einführt. Um zu diesem Punkt zu gelangen, müssen einige Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeschickt werden.
Diese Bemerkungen werden sich auf das Verhältniß zu beziehen haben, in dem der Mensch zu der ihn um¬ gebenden Welt steht. Denn es wird sich zeigen, daß der¬ jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das Wesen des künstlerischen Schaffens gefunden hat, nach einer neuen Lösung des alten Problems sucht, nur dann zum Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬ niß des Menschen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm geläufige Auffassung desselben einer erneuten Prüfung unterwirft.
Die Einsicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes Dasein Gegenstand der Wahrnehmung und in Folge dessen irgend einer Art geistigen Besitzes sein können, sondern daß der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menschliche Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Besitz¬ thümern des Bewußtseins gestaltet, -- diese Einsicht scheint dem Menschen keineswegs immer in allen ihren Consequenzen gegenwärtig zu sein. Zwar ist die einfache Gegenüber¬ stellung des wahrnehmenden, vorstellenden, erkennenden In¬ dividuums und der Welt des Seienden -- eine Gegen¬ überstellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬ seins bezeichnet wird -- mit jener Einsicht aufgehoben; aber die große Umkehr, die in der Auffassung des Ver¬ hältnisses, in welchem der Mensch zur Außenwelt steht, durch jene Einsicht gefordert wird, ist so lange nicht voll¬ endet, als der Mensch die stillschweigende Voraussetzung
einführt. Um zu dieſem Punkt zu gelangen, müſſen einige Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeſchickt werden.
Dieſe Bemerkungen werden ſich auf das Verhältniß zu beziehen haben, in dem der Menſch zu der ihn um¬ gebenden Welt ſteht. Denn es wird ſich zeigen, daß der¬ jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das Weſen des künſtleriſchen Schaffens gefunden hat, nach einer neuen Löſung des alten Problems ſucht, nur dann zum Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬ niß des Menſchen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm geläufige Auffaſſung desſelben einer erneuten Prüfung unterwirft.
Die Einſicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes Daſein Gegenſtand der Wahrnehmung und in Folge deſſen irgend einer Art geiſtigen Beſitzes ſein können, ſondern daß der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menſchliche Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Beſitz¬ thümern des Bewußtſeins geſtaltet, — dieſe Einſicht ſcheint dem Menſchen keineswegs immer in allen ihren Conſequenzen gegenwärtig zu ſein. Zwar iſt die einfache Gegenüber¬ ſtellung des wahrnehmenden, vorſtellenden, erkennenden In¬ dividuums und der Welt des Seienden — eine Gegen¬ überſtellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬ ſeins bezeichnet wird — mit jener Einſicht aufgehoben; aber die große Umkehr, die in der Auffaſſung des Ver¬ hältniſſes, in welchem der Menſch zur Außenwelt ſteht, durch jene Einſicht gefordert wird, iſt ſo lange nicht voll¬ endet, als der Menſch die ſtillſchweigende Vorausſetzung
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einführt. Um zu dieſem Punkt zu gelangen, müſſen einige
Bemerkungen allgemeiner Natur vorausgeſchickt werden.
Dieſe Bemerkungen werden ſich auf das Verhältniß
zu beziehen haben, in dem der Menſch zu der ihn um¬
gebenden Welt ſteht. Denn es wird ſich zeigen, daß der¬
jenige, der, unbefriedigt von allen Erklärungen, die das
Weſen des künſtleriſchen Schaffens gefunden hat, nach einer
neuen Löſung des alten Problems ſucht, nur dann zum
Ziel zu gelangen hoffen kann, wenn er auf das Verhält¬
niß des Menſchen zur Außenwelt zurückgeht und die ihm
geläufige Auffaſſung desſelben einer erneuten Prüfung
unterwirft.
Die Einſicht, daß die Dinge nicht durch ihr bloßes
Daſein Gegenſtand der Wahrnehmung und in Folge deſſen
irgend einer Art geiſtigen Beſitzes ſein können, ſondern daß
der der Empfindung und Wahrnehmung fähige menſchliche
Organismus nur Wirkungen empfängt, die er zu Beſitz¬
thümern des Bewußtſeins geſtaltet, — dieſe Einſicht ſcheint
dem Menſchen keineswegs immer in allen ihren Conſequenzen
gegenwärtig zu ſein. Zwar iſt die einfache Gegenüber¬
ſtellung des wahrnehmenden, vorſtellenden, erkennenden In¬
dividuums und der Welt des Seienden — eine Gegen¬
überſtellung, durch die der Standpunkt des naiven Bewußt¬
ſeins bezeichnet wird — mit jener Einſicht aufgehoben;
aber die große Umkehr, die in der Auffaſſung des Ver¬
hältniſſes, in welchem der Menſch zur Außenwelt ſteht,
durch jene Einſicht gefordert wird, iſt ſo lange nicht voll¬
endet, als der Menſch die ſtillſchweigende Vorausſetzung
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/14>, abgerufen am 16.07.2024.
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