versucht, um wieder hinein zu kommen in die Behausung der Seuchen. Zwar ha¬ ben schon die belebenden Lüfte der andern Welt, in die die abgeschiedene eingetreten, sie aufgenommen in sich, und umgeben sie mit warmem Liebeshauche, zwar begrüßen sie schon freudig heimliche Stimmen der Schwe¬ stern, und heißen sie willkommen, zwar regt es sich schon und dehnt sich in ihrem Innern nach allen Richtungen hin, um die herrlichere Gestalt, zu der sie erwachsen soll, zu entwik¬ keln; aber noch hat sie kein Gefühl für diese Lüste, oder Gehör für diese Stimmen, oder wenn sie es hätte, so ist sie aufgegangen in Schmerz über ihren Verlust, mit welchem sie zugleich sich selbst verloren zu haben glaubt. Was ist mit ihr zu thun? Auch die Morgen¬ röthe der neuen Welt ist schon angebrochen, und vergoldet schon die Spitzen der Berge, und bildet vor den Tag, der da kommen soll. Ich will, so ich es kann, die Strahlen dieser Morgenröthe fassen, und sie verdichten zu einem Spiegel, in welchem die trostlose Zeit sich erblicke, damit sie glaube, daß sie noch
verſucht, um wieder hinein zu kommen in die Behauſung der Seuchen. Zwar ha¬ ben ſchon die belebenden Luͤfte der andern Welt, in die die abgeſchiedene eingetreten, ſie aufgenommen in ſich, und umgeben ſie mit warmem Liebeshauche, zwar begruͤßen ſie ſchon freudig heimliche Stimmen der Schwe¬ ſtern, und heißen ſie willkommen, zwar regt es ſich ſchon und dehnt ſich in ihrem Innern nach allen Richtungen hin, um die herrlichere Geſtalt, zu der ſie erwachſen ſoll, zu entwik¬ keln; aber noch hat ſie kein Gefuͤhl fuͤr dieſe Luͤſte, oder Gehoͤr fuͤr dieſe Stimmen, oder wenn ſie es haͤtte, ſo iſt ſie aufgegangen in Schmerz uͤber ihren Verluſt, mit welchem ſie zugleich ſich ſelbſt verloren zu haben glaubt. Was iſt mit ihr zu thun? Auch die Morgen¬ roͤthe der neuen Welt iſt ſchon angebrochen, und vergoldet ſchon die Spitzen der Berge, und bildet vor den Tag, der da kommen ſoll. Ich will, ſo ich es kann, die Strahlen dieſer Morgenroͤthe faſſen, und ſie verdichten zu einem Spiegel, in welchem die troſtloſe Zeit ſich erblicke, damit ſie glaube, daß ſie noch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0053"n="47"/>
verſucht, um wieder hinein zu kommen<lb/>
in die Behauſung der Seuchen. Zwar ha¬<lb/>
ben ſchon die belebenden Luͤfte der andern<lb/>
Welt, in die die abgeſchiedene eingetreten,<lb/>ſie aufgenommen in ſich, und umgeben ſie<lb/>
mit warmem Liebeshauche, zwar begruͤßen<lb/>ſie ſchon freudig heimliche Stimmen der Schwe¬<lb/>ſtern, und heißen ſie willkommen, zwar regt<lb/>
es ſich ſchon und dehnt ſich in ihrem Innern<lb/>
nach allen Richtungen hin, um die herrlichere<lb/>
Geſtalt, zu der ſie erwachſen ſoll, zu entwik¬<lb/>
keln; aber noch hat ſie kein Gefuͤhl fuͤr dieſe<lb/>
Luͤſte, oder Gehoͤr fuͤr dieſe Stimmen, oder<lb/>
wenn ſie es haͤtte, ſo iſt ſie aufgegangen in<lb/>
Schmerz uͤber ihren Verluſt, mit welchem ſie<lb/>
zugleich ſich ſelbſt verloren zu haben glaubt.<lb/>
Was iſt mit ihr zu thun? Auch die Morgen¬<lb/>
roͤthe der neuen Welt iſt ſchon angebrochen,<lb/>
und vergoldet ſchon die Spitzen der Berge,<lb/>
und bildet vor den Tag, der da kommen<lb/>ſoll. Ich will, ſo ich es kann, die Strahlen<lb/>
dieſer Morgenroͤthe faſſen, und ſie verdichten<lb/>
zu einem Spiegel, in welchem die troſtloſe<lb/>
Zeit ſich erblicke, damit ſie glaube, daß ſie noch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[47/0053]
verſucht, um wieder hinein zu kommen
in die Behauſung der Seuchen. Zwar ha¬
ben ſchon die belebenden Luͤfte der andern
Welt, in die die abgeſchiedene eingetreten,
ſie aufgenommen in ſich, und umgeben ſie
mit warmem Liebeshauche, zwar begruͤßen
ſie ſchon freudig heimliche Stimmen der Schwe¬
ſtern, und heißen ſie willkommen, zwar regt
es ſich ſchon und dehnt ſich in ihrem Innern
nach allen Richtungen hin, um die herrlichere
Geſtalt, zu der ſie erwachſen ſoll, zu entwik¬
keln; aber noch hat ſie kein Gefuͤhl fuͤr dieſe
Luͤſte, oder Gehoͤr fuͤr dieſe Stimmen, oder
wenn ſie es haͤtte, ſo iſt ſie aufgegangen in
Schmerz uͤber ihren Verluſt, mit welchem ſie
zugleich ſich ſelbſt verloren zu haben glaubt.
Was iſt mit ihr zu thun? Auch die Morgen¬
roͤthe der neuen Welt iſt ſchon angebrochen,
und vergoldet ſchon die Spitzen der Berge,
und bildet vor den Tag, der da kommen
ſoll. Ich will, ſo ich es kann, die Strahlen
dieſer Morgenroͤthe faſſen, und ſie verdichten
zu einem Spiegel, in welchem die troſtloſe
Zeit ſich erblicke, damit ſie glaube, daß ſie noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/53>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.