Künstler zur Natur hinzuthun müsse, um sie in Kunst umzuwandeln. Es ist dabei der Gesichtspunkt maßgebend, daß die Thätigkeit des Künstlers zwecklos und überflüssig sei, sofern sie der bloßen Sichtbarkeit ihrer Leistungen nicht einen Empfindungs- oder Bedeutungswerth beizulegen wisse. Ein gesunder, wenn auch unreifer Sinn hat sich noch immer gegen die Herrschaft solcher Anschauungen aufge¬ lehnt; und um der Gefahr zu begegnen, die künstlerische Thätigkeit nach ganz entlegenen Zielen sich verirren zu sehen, hält man ihr vor, daß ihr kein höheres Ziel gesteckt sei, als die Natur. Gesund muß diese Anschauung genannt werden, weil sie der künstlerischen Thätigkeit keinen anderen Zweck unterlegt, als den, das im bildnerischen Ausdruck zu realisiren, was die Natur Sichtbares dar¬ bietet; sie ist aber zugleich unreif, insofern sie übersieht, daß die künstlerischen Gebilde in Folge ihrer Entstehung durch eine unüberbrückbare Kluft von dem getrennt sein müssen, was wir im gewöhnlichen Sinne sichtbare Natur nennen. Diese sichtbare Natur ist ja thatsächlich nichts Anderes als jenes ungeheure und bunte Gewirr von Wahr¬ nehmungen und Vorstellungen, die, auftauchend und ver¬ schwindend bald an unserem äußeren, bald an unserem inneren Auge vorüberziehen, die sich uns in unzweifelhafter Thatsächlichkeit aufdrängen und doch spurlos verschwunden sind, sobald wir meinen, sie uns in der Wärme der Em¬ pfindung oder in der Klarheit begrifflicher Erkenntniß an¬ geeignet zu haben. Sie ist jenes gewaltige Reich des Lichtes, in dem die unendliche Reihe der Dinge in unend¬
Künſtler zur Natur hinzuthun müſſe, um ſie in Kunſt umzuwandeln. Es iſt dabei der Geſichtspunkt maßgebend, daß die Thätigkeit des Künſtlers zwecklos und überflüſſig ſei, ſofern ſie der bloßen Sichtbarkeit ihrer Leiſtungen nicht einen Empfindungs- oder Bedeutungswerth beizulegen wiſſe. Ein geſunder, wenn auch unreifer Sinn hat ſich noch immer gegen die Herrſchaft ſolcher Anſchauungen aufge¬ lehnt; und um der Gefahr zu begegnen, die künſtleriſche Thätigkeit nach ganz entlegenen Zielen ſich verirren zu ſehen, hält man ihr vor, daß ihr kein höheres Ziel geſteckt ſei, als die Natur. Geſund muß dieſe Anſchauung genannt werden, weil ſie der künſtleriſchen Thätigkeit keinen anderen Zweck unterlegt, als den, das im bildneriſchen Ausdruck zu realiſiren, was die Natur Sichtbares dar¬ bietet; ſie iſt aber zugleich unreif, inſofern ſie überſieht, daß die künſtleriſchen Gebilde in Folge ihrer Entſtehung durch eine unüberbrückbare Kluft von dem getrennt ſein müſſen, was wir im gewöhnlichen Sinne ſichtbare Natur nennen. Dieſe ſichtbare Natur iſt ja thatſächlich nichts Anderes als jenes ungeheure und bunte Gewirr von Wahr¬ nehmungen und Vorſtellungen, die, auftauchend und ver¬ ſchwindend bald an unſerem äußeren, bald an unſerem inneren Auge vorüberziehen, die ſich uns in unzweifelhafter Thatſächlichkeit aufdrängen und doch ſpurlos verſchwunden ſind, ſobald wir meinen, ſie uns in der Wärme der Em¬ pfindung oder in der Klarheit begrifflicher Erkenntniß an¬ geeignet zu haben. Sie iſt jenes gewaltige Reich des Lichtes, in dem die unendliche Reihe der Dinge in unend¬
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Künſtler zur Natur hinzuthun müſſe, um ſie in Kunſt
umzuwandeln. Es iſt dabei der Geſichtspunkt maßgebend,
daß die Thätigkeit des Künſtlers zwecklos und überflüſſig
ſei, ſofern ſie der bloßen Sichtbarkeit ihrer Leiſtungen nicht
einen Empfindungs- oder Bedeutungswerth beizulegen wiſſe.
Ein geſunder, wenn auch unreifer Sinn hat ſich noch
immer gegen die Herrſchaft ſolcher Anſchauungen aufge¬
lehnt; und um der Gefahr zu begegnen, die künſtleriſche
Thätigkeit nach ganz entlegenen Zielen ſich verirren zu
ſehen, hält man ihr vor, daß ihr kein höheres Ziel
geſteckt ſei, als die Natur. Geſund muß dieſe Anſchauung
genannt werden, weil ſie der künſtleriſchen Thätigkeit keinen
anderen Zweck unterlegt, als den, das im bildneriſchen
Ausdruck zu realiſiren, was die Natur Sichtbares dar¬
bietet; ſie iſt aber zugleich unreif, inſofern ſie überſieht,
daß die künſtleriſchen Gebilde in Folge ihrer Entſtehung
durch eine unüberbrückbare Kluft von dem getrennt ſein
müſſen, was wir im gewöhnlichen Sinne ſichtbare Natur
nennen. Dieſe ſichtbare Natur iſt ja thatſächlich nichts
Anderes als jenes ungeheure und bunte Gewirr von Wahr¬
nehmungen und Vorſtellungen, die, auftauchend und ver¬
ſchwindend bald an unſerem äußeren, bald an unſerem
inneren Auge vorüberziehen, die ſich uns in unzweifelhafter
Thatſächlichkeit aufdrängen und doch ſpurlos verſchwunden
ſind, ſobald wir meinen, ſie uns in der Wärme der Em¬
pfindung oder in der Klarheit begrifflicher Erkenntniß an¬
geeignet zu haben. Sie iſt jenes gewaltige Reich des
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Fiedler, Konrad: Der Ursprung der künstlerischen Thätigkeit. Leipzig, 1887, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fiedler_kuenstlerische_1887/134>, abgerufen am 19.07.2024.
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