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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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über die Verfassung, jedem Einzelnen alle die üb¬
rigen mit einer zum Ideal gesteigerten Ordnungs¬
liebe vorgestellt werden, welche also vielleicht
kein einziger wirklich hat, die aber alle haben
sollten; und daß somit diese Gesezgebung einen
hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬
terlassungen gar viele auflege. Diese, als etwas
das schlechthin seyn muß, und auf welchem das
Bestehen der Gesellschaft beruht, sind auf den
Nothfall sogar durch Furcht vor gegenwärtiger
Strafe zu erzwingen; und muß dieses Strafge¬
sez schlechthin ohne Schonung oder Ausnahme
vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zög¬
lings geschieht durch diese Anwendung der
Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬
dem hier ja nicht zum Thun des Guten, sondern
nur zu Unterlassung des in dieser Verfassung Bö¬
sen getrieben werden soll; überdieß muß im Un¬
terrichte über die Verfassung vollkommen ver¬
ständlich gemacht werden, daß der, welcher der
Vorstellung von der Strafe, oder wohl gar der
Anfrischung dieser Vorstellung durch die Erdul¬
dung der Strafe selbst noch bedürfe, auf einer sehr
niedrigen Stufe der Bildung stehe. Jedennoch
ist bei allem diesen klar, daß, da man niemals
wissen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe

uͤber die Verfaſſung, jedem Einzelnen alle die uͤb¬
rigen mit einer zum Ideal geſteigerten Ordnungs¬
liebe vorgeſtellt werden, welche alſo vielleicht
kein einziger wirklich hat, die aber alle haben
ſollten; und daß ſomit dieſe Geſezgebung einen
hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬
terlaſſungen gar viele auflege. Dieſe, als etwas
das ſchlechthin ſeyn muß, und auf welchem das
Beſtehen der Geſellſchaft beruht, ſind auf den
Nothfall ſogar durch Furcht vor gegenwaͤrtiger
Strafe zu erzwingen; und muß dieſes Strafge¬
ſez ſchlechthin ohne Schonung oder Ausnahme
vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zoͤg¬
lings geſchieht durch dieſe Anwendung der
Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬
dem hier ja nicht zum Thun des Guten, ſondern
nur zu Unterlaſſung des in dieſer Verfaſſung Boͤ¬
ſen getrieben werden ſoll; uͤberdieß muß im Un¬
terrichte uͤber die Verfaſſung vollkommen ver¬
ſtaͤndlich gemacht werden, daß der, welcher der
Vorſtellung von der Strafe, oder wohl gar der
Anfriſchung dieſer Vorſtellung durch die Erdul¬
dung der Strafe ſelbſt noch beduͤrfe, auf einer ſehr
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[77/0083] uͤber die Verfaſſung, jedem Einzelnen alle die uͤb¬ rigen mit einer zum Ideal geſteigerten Ordnungs¬ liebe vorgeſtellt werden, welche alſo vielleicht kein einziger wirklich hat, die aber alle haben ſollten; und daß ſomit dieſe Geſezgebung einen hohen Grad von Strenge erhalte, und der Un¬ terlaſſungen gar viele auflege. Dieſe, als etwas das ſchlechthin ſeyn muß, und auf welchem das Beſtehen der Geſellſchaft beruht, ſind auf den Nothfall ſogar durch Furcht vor gegenwaͤrtiger Strafe zu erzwingen; und muß dieſes Strafge¬ ſez ſchlechthin ohne Schonung oder Ausnahme vollzogen werden. Der Sittlichkeit des Zoͤg¬ lings geſchieht durch dieſe Anwendung der Furcht, als eines Triebes, gar kein Eintrag, in¬ dem hier ja nicht zum Thun des Guten, ſondern nur zu Unterlaſſung des in dieſer Verfaſſung Boͤ¬ ſen getrieben werden ſoll; uͤberdieß muß im Un¬ terrichte uͤber die Verfaſſung vollkommen ver¬ ſtaͤndlich gemacht werden, daß der, welcher der Vorſtellung von der Strafe, oder wohl gar der Anfriſchung dieſer Vorſtellung durch die Erdul¬ dung der Strafe ſelbſt noch beduͤrfe, auf einer ſehr niedrigen Stufe der Bildung ſtehe. Jedennoch iſt bei allem dieſen klar, daß, da man niemals wiſſen kann, ob, da wo gehorcht wird, aus Liebe

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/83>, abgerufen am 27.11.2024.