weiter fürchtet, oder von ihr etwas hofft; und es bleibt ihr nichts übrig, als ein ganz ande¬ res und neues, über Furcht und Hoffnung er¬ habenes Bindungsmittel zu finden, um die Angelegenheit ihrer Gesammtheit an die Theil¬ nahme eines jeden aus ihr für sich selber an¬ zuknüpfen.
Ueber den sinnlichen Antrieb der Furcht oder Hoffnung hinaus, und zunächst an ihn angränzend, liegt der geistige Antrieb der sittli¬ chen Billigung, oder Mißbilligung, und der höhere Affekt des Wohlgefallens oder Mißfal¬ lens an unserer und anderer Zustande. So wie das an Reinlichkeit und Ordnung gewöhnte äußere Auge durch einen Fleken, der ja unmit¬ telbar dem Leibe keinen Schmerz zufügt, oder durch den Anblik verworren durch einander liegender Gegenstände dennoch gepeinigt, und geängstet wird, wie vom unmittelbaren Schmer¬ ze, indeß der des Schmuzes und der Unord¬ nung Gewohnte sich in denselben recht wohl be¬ findet; eben also kann auch das innere geistige Auge des Menschen so gewöhnt und gebildet werden, daß der bloße Anblik eines verworre¬
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weiter fuͤrchtet, oder von ihr etwas hofft; und es bleibt ihr nichts uͤbrig, als ein ganz ande¬ res und neues, uͤber Furcht und Hoffnung er¬ habenes Bindungsmittel zu finden, um die Angelegenheit ihrer Geſammtheit an die Theil¬ nahme eines jeden aus ihr fuͤr ſich ſelber an¬ zuknuͤpfen.
Ueber den ſinnlichen Antrieb der Furcht oder Hoffnung hinaus, und zunaͤchſt an ihn angraͤnzend, liegt der geiſtige Antrieb der ſittli¬ chen Billigung, oder Mißbilligung, und der hoͤhere Affekt des Wohlgefallens oder Mißfal¬ lens an unſerer und anderer Zuſtande. So wie das an Reinlichkeit und Ordnung gewoͤhnte aͤußere Auge durch einen Fleken, der ja unmit¬ telbar dem Leibe keinen Schmerz zufuͤgt, oder durch den Anblik verworren durch einander liegender Gegenſtaͤnde dennoch gepeinigt, und geaͤngſtet wird, wie vom unmittelbaren Schmer¬ ze, indeß der des Schmuzes und der Unord¬ nung Gewohnte ſich in denſelben recht wohl be¬ findet; eben alſo kann auch das innere geiſtige Auge des Menſchen ſo gewoͤhnt und gebildet werden, daß der bloße Anblik eines verworre¬
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weiter fuͤrchtet, oder von ihr etwas hofft; und
es bleibt ihr nichts uͤbrig, als ein ganz ande¬
res und neues, uͤber Furcht und Hoffnung er¬
habenes Bindungsmittel zu finden, um die
Angelegenheit ihrer Geſammtheit an die Theil¬
nahme eines jeden aus ihr fuͤr ſich ſelber an¬
zuknuͤpfen.
Ueber den ſinnlichen Antrieb der Furcht
oder Hoffnung hinaus, und zunaͤchſt an ihn
angraͤnzend, liegt der geiſtige Antrieb der ſittli¬
chen Billigung, oder Mißbilligung, und der
hoͤhere Affekt des Wohlgefallens oder Mißfal¬
lens an unſerer und anderer Zuſtande. So
wie das an Reinlichkeit und Ordnung gewoͤhnte
aͤußere Auge durch einen Fleken, der ja unmit¬
telbar dem Leibe keinen Schmerz zufuͤgt, oder
durch den Anblik verworren durch einander
liegender Gegenſtaͤnde dennoch gepeinigt, und
geaͤngſtet wird, wie vom unmittelbaren Schmer¬
ze, indeß der des Schmuzes und der Unord¬
nung Gewohnte ſich in denſelben recht wohl be¬
findet; eben alſo kann auch das innere geiſtige
Auge des Menſchen ſo gewoͤhnt und gebildet
werden, daß der bloße Anblik eines verworre¬
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Fichte, Johann Gottlieb: Reden an die deutsche Nation. Berlin, 1808, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fichte_reden_1808/41>, abgerufen am 27.11.2024.
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