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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808.

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Die genannten Gedanken, und alle Gedan¬
ken dieser Art sind Erzengnisse eines bloß mit
sich selber spielenden, und in seinem Gespinnste
zuweilen auch hängen bleibenden Denkens, un¬
werth deutscher Gründlichkeit und Ernstes.
Höchstens sind einige dieser Bilder, wie z. B.
das eines politischen Gleichgewichts, taugliche
Hülfslinien, um in einem ausgedehnten und
verworrenen Mannigfaltigen der Erscheinung
sich zurecht zu finden, und es zu ordnen; aber
an das natürliche Vorhandenseyn dieser Dinge
zu glauben, oder ihre Verwirklichung anzustre¬
ben, ist eben so, als ob jemand die Pole, die
Mittagslinie, die Wendekreise, durch die seine
Betrachtung auf der Erde sich zurecht findet,
an der wirklichen Erdkugel ausgedrükt und be¬
zeichnet aufsuchte. Möchte es Sitte werden
in unserer Nation, nicht bloß zum Scherze und
gleichsam versuchend, was dabei herauskom¬
men werde, zu denken, sondern also, als ob
wahr seyn solle, und wirklich gelten im Leben,
was wir denken, so wird es überflüßig werden,
vor solchen Truggestalten einer ursprüglich aus¬
ländischen, und die Deutschen bloß berückenden
Staatsklugheit, zu warnen.

Die genannten Gedanken, und alle Gedan¬
ken dieſer Art ſind Erzengniſſe eines bloß mit
ſich ſelber ſpielenden, und in ſeinem Geſpinnſte
zuweilen auch haͤngen bleibenden Denkens, un¬
werth deutſcher Gruͤndlichkeit und Ernſtes.
Hoͤchſtens ſind einige dieſer Bilder, wie z. B.
das eines politiſchen Gleichgewichts, taugliche
Huͤlfslinien, um in einem ausgedehnten und
verworrenen Mannigfaltigen der Erſcheinung
ſich zurecht zu finden, und es zu ordnen; aber
an das natuͤrliche Vorhandenſeyn dieſer Dinge
zu glauben, oder ihre Verwirklichung anzuſtre¬
ben, iſt eben ſo, als ob jemand die Pole, die
Mittagslinie, die Wendekreiſe, durch die ſeine
Betrachtung auf der Erde ſich zurecht findet,
an der wirklichen Erdkugel ausgedruͤkt und be¬
zeichnet aufſuchte. Moͤchte es Sitte werden
in unſerer Nation, nicht bloß zum Scherze und
gleichſam verſuchend, was dabei herauskom¬
men werde, zu denken, ſondern alſo, als ob
wahr ſeyn ſolle, und wirklich gelten im Leben,
was wir denken, ſo wird es uͤberfluͤßig werden,
vor ſolchen Truggeſtalten einer urſpruͤglich aus¬
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[428/0434] Die genannten Gedanken, und alle Gedan¬ ken dieſer Art ſind Erzengniſſe eines bloß mit ſich ſelber ſpielenden, und in ſeinem Geſpinnſte zuweilen auch haͤngen bleibenden Denkens, un¬ werth deutſcher Gruͤndlichkeit und Ernſtes. Hoͤchſtens ſind einige dieſer Bilder, wie z. B. das eines politiſchen Gleichgewichts, taugliche Huͤlfslinien, um in einem ausgedehnten und verworrenen Mannigfaltigen der Erſcheinung ſich zurecht zu finden, und es zu ordnen; aber an das natuͤrliche Vorhandenſeyn dieſer Dinge zu glauben, oder ihre Verwirklichung anzuſtre¬ ben, iſt eben ſo, als ob jemand die Pole, die Mittagslinie, die Wendekreiſe, durch die ſeine Betrachtung auf der Erde ſich zurecht findet, an der wirklichen Erdkugel ausgedruͤkt und be¬ zeichnet aufſuchte. Moͤchte es Sitte werden in unſerer Nation, nicht bloß zum Scherze und gleichſam verſuchend, was dabei herauskom¬ men werde, zu denken, ſondern alſo, als ob wahr ſeyn ſolle, und wirklich gelten im Leben, was wir denken, ſo wird es uͤberfluͤßig werden, vor ſolchen Truggeſtalten einer urſpruͤglich aus¬ laͤndiſchen, und die Deutſchen bloß beruͤckenden Staatsklugheit, zu warnen.

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Zitationshilfe: Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/434>, abgerufen am 22.11.2024.