lb/>
Bedeutung erſcheint ins Unendliche erweitert. Das Be¬<lb/>
dürfniß, die Tiefe des Gefühls, die Kraft der Leidenſchaft<lb/>
dem zu leihen, was vor das Bewußtſein tritt, vereinigt<lb/>
wie in einem homogenen Elemente alle die Anregungen,<lb/>
die von dem Kunſtwerke ausgehen, und indem die Wirkung<lb/>
des Geſehenen auf das Gemüthsleben ſich ſteigert, ſcheint<lb/>
erſt der ganze unbegrenzte Gehalt, der aus dem Werke<lb/>
dem menſchlichen Bewußtſein zufließt, ſeine wahre Bedeu¬<lb/>
tung und ſeinen maßgebenden Werth für den Menſchen<lb/>
zu erhalten. Es iſt ein extenſives und intenſives Sich¬<lb/>
aneignen, welches einer unbegrenzten Steigerung fähig er¬<lb/>ſcheint, und wodurch allein es möglich wird, daß ein in<lb/>ſo engen Grenzen eingeſchloſſenes Ding, wie das Kunſt¬<lb/>
werk thatſächlich iſt, ſeine Macht über die ganze innere<lb/>
Welt des Menſchen ausdehnen kann. Die höchſten Bei¬<lb/>ſpiele ſolcher Wirkungen wird man immer auf dem Gebiete<lb/>
der religiöſen Kunſt finden. Hier vereinigt ſich mit der<lb/>ſinnlichen Macht, die das ſichtbar uns Entgegentretende<lb/>
ausübt, diejenige geiſtige Macht, der keine andere an Tiefe<lb/></p></div></body></text></TEI>
[166/0178]
in ihm vorgeht, ſeinen Urſprung in der Betrachtung des
Werkes hat. Aus dem dauernden Anblick desſelben ent¬
wickelt ſich eine ganze Welt in ihm; alle Forderungen, die
die Fähigkeiten ſeiner Natur ſtellen, finden hier ihre zeit¬
weilige Befriedigung. Von dem Werke geht, ſich immer er¬
neuernd, das Wohlbehagen aus, welches aus dem Reiz des
unmittelbaren Anblicks entſpringt; aus der nächſten Deutung,
die der denkende Geiſt dem Dargeſtellten giebt, entfalten ſich
Beziehungen auf Beziehungen, und die urſprünglich begrenzte
Bedeutung erſcheint ins Unendliche erweitert. Das Be¬
dürfniß, die Tiefe des Gefühls, die Kraft der Leidenſchaft
dem zu leihen, was vor das Bewußtſein tritt, vereinigt
wie in einem homogenen Elemente alle die Anregungen,
die von dem Kunſtwerke ausgehen, und indem die Wirkung
des Geſehenen auf das Gemüthsleben ſich ſteigert, ſcheint
erſt der ganze unbegrenzte Gehalt, der aus dem Werke
dem menſchlichen Bewußtſein zufließt, ſeine wahre Bedeu¬
tung und ſeinen maßgebenden Werth für den Menſchen
zu erhalten. Es iſt ein extenſives und intenſives Sich¬
aneignen, welches einer unbegrenzten Steigerung fähig er¬
ſcheint, und wodurch allein es möglich wird, daß ein in
ſo engen Grenzen eingeſchloſſenes Ding, wie das Kunſt¬
werk thatſächlich iſt, ſeine Macht über die ganze innere
Welt des Menſchen ausdehnen kann. Die höchſten Bei¬
ſpiele ſolcher Wirkungen wird man immer auf dem Gebiete
der religiöſen Kunſt finden. Hier vereinigt ſich mit der
ſinnlichen Macht, die das ſichtbar uns Entgegentretende
ausübt, diejenige geiſtige Macht, der keine andere an Tiefe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/178>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.