Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

zweiten ganz andern Thätigkeit des, das zuerst
angeregte freie Vermögen, beschränkenden Er¬
kenntnißvermögens. Dieser Erziehung ent¬
steht sonach gleich bei ihrem Beginnen eine
wahrhaft über alle Erfahrung erhabene, über¬
sinnliche, streng nothwendige, und allgemeine
Erkenntniß, die alle nachher mögliche Erfah¬
rung schon im voraus unter sich befaßt. Da¬
gegen ging der bisherige Unterricht in der Re¬
gel nur auf die stehenden Beschaffenheiten
der Dinge, wie sie eben ohne daß man
dafür einen Grund angeben könne, seyen, und
geglaubt, und gemerkt werden müßten; also
auf ein bloß leidendes Auffassen durch das
lediglich im Dienste der Dinge stehende Ver¬
mögen des Gedächtnisses, wodurch es über¬
haupt gar nicht zur Ahndung des Geistes,
als eines selbstständigen, und uranfäng¬
lichen Princips der Dinge selber, kommen
konnte. Es vermeine die neuere Pädagogik
ja nicht durch die Berufung auf ihren oft
bezeugten Abscheu gegen mechanisches Aus¬
wendiglernen, und auf ihre bekannten Mei¬
sterstücke in sokratischer Manier, gegen diesen
Vorwurf sich zu decken; denn hierauf hat sie

E 2

zweiten ganz andern Thaͤtigkeit des, das zuerſt
angeregte freie Vermoͤgen, beſchraͤnkenden Er¬
kenntnißvermoͤgens. Dieſer Erziehung ent¬
ſteht ſonach gleich bei ihrem Beginnen eine
wahrhaft uͤber alle Erfahrung erhabene, uͤber¬
ſinnliche, ſtreng nothwendige, und allgemeine
Erkenntniß, die alle nachher moͤgliche Erfah¬
rung ſchon im voraus unter ſich befaßt. Da¬
gegen ging der bisherige Unterricht in der Re¬
gel nur auf die ſtehenden Beſchaffenheiten
der Dinge, wie ſie eben ohne daß man
dafuͤr einen Grund angeben koͤnne, ſeyen, und
geglaubt, und gemerkt werden muͤßten; alſo
auf ein bloß leidendes Auffaſſen durch das
lediglich im Dienſte der Dinge ſtehende Ver¬
moͤgen des Gedaͤchtniſſes, wodurch es uͤber¬
haupt gar nicht zur Ahndung des Geiſtes,
als eines ſelbſtſtaͤndigen, und uranfaͤng¬
lichen Princips der Dinge ſelber, kommen
konnte. Es vermeine die neuere Paͤdagogik
ja nicht durch die Berufung auf ihren oft
bezeugten Abſcheu gegen mechaniſches Aus¬
wendiglernen, und auf ihre bekannten Mei¬
ſterſtuͤcke in ſokratiſcher Manier, gegen dieſen
Vorwurf ſich zu decken; denn hierauf hat ſie

E 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0073" n="67"/>
zweiten ganz andern Tha&#x0364;tigkeit des, das zuer&#x017F;t<lb/>
angeregte freie Vermo&#x0364;gen, be&#x017F;chra&#x0364;nkenden Er¬<lb/>
kenntnißvermo&#x0364;gens. Die&#x017F;er Erziehung ent¬<lb/>
&#x017F;teht &#x017F;onach gleich bei ihrem Beginnen eine<lb/>
wahrhaft u&#x0364;ber alle Erfahrung erhabene, u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x017F;innliche, &#x017F;treng nothwendige, und allgemeine<lb/>
Erkenntniß, die alle nachher mo&#x0364;gliche Erfah¬<lb/>
rung &#x017F;chon im voraus unter &#x017F;ich befaßt. Da¬<lb/>
gegen ging der bisherige Unterricht in der Re¬<lb/>
gel nur auf die &#x017F;tehenden Be&#x017F;chaffenheiten<lb/>
der Dinge, wie &#x017F;ie eben ohne daß man<lb/>
dafu&#x0364;r einen Grund angeben ko&#x0364;nne, &#x017F;eyen, und<lb/>
geglaubt, und gemerkt werden mu&#x0364;ßten; al&#x017F;o<lb/>
auf ein bloß leidendes Auffa&#x017F;&#x017F;en durch das<lb/>
lediglich im Dien&#x017F;te der Dinge &#x017F;tehende Ver¬<lb/>
mo&#x0364;gen des Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;es, wodurch es u&#x0364;ber¬<lb/>
haupt gar nicht zur Ahndung des Gei&#x017F;tes,<lb/>
als eines &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigen, und uranfa&#x0364;ng¬<lb/>
lichen Princips der Dinge &#x017F;elber, kommen<lb/>
konnte. Es vermeine die neuere Pa&#x0364;dagogik<lb/>
ja nicht durch die Berufung auf ihren oft<lb/>
bezeugten Ab&#x017F;cheu gegen mechani&#x017F;ches Aus¬<lb/>
wendiglernen, und auf ihre bekannten Mei¬<lb/>
&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cke in &#x017F;okrati&#x017F;cher Manier, gegen die&#x017F;en<lb/>
Vorwurf &#x017F;ich zu decken; denn hierauf hat &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0073] zweiten ganz andern Thaͤtigkeit des, das zuerſt angeregte freie Vermoͤgen, beſchraͤnkenden Er¬ kenntnißvermoͤgens. Dieſer Erziehung ent¬ ſteht ſonach gleich bei ihrem Beginnen eine wahrhaft uͤber alle Erfahrung erhabene, uͤber¬ ſinnliche, ſtreng nothwendige, und allgemeine Erkenntniß, die alle nachher moͤgliche Erfah¬ rung ſchon im voraus unter ſich befaßt. Da¬ gegen ging der bisherige Unterricht in der Re¬ gel nur auf die ſtehenden Beſchaffenheiten der Dinge, wie ſie eben ohne daß man dafuͤr einen Grund angeben koͤnne, ſeyen, und geglaubt, und gemerkt werden muͤßten; alſo auf ein bloß leidendes Auffaſſen durch das lediglich im Dienſte der Dinge ſtehende Ver¬ moͤgen des Gedaͤchtniſſes, wodurch es uͤber¬ haupt gar nicht zur Ahndung des Geiſtes, als eines ſelbſtſtaͤndigen, und uranfaͤng¬ lichen Princips der Dinge ſelber, kommen konnte. Es vermeine die neuere Paͤdagogik ja nicht durch die Berufung auf ihren oft bezeugten Abſcheu gegen mechaniſches Aus¬ wendiglernen, und auf ihre bekannten Mei¬ ſterſtuͤcke in ſokratiſcher Manier, gegen dieſen Vorwurf ſich zu decken; denn hierauf hat ſie E 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/73
Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/73>, abgerufen am 24.11.2024.