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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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So nun etwa hierauf jemand also gesagt
hätte, wie denn auch wirklich diejenigen, welche
die bisherige Erziehung leiten, fast ohne Aus¬
nahme also sagen: Wie könnte man denn
auch irgend einer Erziehung mehr anmuthen,
als daß sie dem Zöglinge das Rechte zeige,
und ihn getreulich zu demselben anmahne;
ob er diesen Ermahnungen folgen wolle, das
sey seine eigne Sache, und wenn er es nicht
thue, seine eigne Schuld; er habe freien Wil¬
len, den keine Erziehung ihm nehmen könne:
so würde ich hierauf, um die von mir ge¬
dachte neue Erziehung noch schärfer zu be¬
zeichnen, antworten; daß gerade in diesem
Anerkennen, und in diesem Rechnen auf einen
freien Willen des Zöglings der erste Irrthum
der bisherigen Erziehung, und das deutliche
Bekenntniß ihrer Ohnmacht, und Nichtigkeit
liege. Denn indem sie bekennt, daß nach
aller ihrer kräftigsten Wirksamkeit der Wille
dennoch frei, d. i. unentschieden schwankend
zwischen gutem und bösem bleibe, bekennt
sie, daß sie den Willen, und da dieser die
eigentliche Grund-Wurzel des Menschen selbst
ist, den Menschen selbst zu bilden durchaus

D 2

So nun etwa hierauf jemand alſo geſagt
haͤtte, wie denn auch wirklich diejenigen, welche
die bisherige Erziehung leiten, faſt ohne Aus¬
nahme alſo ſagen: Wie koͤnnte man denn
auch irgend einer Erziehung mehr anmuthen,
als daß ſie dem Zoͤglinge das Rechte zeige,
und ihn getreulich zu demſelben anmahne;
ob er dieſen Ermahnungen folgen wolle, das
ſey ſeine eigne Sache, und wenn er es nicht
thue, ſeine eigne Schuld; er habe freien Wil¬
len, den keine Erziehung ihm nehmen koͤnne:
ſo wuͤrde ich hierauf, um die von mir ge¬
dachte neue Erziehung noch ſchaͤrfer zu be¬
zeichnen, antworten; daß gerade in dieſem
Anerkennen, und in dieſem Rechnen auf einen
freien Willen des Zoͤglings der erſte Irrthum
der bisherigen Erziehung, und das deutliche
Bekenntniß ihrer Ohnmacht, und Nichtigkeit
liege. Denn indem ſie bekennt, daß nach
aller ihrer kraͤftigſten Wirkſamkeit der Wille
dennoch frei, d. i. unentſchieden ſchwankend
zwiſchen gutem und boͤſem bleibe, bekennt
ſie, daß ſie den Willen, und da dieſer die
eigentliche Grund-Wurzel des Menſchen ſelbſt
iſt, den Menſchen ſelbſt zu bilden durchaus

D 2
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[51/0057] So nun etwa hierauf jemand alſo geſagt haͤtte, wie denn auch wirklich diejenigen, welche die bisherige Erziehung leiten, faſt ohne Aus¬ nahme alſo ſagen: Wie koͤnnte man denn auch irgend einer Erziehung mehr anmuthen, als daß ſie dem Zoͤglinge das Rechte zeige, und ihn getreulich zu demſelben anmahne; ob er dieſen Ermahnungen folgen wolle, das ſey ſeine eigne Sache, und wenn er es nicht thue, ſeine eigne Schuld; er habe freien Wil¬ len, den keine Erziehung ihm nehmen koͤnne: ſo wuͤrde ich hierauf, um die von mir ge¬ dachte neue Erziehung noch ſchaͤrfer zu be¬ zeichnen, antworten; daß gerade in dieſem Anerkennen, und in dieſem Rechnen auf einen freien Willen des Zoͤglings der erſte Irrthum der bisherigen Erziehung, und das deutliche Bekenntniß ihrer Ohnmacht, und Nichtigkeit liege. Denn indem ſie bekennt, daß nach aller ihrer kraͤftigſten Wirkſamkeit der Wille dennoch frei, d. i. unentſchieden ſchwankend zwiſchen gutem und boͤſem bleibe, bekennt ſie, daß ſie den Willen, und da dieſer die eigentliche Grund-Wurzel des Menſchen ſelbſt iſt, den Menſchen ſelbſt zu bilden durchaus D 2

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/57>, abgerufen am 27.11.2024.