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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Bedeutender aber ist auch hier die Frage,
wie die Erziehung ermessen, und sich die Ge¬
währschaft leisten könne, daß diese Religions¬
kenntnisse nicht tod und kalt bleiben, sondern
daß sie sich ausdrücken werden im wirklichen
Leben ihres Zöglings; welcher Frage die Be¬
antwortung einer andern Frage vorauszu¬
schicken ist, der folgenden: wie, und auf welche
Weise zeigt sich die Religion überhaupt im
Leben.

Unmittelbar, im gewöhnlichen Leben, und
in einer wohlgeordneten Gesellschaft, bedarf es
der Religion durchaus nicht, um das Leben zu
bilden, sondern es reicht für diese Zwecke die
wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬
ser Rücksicht ist also die Religion nicht prak¬
tisch, und kann und soll gar nicht praktisch wer¬
den, sondern sie ist lediglich Erkenntniß: sie
macht bloß den Menschen sich selber vollkom¬
men klar, und verständlich, beantwortet die
höchste Frage die er aufwerfen kann, löset
ihm den letzten Widerspruch auf, und bringt
so vollkommne Einigkeit mit sich selbst, und
durchgeführte Klarheit in seinen Verstand.
Sie ist seine vollständige Erlösung und Be¬

Bedeutender aber iſt auch hier die Frage,
wie die Erziehung ermeſſen, und ſich die Ge¬
waͤhrſchaft leiſten koͤnne, daß dieſe Religions¬
kenntniſſe nicht tod und kalt bleiben, ſondern
daß ſie ſich ausdruͤcken werden im wirklichen
Leben ihres Zoͤglings; welcher Frage die Be¬
antwortung einer andern Frage vorauszu¬
ſchicken iſt, der folgenden: wie, und auf welche
Weiſe zeigt ſich die Religion uͤberhaupt im
Leben.

Unmittelbar, im gewoͤhnlichen Leben, und
in einer wohlgeordneten Geſellſchaft, bedarf es
der Religion durchaus nicht, um das Leben zu
bilden, ſondern es reicht fuͤr dieſe Zwecke die
wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬
ſer Ruͤckſicht iſt alſo die Religion nicht prak¬
tiſch, und kann und ſoll gar nicht praktiſch wer¬
den, ſondern ſie iſt lediglich Erkenntniß: ſie
macht bloß den Menſchen ſich ſelber vollkom¬
men klar, und verſtaͤndlich, beantwortet die
hoͤchſte Frage die er aufwerfen kann, loͤſet
ihm den letzten Widerſpruch auf, und bringt
ſo vollkommne Einigkeit mit ſich ſelbſt, und
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[87/0093] Bedeutender aber iſt auch hier die Frage, wie die Erziehung ermeſſen, und ſich die Ge¬ waͤhrſchaft leiſten koͤnne, daß dieſe Religions¬ kenntniſſe nicht tod und kalt bleiben, ſondern daß ſie ſich ausdruͤcken werden im wirklichen Leben ihres Zoͤglings; welcher Frage die Be¬ antwortung einer andern Frage vorauszu¬ ſchicken iſt, der folgenden: wie, und auf welche Weiſe zeigt ſich die Religion uͤberhaupt im Leben. Unmittelbar, im gewoͤhnlichen Leben, und in einer wohlgeordneten Geſellſchaft, bedarf es der Religion durchaus nicht, um das Leben zu bilden, ſondern es reicht fuͤr dieſe Zwecke die wahre Sittlichkeit vollkommen hin. In die¬ ſer Ruͤckſicht iſt alſo die Religion nicht prak¬ tiſch, und kann und ſoll gar nicht praktiſch wer¬ den, ſondern ſie iſt lediglich Erkenntniß: ſie macht bloß den Menſchen ſich ſelber vollkom¬ men klar, und verſtaͤndlich, beantwortet die hoͤchſte Frage die er aufwerfen kann, loͤſet ihm den letzten Widerſpruch auf, und bringt ſo vollkommne Einigkeit mit ſich ſelbſt, und durchgefuͤhrte Klarheit in ſeinen Verſtand. Sie iſt ſeine vollſtaͤndige Erloͤſung und Be¬

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/93>, abgerufen am 23.11.2024.